Links oder rechts – das hat keinerlei Bedeutung mehr

Frankreich wird gerade von einer „linken“ PS-Regierung geführt, in Deutschland sitzt die „linke“ SPD in der Regierungskoalition. Und beide „linken“ Parteien hebeln Arbeitnehmerrechte aus, für die Jahrzehnte lang gekämpft wurde.

Die französische Arbeitsministerin Myriam El Khomri (PS) hebelt wie ihre deutsche Kollegin Andrea Nahles (SPD) Arbeitnehmerrechte aus. Foto: Chris93 / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Die französische Andrea Nahles heißt Myriam El Khomri. Beide bekleiden in ihren jeweiligen Regierungen das Amt der Arbeitsministerin und beide verbindet nicht nur, dass sie aus so genannten „linken“ Parteien stammen, sondern vor allem, dass sie Arbeitnehmerrechte aushebeln, für die ihre jeweiligen Vorgänger und die Gewerkschaften Jahrzehnte lang haben kämpfen müssen. Wollen die „linken“ Parteien angesichts der im nächsten Jahr in beiden Ländern stattfindenden Wahlen dem Wahlvolk zeigen, dass sie auch „rechts“ können? Langsam macht es wirklich kaum noch einen Unterschied, ob man „links“ oder „rechts“ wählt – am Ende richtet sich die Politik ohnehin gegen die, deren Lobbys am schwächsten sind.

Das neue Arbeitsgesetz, an dem Myriam El Khomri bastelt, ist zwar noch nicht fertig, doch sickerte bereits eine Vorabversion durch, die auf 105 Seiten und in 47 Artikeln schildert, wie sich das Arbeitsministerium künftig die Arbeit in Frankreich vorstellt. Das, was die Zeitung „Le Parisien – Aujourd’hui en France“ auszugsweise aus dieser Rohfassung veröffentlichte, ist haarsträubend. Der Umstand, dass der Vorschlag noch mehrere prozedurale Hürden nehmen muss, wie beispielsweise die interministerielle Kommission, ändert nicht viel an der Philosophie, die hinter dem Vorhaben steht. Ähnlich wie Andrea Nahles, die den kleinen Gewerkschaften in Deutschland den Boden unter den Füssen wegzog, beschneidet auch Myriam El Khomri massiv die Arbeitnehmerrechte. Hat da jemand „linke Politik“ gesagt?

So wandert die 35-Stunden-Woche faktisch in den Papierkorb. Offiziell soll sie zwar beibehalten werden, was aber nicht mehr bedeutet, als dass ab der 36. Stunde Überstunden bezahlt werden müssen. Ansonsten kann die Wochenarbeitszeit auf sage und schreibe 60 (!) Stunden angehoben werden, wenn „außergewöhnliche betriebliche Umstände“ vorliegen, wobei wichtig ist, dass lediglich eine betriebliche Einigung hierfür vorliegen muss und dass die staatliche Arbeitsverwaltung einer solchen Regelung nicht mehr wie bisher zustimmen muss. In der Praxis bedeutet das, speziell im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen, dass der Unternehmenschef die Wochenarbeitszeit mehr oder weniger nach Belieben festlegen kann – denn welcher Arbeitnehmer in Frankreich mit seiner hohen Arbeitslosigkeit wird es wagen, sich dem Chef zu widersetzen? Der Willkür sind Tür und Tor geöffnet und im Grunde ist diese Regelung genau das Mittel, mit dem man verhindert, dass Arbeitsplätze entstehen – denn die Unternehmen werden lieber das Letzte aus ihren eingearbeiteten Mitarbeitern herausquetschen, als neue Mitarbeiter einzustellen und anzulernen.

Noch heftiger ist die geplante Neuregelung, die sich hinter dem neutral-freundlich und modern klingenden Ausdruck „modulierbares Gehalt und Arbeitszeit“ verbirgt. Im Sinne von „offensiven Wettbewerbsvereinbarungen“ (ob es wohl in den Ministerien Posten gibt, an denen solche Wortschöpfungen entwickelt werden?) verlieren Arbeitnehmer ungefähr alle Rechte. Wenn ein Unternehmen in Schwierigkeiten steckt oder sich auf neuen Märkten entwickeln möchte, kann es nach Gutdünken die Arbeitszeit und auch das Gehalt der Mitarbeiter verändern, wie es ihm gefällt. Und das gleich für eine Dauer von fünf Jahren. Besonders perfide ist, dass hierfür theoretisch die Zustimmung der Arbeitnehmer erforderlich ist, doch die „linke“ Arbeitsministerin Myriam El Khomri hat auch gleich das passende Werkzeug erfunden, mit dem man widerspenstige Mitarbeiter in den Griff bekommt – wer die Änderungen nicht akzeptieren will, kann wegen „wichtigem und realem Grund“ entlassen werden. Was nicht mehr oder weniger bedeutet, als dass die Unternehmer künftig nach Belieben festlegen, wer wie lange arbeiten muss und was man bereit ist, ihm dafür zu zahlen. Und wem’s nicht passt, der wird eben gefeuert. „Linke“ Politik?

Und wo man gerade so schön dabei ist, mit einer „linken“ Regierung die Arbeitnehmerrechte auseinanderzunehmen, kommen auch die Ansprüche im Entlassungsfall gleich mit unter die Guillotine. Entschädigungszahlungen im Entlassungsfall werden nämlich vorsorglich gedeckelt, was dann auch den Umgang mit den oben erwähnten, widerspenstigen Mitarbeitern erleichtert, die nicht jede Arbeitszeit und jedes Gehalt akzeptieren wollen. Künftig sollen Abfindungen von mindestens 3 Monatsgehältern bei einer Betriebszugehörigkeit von weniger als 2 Jahren zum Tragen kommen, allerdings können die Abfindungen auch nur noch maximal 15 Monatsgehälter bei einer Betriebszugehörigkeit von mehr als 20 Jahren betragen. Ein wunderbares Instrument, mit dem man Arbeitnehmer unter Druck setzen kann, die nicht klaglos alles hinnehmen, was ihnen die Unternehmer als Arbeitsbedingungen anbieten.

Und, es lebe die deutsch-französische Zusammenarbeit, Myriam El Khomri hat auch gleich bei Kollegin Nahles abgekupfert und will den Einfluss der Gewerkschaften eindämmen. Zwar dürfen auch weiterhin Tarifverträge zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern ausgehandelt werden (die aufgrund der oben beschriebenen Neuerungen allerdings den Wert eines Wunschzettels an den Weihnachtsmann haben dürften), doch dürfen nur noch beherrschende Gewerkschaften solche Tarifverträge aushandeln – beherrschend meint, dass die verhandelnde Gewerkschaft 50 % der Stimmen bei den betrieblichen Wahlen erhalten haben muss. Seltsam ist auch die geplante Regelung, dass wenn die verhandelnde Gewerkschaft einen Tarifvertrag ablehnt, dieser trotzdem einer Abstimmung in der Belegschaft unterzogen werden muss und wenn mehr als die Hälfte der Beschäftigten dem Tarifvertrag zustimmt, wird dieser trotz der Ablehnung der Gewerkschaft gültig. Was einerseits die Macht der Gewerkschaften stark einschränkt, und andererseits die Frage aufwirft, warum man solche Regelungen überhaupt trifft, wenn ohnehin künftig die Unternehmer quasi im Alleingang alle wichtigen Parameter wie Arbeitsdauer und Gehalt mehr oder weniger freihändig festlegen können.

Aus den vielen anderen seltsamen Regelungen sticht eine noch ganz besonders heraus – in Frankreich ist es üblich, dass Arbeitnehmer auf „Standby“ gestellt werden können („astreinte“) und sich zuhause oder in der Nähe des Unternehmens aufhalten müssen, für den Fall, dass sie gebraucht werden. Bisher wurde diese Zeit als Arbeitszeit vergütet – künftig soll sie als „Freizeit“ betrachtet werden. Was dann den Unternehmen erlaubt, mit den Mitarbeitern vollends zu machen, was es will.

„Linke“ Politik? Wenn man bedenkt, dass die historische Entwicklung der „linken“ Parteien, in Deutschland der SPD, in Frankreich der PS, untrennbar mit derjenigen der Gewerkschaften verbunden ist und dass die ersten Kämpfe dieser Parteien Arbeitskämpfe waren, dann muss man sich verwundert die Augen reiben, mit welcher Leichtigkeit zwei Arbeitsministerinnen der SPD und der PS das aushebeln, wofür ihre Parteien und die Gewerkschaften seit über 100 Jahren gekämpft haben. „Links“, „rechts“ – die Unterschiede befinden sich mittlerweile im nano-Bereich. Da sollte sich dann aber auch niemand über den enormen Zulauf der extremen Parteien wundern…

1 Kommentar zu Links oder rechts – das hat keinerlei Bedeutung mehr

  1. Es wird eben Zeit, dass sich der “Arbeiterkampf” auf die Nichtarbeit konzentriert und sich die “Arbeitnehmervertreter” endlich einmal ernsthaft mit den Vorstellungen vom bedingungslosem Grundeinkommen oder dem “revenu de vie” auseinandersetzen und dann ihre Bemühungen auf deren Umsetzung verlegen.
    Besten Gruß, MM

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  1. Streiks in Frankreich, Streiks in Deutschland… | Eurojournalist(e)

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