Libyen, Libyen – war da nicht was?

Die stolz verkündeten „Ergebnisse“ der Libyen-Konferenz in Berlin waren das Papier nicht wert, auf dem sie festgehalten wurden. Kann die Welt noch Probleme lösen?

Misrata in Libyen - trotz "Waffenruhe" kam es dort am Wochenende zu heftigen Kämpfen... Foto: joepyrek from Richmond, Va., USA / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 2.0

(KL) – Alle haben ihre eigenen Interessen in Libyen, das ist bekannt. Alle wollen, dass Ruhe und Ordnung in das nordafrikanische Land zurückkehren. Alle, bis auf die beiden Hauptakteure, General Chalifa Haftar, der rund 90 % des libyschen Territoriums kontrolliert und der Chef der libyschen „Regierung“ Fajis al-Sarradj, der sich in der Hauptstadt Tripolis nur dank der internationalen Unterstützung halten kann. Nun hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan General Haftar wiederholte Verletzungen der in Berlin mündlich vereinbarten Waffenruhe vorgeworfen.

Um die Situation besser einzuschätzen, ist es interessant zu analysieren, welches Interesse Erdogan hat, die libysche Regierung zu unterstützen. Erdogans Interesse an Libyen ist vielfältig. Zum einen sucht der international immer mehr isolierte Erdogan Anschluss an die afrikanische und die arabische Welt – letztes Jahr nahm er an den Konferenzen der afrikanischen und arabischen Staatengemeinschaften teil und suchte offen den Schulterschluss, der ihm allerdings verweigert wurde. Doch irgendwo muss Erdogan neue Partner finden, nachdem der Austausch mit der EU immer weiter in Richtung Eiszeit geht, was man auch bei Angela Merkels Besuch in der Türkei erkannte, wo deutlich wurde, dass die Berührungspunkte zwischen der Türkei und der EU inzwischen mit der Lupe gesucht werden müssen.

Doch Erdogan hat noch ein weiteres Interesse an Libyen, das er mit der EU teilt – die libyschen Küstenwachen, die sich teilweise hoch kriminell verhalten, sind nach wie vor eine Hürde für afrikanische Flüchtlinge, sich in Richtung Europa aufzumachen. Die Türkei, die über 3 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen hat, hat ein großes Interesse daran, dass der Flüchtlingsstrom aus Afrika eingedämmt wird, weswegen Erdogan gerne seinen Einfluss in Libyen ausbauen würde. Und natürlich will er auch ein „Player“ der internationalen Szene bleiben.

Doch zurück zur „Berliner Konferenz“ – die ohne die direkte Teilnahme von al-Sarradj und Haftar stattfand. Beide weigerten sich, gemeinsam an einem Tisch Platz zu nehmen, weswegen die anderen teilnehmenden Länder und Organisationen eben über Libyen statt mit Libyen sprachen. Und genau deshalb sind die „Ergebnisse“ für beide Bürgerkriegsparteien nur optional, was man in den letzten Tagen deutlich erkannte – bei Gefechten um die Stadt Misrata im Westen Libyens gab es wieder Tote und Verletzte. Ein Blick auf die Karte verrät, dass Haftars Truppen langsam, aber sicher weiter auf die Hauptstadt Tripolis vorrücken – von Friedensprozess kann keine Rede mehr sein.

Dazu kommt ein UN-Bericht, der besagt, dass trotz des in Berlin bekräftigten Waffenembargos (das bereits seit 2011 in Kraft ist und seitdem von kaum jemandem eingehalten wurde) in den letzten Tagen Waffenlieferungen an beide Bürgerkriegsparteien erfolgt sind, „unter anderem aus Ländern, die zu den 16 Konferenzteilnehmern von Berlin zählen“.

Die Bürgerkriegsparteien, aber auch die Länder, die einen nicht existenten „Friedensprozess“ eingeleitet haben, halten sich also nicht an die „Ergebnisse“ von Berlin. Und langsam merkt man, dass die internationale Staatengemeinschaft nur noch auf dem Papier besteht. Internationale Problemlösungen scheinen immer mehr in den Bereich der Wunschvorstellung abzudriften, die Realitäten vor Ort sehen anders aus.

Einer der Punkte der Berliner „Ergebnisse“ war die gegenseitige Versicherung der „Nicht-Einmischung“ – doch diese hat nie aufgehört. Regierungschef al-Sarradj ist nur noch deswegen Regierungschef ohne Land, weil die sich nicht einmischenden Länder derart einmischen und al-Sarradj unterstützen, dass sich die Regierung gerade noch halten kann. Doch wie lange noch? Russland unterstützt General Haftar und der ist der offiziellen Regierung militärisch klar überlegen.

Statt eines Friedensprozesses findet nun in Libyen die Fortsetzung des Bürgerkriegs in Syrien statt. In beiden Ländern handelt es sich um „Stellvertreterkriege“ zwischen den großen Mächten, Russland gegen den Westen. Und wie bereits in Syrien kocht auch Erdogan in Libyen sein eigenes Süppchen. Leidtragende sind, wie in Syrien, die Menschen in Libyen. Ein Ende ist nicht abzusehen.

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