Lehrer sein in Frankreich wird immer schwieriger

Die Angriffe von Schülern auf Lehrer häufen sich in Frankreich in bedenklichem Ausmaß. Der Angriff einer 12jährigen Schülerin auf ihre Lehrerin in Rennes löst eine landesweite Debatte aus.

Die Zeiten, in denen LehrerInnen Respektpersonen waren, sind vorbei. Foto: Anonymous / Wikimedia Commons / PD

(KL) – Die Angst ist bei Frankreichs Lehrerinnen und Lehrern zu einem täglichen Begleiter geworden. Einige dieser Angriffe durch Schülerinnen und Schüler enden tödlich, wie vor drei Jahren die Ermordung und Enthauptung (!) des Lehrers Samuel Paty oder im Oktober dieses Jahres die Ermordung des Lehrers Dominique Bernard in Arras. Dass es diese Woche nicht zu einem erneuten Blutbad durch eine 12jährige Schülerin in Rennes kam, war nur dem umsichtigen und mutigen Handeln der Englischlehrerin zu verdanken, die verhinderte, dass die bereits in der Vergangenheit auffällige Schülerin mit einem 17 cm langen Messer zur Tat schreiten konnte. Die gesellschaftlichen Probleme Frankreichs finden ihren Ausdruck auch in den Schulen, wo speziell Lehrerinnen, aber eben auch Lehrer, immer häufiger das Ziel von Angriffen durch Schülerinnen und Schüler werden. Die Behörden und Schulämter sind von der Situation überfordert und die Leidtragenden sind in erster Linie diejenigen, die mit riesigem Einsatz und bei jämmerlicher Bezahlung versuchen, Schülerinnen und Schüler mit Wissen zu konfrontieren.

„Gewalt durch Jugendliche hat es immer schon gegeben“, versuchen manche zu beschwichtigen, doch hat die Gewalt durch Jugendliche in und auch außerhalb der Schulen inzwischen ganz andere Dimensionen angenommen. Eine Grundschullehrerin in einem „Problemviertel“, die aus verständlichen Gründen nicht namentlich genannt werden möchte, berichtet aus ihrem Alltag: „In meiner Klasse sprechen 40 % der Schüler überhaupt kein Französisch, bei weiteren 30 % sind lediglich Grundkenntnisse der Sprache vorhanden und nur 30 % meiner Schülerinnen und Schüler können dem Unterricht folgen. Doch mit Unterricht hat das nicht mehr viel zu tun, ich versuche nur noch, die Stunden ohne allzu viele Zwischenfälle zu absolvieren.“

Lehrerinnen und Lehrer sind inzwischen mit Problemen konfrontiert, die in einer Schule nichts zu suchen haben. Samuel Paty wurde ermordet, da er im Unterricht zum Thema Мeinungsäußerung die berühmten Mohammed-Karikaturen aus „Charlie Hebdo“ gezeigt hatte, und obwohl er zuvor den muslemischen Schülerinnen und Schülern freigestellt hatte, an dieser Unterrichtseinheit teilzunehmen, wurde er deshalb ermordet. Dominique Bernard wurde vor dem gleichen Hintergrund ermordet und viele Lehrerinnen berichten davon, dass sich Schüler aus muslemischen Familien weigern, die Autorität einer Lehrerin anzuerkennen. Dies ist natürlich nicht die Schuld der Kinder, die lediglich das reproduzieren, was sie daheim in der Familie hören.

Zahlreiche Schülerinnen und Schüler mit diesem Hintergrund weigern sich auch, an Schweigeminuten für Terroropfer teilzunehmen und stören diese, und kürzliche Umfragen zeigen, dass selbst die Anschläge der Hamas vom 7. Oktober bei diesen Kindern zu einem beträchtlichen Teil Zustimmung finden. Noch einmal, das ist nicht die Schuld dieser Kindern, zeigt aber, welchen Diskurs sie daheim und bei ihren Altersgenossen hören. Die gesellschaftliche Zeitbombe tickt in Frankreich und man umschifft dieses Thema weiträumig, um nicht weiter Öl ins Feuer zu gießen. Doch wie viele Lehrerinnen und Lehrer müssen noch sterben oder Angriffe erdulden, bis man die Dinge endlich beim Namen nennt? Albert Camus hat einst geschrieben „Wer die Dinge beim falschen Namen nennt, trägt zum Unglück der Welt bei“. An diesem Punkt ist Frankreich heute, wo man im öffentlichen Diskurs versucht, eine islamistische Einflussnahme auf die Schule totzuschweigen.

Man kann vor den Lehrerinnen und Lehrern in Frankreich nur den Hut ziehen, dass sie ihren Job überhaupt noch ausüben. Das Lehrergehalt liegt in Frankreich bei knapp der Hälfte des entsprechenden Gehalts in Deutschland (was übrigens auch einer der Gründe ist, warum zweisprachige Schulen in Frankreich Probleme haben, deutsche Lehrkräfte zu rekrutieren) und von den Schulen selbst erhalten die Lehrerinnen und Lehrer in der Regel nur wenig Unterstützung. Denn wer im französischen Schulsystem als Schulleiter Karriere machen will, der meldet möglichst wenig Zwischenfälle an die Schulbehörde, denn das gibt Malus-Punkte und behindert die Beförderung. Ergebnis: Mobbing und Gewalt-Zwischenfälle werden wenn, dann nur unzureichend behandelt und das wiederum führt zu einer steigenden Zahl von Selbstmorden bei Kindern und Jugendlichen. Auch Lehrerinnen und Lehrer melden nicht mehr systematisch Zwischenfälle weiter, oft aus Angst vor Repressalien der Familien.

Dass es in Rennes zu keinem Blutbad kam, ist nur der Umsicht der betroffenen Englischlehrerin zu verdanken, die gleichzeitig beruhigend auf die 12jährige einwirkte und die Schulklasse in einen sicheren Nebenraum führte, so dass Mitarbeiter der Schule das Mädchen entwaffnen und festhalten konnten. Auch, wenn dieser Zwischenfall „glimpflich“ ausging (da es keine Opfer gab, doch das Trauma dürfte bei allen Beteiligten tief sitzen), so wirft er Fragen auf, da diese Schülerin bereits wegen eines vergleichbaren Messer-Zwischenfalls von einer anderen Schule verwiesen worden war. Offenbar fehlt es den Schulen und Behörden an Mitteln, mit solchen Fällen umzugehen, die leider immer zahlreicher werden.

Zum Glück gibt es weiterhin viele Lehrerinnen und Lehrern, die trotz dieser Umstände weiterhin jeden Tag versuchen, ihren Schülerinnen und Schülern die Basis für das spätere Leben zu vermitteln. Langsam bewegt sich die Schule in Frankreich auf amerikanische Verhältnisse zu und es ist bedenklich zu sehen, welchem Diskurs die Kinder zuhause ausgesetzt sind. Die Radikalisierung der französischen Gesellschaft sitzt weitaus tiefer, als man das wahrhaben möchte.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste