Le grand Missverständnis

Zwischen dem französischen Volk und seinem Präsidenten Emmanuel Macron funktioniert es einfach nicht mehr. Grund dafür ist ein tiefes gegenseitigesUnverständnis.

Schon bald ein Sammlerstück? Das offizielle Präsidentenphoto... Foto: Patrick Janicek / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Emmanuel Macron hat es geschafft – drei Viertel seiner Landsleute lehnen ihn und seine Politik ab, ein Negativwert, den bislang kein Präsident der V. Französischen Republik erreicht hat. Das tiefe gegenseitige Unverständnis zwischen Macron und seinen Landleuten basiert auf einem großen Missverständnis – die Franzosen hatten geglaubt , „einen von ihnen“ ins höchste Staatsamt zu wählen, der dort ihre Interessen verteidigen würde, während Macron davon ausging, die Franzosen hätten ihn zum Kaiser gekrönt. Doch beide Annahmen waren falsch.

Emmanuel Macron ist in der Tat „keiner von uns“. Der ehemalige Rothschild-Banker und unter Präsident Hollande ziemlich erfolglose Wirtschaftsminister Macron ist kein „Freund des Volks“, denn für Macron ist der Begriff „Volk“ nahe am Begriff „Pöbel“. In den anderthalb Jahren seiner Amtszeit hat Macron keine Gelegenheit ausgelassen, sich abfällig über seine Landsleute zu äußern, sich über sozial Schwache lustig zu machen und gleichzeitig Maßnahmen durchzuziehen, die wohl nur in Nobelvierteln wie Neuilly-sur-Seine Freude auslösen. Dass er als letzte Alternative zu dem dumpf-braunen rechtsextremen Front National gewählt worden war, hat Macron vergessen. Doch haben die Franzosen 2017 nicht FÜR Emmanuel Macron, sondern GEGEN Marine Le Pen gestimmt.

Doch das französische Volk hat ebenfalls einen großen Fehler begangen, als es im Wahlkampf der hemmungslosen politischen Kommunikation des Salon-Rebellen Macron glaubte. Denn im Wahlkampf versprach Macron so ziemlich jedem alles, und die Franzosen glaubten ihm. Vermutlich, weil sie nach den ätzenden Jahren unter Sarkozy und Hollande tatsächlich Lust hatten, mal wieder etwas zu glauben. Doch leider hatte Macron außer dem Vorhaben das politische Establishment einzustampfen keine großen Vorstellungen, wie es danach weitergehen soll. Die Auswirkungen dieser amateurhaften Konzeptlosigkeit sehen wir heute auf Frankreichs Straßen.

Dazu kommt noch ein Persönlichkeitsproblem, das Emmanuel Macron zu seinem oft seltsamen Verhalten treibt. Der Mann ist offenbar tatsächlich davon überzeugt, dass seine Politik, sein Denken und seine Person etwas göttlich Inspiriertes haben, doch das ist natürlich Quatsch. Auch gestern, als er sich an seine Landsleute wandte, hatte er wieder diesen etwas verklärten Blick, der vermutlich suggerieren soll, dass der Präsident gerade einen dieser Momente der Eingebung hat. Leider hat niemand in seinem aus Hofschranzen und Ohrenbläsern bestehendem Hofstaat, der ihn ab und zu mal wieder auf die Erde zurückholt. Was dann auch seine zahlreichen verbalen Ausfälle erklärt.

Frankreich braucht heute keinen Sonnenkönig, sondern einen Realpolitiker, der in der Lage ist, mit den Menschen zu sprechen und diese zu verstehen. Allerdings muss man festhalten, dass diese Geringschätzung seines eigenen Volks etwas ist, das Macron mit seinen Vorgängern Sarkozy und Hollande teilt – auch diese beiden machten sich über die „Zahnlosen“ (also die Armen) lustig. Doch Frankreich hat Besseres verdient als diese Situation, die gerade völlig aus dem Ruder läuft, in der die Wirtschaft beschädigt und die Arbeitsplätze kosten wird.

Wie es nun weitergeht, ist völlig offen. Die Auseinandersetzungen zwischen einer immer aggressiver werdenden Bewegung und einer verunsicherten Regierung werden weitergehen und können nur zu weiteren gewaltsamen Konflikten führen. Die von Macron gestern angekündigten Maßnahmen wie ein auf drei Monate ausgelegter Dialog mit den „Gelbwesten“, eine andere und sozial verträglichere Regelung für die Festlegung der Benzinpreise, eine Prämie von 100 € für den Einbau wärmedämmender Fenster oder zinslose Kredite für die Anschaffung umweltschonender Neufahrzeuge – all das zeigt, dass Macron nach wie vor nicht versteht, was die Straße von ihm will und genau deshalb werden die Auseinandersetzungen weitergehen.

Emmanuel Macron ist keine eierlegende Wollmilchsau und genau das erkennen die Franzosen jetzt. Da nützen auch seine inzwischen ausgelutschten Europareden nicht mehr viel, denn zum einen sind diese mittlerweile platt wie Flundern und zum anderen merkt man auch international inzwischen, dass Macron ein Meister der Phraseologie, aber kein Macher ist.

Vielleicht sollte sich Frankreich auf eine Adventspause verständigen, in der alle nachdenken können, wie es nun weitergehen soll. Eine solche Pause wird notwendig, damit alle wieder ein wenig zur Vernunft kommen können. Die „gelben Westen“ müssen aufhören, sich teilweise wie eine angetrunkene Bürgerwehr aufzuführen und die Regierung muss bessere Antworten finden als „wir haben euch gehört“.

Aber es ist schon seltsam, mit welcher Begeisterung ein Teil der Franzosen seine Lust an der Rebellion entdeckt. Um die Benzinpreiserhöhung geht es dieser „Bewegung“ schon lange nicht mehr. Das Programm für die Adventszeit heißt für viele Franzosen „Randale statt Weihnachtsmarkt“ und das ist schlicht und ergreifend inakzeptabel. Momentan fragt man sich, wer für Frankreich gefährlicher ist: Eine chaotische und aggressive „Bewegung“ oder ein völlig von den Realitäten seiner Landsleute abgehobener Präsident? Schon am Samstag wird man sehen, in welche Richtung sich diese Situation entwickeln wird.

2 Kommentare zu Le grand Missverständnis

  1. Erfrischend und aufschlussreich der Artikel.
    Und dennoch wünschte ich mit dem Autor eine Stunde auszutauschen, denn aus diesem exakt beschriebenen Missverständnis beider ‘Akteure’ lese ich eine Lösbarkeit für beide Seiten zu einem tragfähigen, weiterentwickelbarem Weg.
    Der wird nicht Flanieren sein aber maximiert für die Komplexität der inneren nationalen wie globalen Lage -positiv.

    Beste Grüße
    Ulrich Dietl

    • Eurojournalist(e) // 28. November 2018 um 15:32 // Antworten

      Lieber Herr Dietl, sehr gerne! Und Sie sind auch herzlich eingeladen, selbst darüber zu schreiben, wenn Sie da Ideen haben – wir können das als “Tribune Libre” veröffentlichen! Beste Grüsse KL

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