Lockerungen, Stufenpläne & Co.

Nach einem Jahr der Corona-Krise reicht es den Menschen. Die Regierungen geben dem Druck der Menschen nach und planen nun Lockerungen. Medizinern stehen die Haare zu Berge.

Fast hübsch, aber leider immer noch extrem gefährlich - das Coronavirus. Foto: Nanographics GmbH / https://nanographics.at / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Während Mediziner wie der Weltärzte-Präsident Frank-Ulrich Montgomery vor der herannahenden „dritten Welle“ warnen, setzt sich in der Corona-Politik die Vox Populi durch. Dadurch, dass sich kurzfristig das Infektionsgeschehen in Deutschland etwas entspannt hat, wollen die Menschen nun ihre Freiheiten wiederhaben. Koste es, was es wolle. Der Preis für diese Lockerungen könnte in der Tat hoch sein.

Inzwischen können auch die verquersten Querdenker nicht mehr von einer „kleinen Grippe“ sprechen. Die USA haben Opferzahlen veröffentlicht, die höher als die amerikanischen Verluste in beiden Weltkriegen und dem Vietnam-Krieg zusammen übersteigen – und auch in Europa ist inzwischen klar, dass die verschiedenen Varianten des Corona-Virus weiter auf dem Vormarsch sind. Doch die Menschen wollen, verständlicherweise, Lockerungen – jetzt. Jetzt, und nicht etwa später. Doch folgen Pandemien nicht der Geduldsgrenze der Menschen, sondern sie haben ein Eigenleben, mutieren, verbreiten sich weiter.

Die Ankündigung von Stufenplänen, Lockerungen, einer Rückkehr zu mehr Normalität, ist eine gefährliche Taktik. Denn die Pandemie ist alles andere als überstanden. Doch ist aus dem vor einem Jahr vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron angekündigtem „Krieg gegen das Virus“ eine Art regionaler Guerilla-Krieg geworden, der inzwischen in Regionen, Städten und Stadtvierteln geführt wird. Ohne Aussicht auf Erfolg, denn jede Verbesserung an einer Stelle wird durch eine Verschlechterung an anderer Stelle wieder aufgehoben.

Auch die Impfkampagnen werden erst in Monaten zu greifbaren Erfolgen führen können – in Deutschland haben heute gerade einmal 4 % der Bevölkerung die Erstimpfung erhalten und trotz aller vollmundigen Ankündigungen von Lieferungen von Millionen Dosen verschiedener Vakzine, läuft die Impfung schleppend, denn die Vakzine fehlen nach wie vor überall.

Ist dies wirklich der richtige Zeitpunkt für jubelnde Lockerungen, Öffnungen und die Wiederaufnahme sozialer Kontakte? Die Politik folgt gerade der Stimmung in der Bevölkerung, die einfach müde von einem Jahr der Pandemie ist, die unser aller Leben von morgens bis abends bestimmt. Nur – was nützt es, jetzt schnell (und rechtzeitig vor den Wahlterminen am 14. März) Öffnungen durchzuziehen, nur, um in drei oder vier Wochen wieder alles herunterfahren zu müssen?

Seien wir ehrlich – es gibt keine Strategie. Alle Hoffnungen ruhen auf einer jahrelangen und ruinösen Impfkampagne, deren Erfolg noch in den Sternen steht. Bereits jetzt beobachten die Wissenschaftler, wie sich das Virus durch seine Mutationen auch auf die ersten Vakzine einstellt – das ist nun mal die Fähigkeit von Viren, sich auf ihr Umfeld einstellen zu können. Doch ohne eine übergeordnete Strategie ist der Kampf gegen die Pandemie aussichtslos. Was nützt es, kurzzeitig in einer Region die Inzidenz auf einen überschaubaren Wert zu senken, während die Zahlen in der Nachbarregion explodieren? Wir bewegen uns immer tiefer in eine Wellenbewegung hinein, in der die Zahlen überall abwechselnd steigen und wieder fallen.

Dabei suchen alle nach Schuldigen. Doch sind weder Angela Merkel, noch Emmanuel Macron, noch sonstwer für die Präsenz dieses Virus verantwortlich. Verantwortlich sind sie aber für ein vernünftiges Management der Situation. Aber ist es wirklich verantwortungsvoll, den Menschen vorzugaukeln, dass wir fast über den Berg sind und es jetzt nur noch um die Ausgestaltung des Neustarts geht? Fakt ist, dass die Pandemie alles andere als vorbei ist. Die „dritte Welle“ scheint unausweichlich zu sein, befeuert von aggressiven Varianten, die weiterhin für eine schnelle Ausbreitung des Virus sorgen werden. Und daran wird sich nichts ändern, so lange wir uns nicht entscheiden, das Virus auf zumindest europäischer Ebene gemeinsam zu bekämpfen. Und bis das passiert, können wir so viele Stufenpläne und Lockerungen planen – das Infektionsgeschehen wird diese wieder aufheben. „Schnauze voll“ ist leider kein Argument, mit dem man gegen eine Pandemie vorgehen kann…

2 Kommentare zu Lockerungen, Stufenpläne & Co.

  1. Ich gebe Ihnen recht, dass in Öffnungsszenarien grundsätzlich Risiken liegen. Aber es gibt auch andere Wege als “alles oder nichts”.

    Die Erwartung der Bevölkerung wäre, notwendige und begründete Maßnahmen in sinnvoller Dimension zu ergreifen und nicht mit der Gießkanne das ganze Land kaltzustellen. Es gibt genügend Stimmen jeden Tag in der Presse.

    • Na ja, die Zahlen gehen überall wieder hoch, Frankreich hat gestern mit über 31.000 Neuinfektionen den höchsten Stand seit November erreicht. Die Varianten des Virus breiten sich sehr schnell aus und in dieser Situation von Öffnungs-Szenarien zu sprechen, ist gleichbedeutend mit der bewussten Organisation der dritten, vierten und fünften Welle. Auch das ist eine Option – zu akzeptieren, dass wir gegen das Virus verloren haben. Die Erwartung der Bevölkerung ist natürlich nachvollziehbar, aber gleichzeitig muss man feststellen, dass aus dem “Krieg gegen die Pandemie” eine Art lokaler “Guerilla” geworden ist, die keine Aussicht auf Erfolg hat. Lokal kurzfristig die zahlen zu senken, ist definitiv keine Art, dieses Virus zu bekämpfen. Und genau das beobachtet man momentan.

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