Im EU-Dschungel: „Die europäische Glaubwürdigkeit erhöhen“

Europa-Treffpunkt in Freiburg: Der "Info Point Europa" in der Freiburger Bibliothek mit seiner Stadthalterin Christine Fuchs. Foto: Bicker

Europa ist überall, auch mitten in Freiburg, am Münsterplatz, rund 80 Kilometer vom Europaparlament in Strasbourg entfernt. Europäische Provinz? Im Flur des ersten Obergeschosses der Stadtbibliothek gibt es immerhin so etwas wie ein Ersatzkonsulat, den “Info Point Europa”, mit einer kleinen Präsenzbibliothek zu europäischen Themen aller Art, Plakaten und Aufstellern, einer Europafahne – natürlich – und einem Schreibtisch. Hinter diesem sitzt Christine Fuchs, Anlauf- und Auskunftstelle für europäische Fragen im Breisgaumetropölchen. Eurojournalist-Redakteur Arne Bicker hat diese Dauerofferte vier Tage vor der Europawahl schamlos ausgenutzt – und der Freiburger Mrs. Europa eine Handvoll Fragen gestellt.

Frau Fuchs, was genau macht der „Info Point Europa“ hier in Freiburg?

Nun, das ist eine bürgernahe Beratungsstelle für ganz Südbaden. Meine Aufgabe ist es, alle Menschen, natürlich dezidiert auch Schüler und Lehrer, über die EU-Politik zu informieren, sowohl von den Strukturen her als auch zu europäischen Themen. Wir halten hier auch viele kostenlose Broschüren zum Mitnehmen bereit. Ein weiterer Punkt sind Veranstaltungen, die wir anbieten, wie zum Beispiel Diskussionsrunden oder Ausstellungen zum Beispiel zur europäischen Asylpolitik, das große Europa-Sommerfest, das in diesem Jahr am 12. Juli auf dem Kartoffelmarkt in Freiburg stattfindet, oder zwei Mal jährlich eine Exkursion zum EU-Parlament nach Strasbourg. Ich selbst sehe mich hier als Lotse im sogenannten EU-Dschungel. Hier können Sie also mit einem Menschen kommunizieren und nicht nur mit einer anonymen Adresse im Internet.

Wie viele Menschen kommen denn zu Ihnen, und was haben die für Anliegen?

Das ist sehr unterschiedlich, im Schnitt suchen zwischen dreißig und hundert Personen im Monat ein persönliches Gespräch. Da bekomme ich auch kuriose Geschichten und Schicksale zu hören, über alle EU-Grenzen hinweg. Aber natürlich biete ich hier keine Beratung in Rechtsfragen an. Oft kommen Schüler vorbei, teilweise in ganzen Gruppen, und Lehrer, die für konkrete Projekte recherchieren. Hinzu kommen noch viele Beratungen per Telefon und Mail.

Wie viele Menschen waren denn heute, Mittwoch, bis zum Nachmittag, persönlich hier?

Heute waren es drei Leute.

Verspüren Sie nicht einen verstärkten Informationsbedarf in den Wochen vor der EU-Wahl?

Ganz ehrlich? Nicht unbedingt, also, was Nachfragen direkt hier am Info Point anbelangt. Aber letzte Woche hatten wir vor dem Konzerthaus einen Infostand direkt neben dem Europa-Wahlbus, der extra nach Freiburg gekommen war.

Und da war dann die Hölle los?

Nein, leider nicht so sehr, wir hatten Pech mit dem Wetter, es hat geregnet. Dennoch kamen dort Busladungen mit Schülern an bis hin zu einem Taxifahrer, der extra ausgestiegen war, um sich zu informieren.

Kennen Sie das dänische Voteman-Video? Was halten Sie als EU-Fachfrau davon?

Ja, ich habe das auf Ihrer Webseite eurojournalist.eu gesehen, und das ist wirklich sehr polarisierend. Es ist ein Comic mit viel Sex and Crime, mit vielen brutalen Szenen und der Frau als Sexualobjekt, was mir nicht gefällt. Sehr kategorisch wird der Voteman als Monster dargestellt, das die Leute zum Wahllokal hin prügelt, da rollen sogar Köpfe! Also, ich war zweigeteilt: Einerseits hatte ich ein lachendes Auge, weil ich es gerade gut finde, auch bei kritischen Themen mit Humor zu arbeiten, andererseits war mir das in einigen Szenen zu stark überzogen. Und ich hätte mir anstelle des Voteman eine Votewoman gewünscht.

Sind Sie eine Votewoman? Empfehlen Sie die Teilnahme an der EU-Wahl?

Ja, unbedingt. Das ist eine wichtige Möglichkeit, demokratisch mitzubestimmen! Das Europa-Parlament ist das größte demokratisch gewählte Parlament überhaupt; 500 Millionen Menschen werden da vertreten. Und es ist die Chance, in Europa seine Stimme abzugeben und so auch mitzugestalten. Und Wählen ist auch ein Privileg. Das ist für uns zwar selbstverständlich, aber andernorts noch lange nicht. Also auf jeden Fall: Wählen gehen!

Was sagen Sie denn denjenigen Nichtwählern, die nicht aus Bequemlichkeit fernbleiben, sondern weil Sie den EU-Parlamentariern in ihrer Beeinflussbarkeit durch Industrielobbyisten misstrauen?

Lobbyisten sind ja in verschiedenen Ecken tätig; genau danach können Sie im Rahmen unserer Exkursionen nach Strasbourg auch EU-Parlamentarier direkt befragen. Wichtig ist in meinen Augen immer eine maximal mögliche Transparenz – das haben ja gerade in diesen Tagen erst die Spitzenkandidaten Schulz und Juncker nochmal deutlich betont. Alle Kontakte sollten transparent gemacht werden. Lobbyismus wird es immer in allen Bereichen geben, und Lobbyismus muss ja nicht immer negativ sein. Es gibt ja auch NGOs als Lobbyisten. Aber tatsächlich kann das ein Problem sein in ganz vielen Politikbereichen.

Sie selbst gehen also auf jeden Fall am Sonntag wählen?

Ja, klar. Wahrscheinlich darf ich mich auch an der Auszählung beteiligen.

Woher rührt denn Ihr persönliches Interesse an Europa? Haben Sie sich als Bibliothekarin an diesen Info-Point herangearbeitet?

Nein, gar nicht, ich bin zwar offiziell Mitarbeiterin der Stadtbibliothek seit 2009, kam aber als gelernte Diplom-Biologin nach vielen Jahren in der Umwelt- und Abfallberatung und der Ökosystembetrachtung direkt in diese Stelle. Den Info Point selbst gibt es seit 1999; ich bin also mit dem zehnjährigen Jubiläum hier eingestiegen. Mein Interesse an Europa rührt vor allem daher, dass ich das Zusammenleben und den Austausch der Kulturen fördern möchte und die Freizügigkeit in der Wahl des Arbeits- und Lebensortes. Außerdem schätze ich die Rolle der EU als Solidargemeinschaft bei der Friedenssicherung extrem hoch ein; das ist mir persönlich noch viel wichtiger als der wirtschaftliche Austausch.

Haben Sie das Gefühl, mit dem europäischen Thema angesichts des oftmals geringen Interesses bei den Menschen gegen Windmühlen zu kämpfen?

Manchmal kann es tatsächlich so sein. Das Thema reißt viele Leute nicht vom Hocker und klingt auch nicht besonders sexy, weil viele denken: Für was brauche ich das? Aber da gibt es ganz viele Bereiche, in denen das sehr relevant ist. Ganz oft geht es auch hier im Info Point um das Thema Jobben, Arbeitsmarkt und Ausbildung in Europa. Gestern zum Beispiel war eine Frau hier, die vorhat, sich beruflich nach Italien zu verändern. Und die wollte nun wissen, an wen sie sich wenden kann und was sie dafür tun muss. Das ist eine typische Fragestellung für uns, genauso wie jene von Grenzgängern, denen wir hier zum Teil gemeinsam mit anderen europäischen Institutionen Hilfe leisten. Wir bieten ja auch spezielle Frankreich- oder Schweiz-Sprechzeiten mit entsprechenden Experten an.

Was würden Sie denn den Herren Juncker und Schulz empfehlen, wie man das EU-Thema doch etwas mehr sexy oder wertiger gestalten könnte?

Es wird mir öffentlich viel zu viel über Duschköpfe, krumme Gurken und Glühbirnen geredet. In vielen Köpfen existiert noch so ein Vorschriften- und Regulierungswahn. Das brauchen wir nicht. Wirklich wichtig sind Themen wie der internationale Arbeitsmarkt, Jobgarantien und natürlich Transparenz in den Fragen: Was geschieht mit den eingesetzten Geldern? Wie werden Programme umgesetzt? Welche Wirkung entfaltet das, wie kommt es an? Es ist ja schon einiges passiert, so dass das EU-Parlament mehr Rechte hat und mehr Kontrollfunktionen. Das sollte noch mehr ausgeweitet werden, weil sich auf diese Weise die europäische Glaubwürdigkeit erhöhen ließe.

Bei kritischen Themen mit Humor arbeiten: Selbstgestaltete Wahlwerbepostkarte des "Info Point Europa" in Freiburg. Foto: Bicker

Bei kritischen Themen mit Humor arbeiten: Selbstgestaltete Wahlwerbepostkarte des “Info Point Europa” in Freiburg. Foto: Bicker

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