Lasst die Kirche im Dorf!

Der Jurist und ehemalige Bürgermeister von Offenburg Dieter Eckert erklärt, warum das Gerede von „Ermächtigungsgesetz“ und „Abschaffung der Demokratie“ der „Querdenker“ ausgemachter Quatsch ist.

"Leipzig denkt selbst. Leipzig braucht keine Querdenker" - gilt in leipzig und überall... Foto: Roy Zuo / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(Dieter Eckert) – In den letzten Tagen ist immer wieder zu hören und zu lesen, dass durch die am vergangenen Freitag beschlossene Änderung des Infektionsschutzgesetzes die Regierung dauerhaft Sonderrechte bekommen hat und das Parlament ausmanövriert wurde. Wie folgende Feststellungen zeigen, ist diese Aussage nicht zutreffend:

Erstens: Die im neuen Paragraphen 28a des Infektionsschutzgesetzes angeführten Maßnahmen können nur erlassen werden, wenn und solange der Bundestag das Vorliegen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite feststellt. Das Parlament hat diesen Beschluss am 25. 3.2020 gefasst, kann ihn aber selbstverständlich jederzeit aufheben, wenn nach seiner Einschätzung die Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind.

Zweitens: Im neuen Paragraphen 28a ist außerdem ausdrücklich bestimmt, dass die darin vorgesehenen Maßnahmen befristet werden müssen und, soweit notwendig, verlängert werden können. Von dauerhaft oder unbefristet kann keine Rede sein.

Drittens: Der Bundestag könnte die der Bundesregierung im Infektionsschutzgesetz verliehenen Befugnisse jederzeit durch Mehrheitsbeschluss aufheben, indem er das Infektionsschutzgesetz ändert. Unter bestimmten Umständen kann er auch eine von der Bundesregierung erlassene Rechtsverordnung selbst abändern.

Viertens: Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Beschluss vom 11.11.2020 ausdrücklich festgestellt, dass der Verordnungsgeber, und das gilt erst recht für den Gesetzgeber, angesichts der aktuellen Verpflichtungen wegen des Grundrechts auf Leben und körperliche Gesundheit aus Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes zum Handeln verpflichtet ist.

Von einer Beschneidung der Rechte des Parlaments kann also keine Rede sein, ebenso wenig wie von einer Aushöhlung der Demokratie. Die oben getroffenen Feststellungen entsprechen dem Zusammenspiel zwischen Parlament und Regierung, wie es vor allem in Artikel 80 des Grundgesetzes festgeschrieben ist. Diese Regeln haben Regierung und Parlament genau beachtet. Diese Verfassungsorgane verdienen unser Vertrauen ebenso wie die Justiz, die bis hin zum Bundesverfassungsgericht dafür sorgt, dass Verfahrensvorschriften eingehalten und Grundrechtseingriffe auf das notwendige Maß beschränkt werden.

Die staatlichen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie können und müssen kritisch diskutiert werden, aber man sollte dabei das Augenmaß nicht verlieren. Das gilt vor Allem für Vergleiche mit der Zeit nach 1933, im hier Interessierenden Zusammenhang mit dem sogenannten Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933. Durch dieses Gesetz wurde schlicht die gesamte Gesetzgebungstätigkeit für die Dauer von zunächst vier Jahren an die Reichsregierung übertragen, ohne dass im Einzelnen irgendwelche Voraussetzungen erfüllt sein mussten. Parlamentarische Kontrolle gab es nicht. Die im Holocaust endende Diskriminierung der Juden, die Zensur und die Einrichtung von Konzentrationslagern folgten auf dem Fuße. Unsere heutige Situation hat damit nichts zu tun. Wir sollten die Dinge diskutieren, die diskussionswürdig sind, ansonsten gilt: Lasst die Kirche im Dorf!

1 Kommentar zu Lasst die Kirche im Dorf!

  1. Григорий // 30. November 2020 um 15:18 // Antworten

    Fruher zogen die Prozessionen der katholischen Kirchen durch das Dorf. Da aber manchmal das Dorf zu klein war, zog man “mit der Kirche um das Dorf”. Sprich “die Kirche im Dorf lassen” hei?t, nicht so aufblahend, ubertreibend sein.

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