Lügenpresse? Lügenpolitiker?

„Fake News“ sind ein echtes Problem, da sie das Potential haben, Menschenmassen zu manipulieren. Genau das wirft man den Medien gerade vor. Aber woher kommen die „Fake News“?

Der Wahrheitsgehalt der Meldungen wird in den meisten Fällen von den Kommunizierenden festgelegt, nicht von den Journalisten... Foto: Roland Unger / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Journalisten haben momentan, man verzeihe mir das Wortspiel, keine gute Presse. Man wirft den Journalisten vor, das Hohelied des Kapitals zu singen, sich an die aktuellen Machthaber zu verkaufen, und Lügen in die Welt zu setzen. Gleichzeitig werden Journalisten auf Demonstrationen und anderswo angegriffen, geschlagen, bedroht und beleidigt. Das alles liegt daran, dass völlig falsche Informationen in Umlauf sind. Verbreitet werden diese Unwahrheiten allerdings in erster Linie von denjenigen, die sich am lautesten darüber beklagen. Ein Beispiel.

Frankreich verkauft das Elsass und Lothringen an Deutschland!“ – diese erschreckende Meldung zum “Aachener Vertrag” geht seit Tagen durch die französischen Medien und sozialen Netzwerke und auch dank der vielen Dementis, zirkuliert diese Information immer weiter. In die Welt gesetzt wurde dieser Blödsinn von einem Europaabgeordneten der rechten Splitterpartei „Debout la France“, Bernard Monot. Auf die Vorhaltung des ihn interviewenden Journalisten, dass dies ja wohl ausgemachter Quatsch sei, bestand Monot auf seinen Aussagen. „Das ist vielleicht nicht Ihre Lesart, aber meine“. Und flugs war aus einem hingerotzten Blödsinn eine Nachricht geworden, die das ganze Land aufregte und immer noch aufregt.

Die größte Kritikerin freier Medien, die rechtsextreme Marine Le Pen, sah sich das Treiben eine Weile an und setzte dann noch einen drauf, indem sie die Aussagen Monots wiederholte und diese dann als ihre eigene Interpretation des „Aachener Vertrags“ ausgab. Aus einer „Fake News“ machte Le Pen damit zwei und verlieh der ersten „Fake News“ damit den Anstrich der Wahrheit.

Kein Journalist wäre auf die Idee gekommen, das öffentlich einsehbare Vertragswerk so zu interpretieren, dass Frankreich das Elsass und Lothringen an Deutschland verkauft. Marine Le Pen muss sich gar nicht erst künstlich über „Fake News“ aufregen, sie selbst gehört zu den größten Produzenten von Falschmeldungen, die sie selbst gezielt in die Welt setzt. Und dann regt sie sich eigentlich nur über die „Lügenpresse“ auf, wenn ihre unwahren News nicht 1:1 wiedergegeben werden.

Damit ist Marine Le Pen allerdings nicht alleine. Die gesamte „institutionelle Kommunikation“ hat inzwischen mit Information und Pressearbeit nur noch wenig zu tun. Von Journalisten wird erwartet, dass sie Pressemitteilungen so veröffentlichen, wie sie diese erhalten. Denn mit solchen „Kommunikationen“ werden ganz konkrete Ziele verfolgt: Man möchte sich selbst gut darstellen, seinen Partnern „gute Presse“ verschaffen und häufig gibt es auch kommerzielle Hintergründe für solche Kommunikationen. „Pressemitteilungen“ sind häufig komplett sinnentleert, sollen aber trotzdem veröffentlicht werden und viele Medien, die am öffentlichen Tropf hängen, haben gar keine andere Wahl als dieses Spiel mitzuspielen.

Veröffentlicht man allerdings dann Dinge, die von der eigentlichen Mitteilung abweichen und die einen eigenen Informationsgehalt haben, setzt man sich sofort dem Vorwurf der „Fake News“ aus, was speziell in letzter Zeit bei Demonstrationen der „Gelbwesten“ der Fall war.

Die „institutionelle Kommunikation“ wird dabei immer mehr zum Problem. An dieser so wichtigen Schnittstelle zwischen öffentlichen Einrichtungen und der Bevölkerung werden gerne und immer wieder Praktikanten eingesetzt und jede Pressemitteilung muss an derartig vielen Stellen freigegeben werden, dass am Ende meistens nichtssagender Sprachbrei ohne echten Informationsgehalt dabei herauskommt. Gleiches gilt für die Unsitte, dass viele Politiker darauf bestehen, dass mit ihnen geführte Interviews „freizugeben“ sind. Das macht Interviews so langweilig, wie sie häufig sind. Und bereits das Korrigieren einer zuvor gemachten Aussage, die vielleicht nicht so klingt, wie der Interviewpartner das wünscht, ist bereits eine „Fake News“. Eurojournalist(e) weigert sich übrigens systematisch, sich Interviews freigeben zu lassen. Wer das Gefühl hat, wir könnten die Inhalte verfälschen, der muss dann eben auf ein Interview mit uns verzichten.

Dass sich Journalisten Meldungen oder Inhalte selber ausdenken, ist extrem selten, auch wenn gerade DER SPIEGEL einen solchen Fall hatte. Die Irreführung des Bevölkerung fängt deutlich früher an. Und zwar in der Wortwahl. Wenn ein Unternehmen oder eine Behörde Mitarbeiter „freisetzen“, dann sorgt man nicht etwa dafür, dass die betroffenen Personen ihren Freiheitsdrang ausleben können, sondern es bedeutet, dass die Mitarbeiter gefeuert werden.

Es ist an der Zeit, dass man sich in den öffentlichen Stellen grundsätzliche Gedanken macht, was Kommunikation ist, was Pressearbeit ist und wie man die Öffentlichkeit ehrlich informiert. Es nützt wenig, wenn öffentliche Einrichtungen „Journalisten-Seminare“ veranstalten, bei denen sie Journalisten erzählen, wie man am besten ihre schöngefärbten Kommuniqués veröffentlicht. Stattdessen wäre es sinnvoller, wenn man endlich Presseprofis anstelle von Praktikanten an diese wichtige Schnittstelle setzt, auch, wenn diese etwas teurer sind. Es ist einfach, auf die „Lügenpresse“ zu schimpfen. Denn das tut man nur, wenn die eigenen Lügen nicht so wiedergegeben werden, wie man es gerne hätte, um die Menschen zu manipulieren.

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