Lützerath – ein Symbol für gar nichts?

Am Wochenende gab es bei der Räumung des Dörfchens Lützerath schwere Auseinandersetzung zwischen Polizei und Besetzern. Fast 200 Verletzte auf beiden Seiten sind zu beklagen.

Hier war die Lage in Lützerath noch halbwegs entspannt. Doch das änderte sich schnell. Foto: Bodoklecksel / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Die meisten derjenigen, die den Weiler Lützerath im Dreieck Köln, Aachen, Düsseldorf besetzt hatten oder sich anderweitig an Protestaktionen beteiligt haben, hatten noch vor kurzer Zeit nichts von diesem Ort gehört. Ebenso wenig wie die meisten Bundesbürger. Kein Wunder, hat dieser winzige Weiler am Rand des Tagebaus Garzweiler noch nie mehr als 100 Einwohner gehabt. Der letzte von ihnen, ein Landwirt namens Eckhardt Heukamp, war bereits im letzten Jahr weggezogen. In Lützerath stoßen unterschiedliche Perspektiven auf die Nutzung der Braunkohle aufeinander (wobei Konsens herrscht, so schnell wie möglich aus der Braunkohle auszusteigen) und es ist erstaunlich, dass es rund um dieses Dorf um die Jagdszenen vom Wochenende kommen musste.

Lützerath, das ist die Materialisierung des verloren gegangenen Vertrauens der Menschen in das Konglomerat Politik-Wirtschaft. Denn der Grund für die Räumung des Weilers Lützerath ist, dass unter dem Dorf ein riesiges Braunkohle-Flöz liegt, mit dem der Betreiber von Gartzweiler, der Energieeriese RWE hofft, den Braunkohle-Abbau kurzfristig massiv steigern zu können. Dabei ist die formulierte Zielsetzung, dass jetzt die Produktion gesteigert werden soll, um ausreichend Reserven zu schaffen, um den längst beschlossenen Kohleausstieg von 2038 auf 2030 vorziehen zu können. Dazu sei es nötig, so RWE, das Flöz unter Lützerath zu nutzen. Und genau an dieser Aussage beginnen die Probleme.

Die Politik in Nordrhein-Westfalen, durch die Stimme der Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne), vertritt die Ansicht, dass die Nutzung des Flöz Lützerath „unumgänglich“ sei, während ein Gutachten hoch seriöser Forschungseinrichtungen (unter anderem Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung DIW, Europa-Universität Flensburg und TU Berlin) zum gegenteiligen Ergebnis kommt. Das rückt die Aktion der NRW-Regierung und speziell der Grünen in dieser Regierung in ein seltsames Licht. In einer Situation, in der die wirtschaftlich motivierten Aussagen von RWE denen unabhängiger Forschungsinstitute widersprechen, wäre es sinnvoller gewesen, diese Fragen zunächst wissenschaftlich zu klären, bevor man sich in ein autoritäres Staatsverhalten flüchtet, wie man es vor allem aus anderen Ländern kennt, in denen man es gewohnt ist, Ordnungskräfte gegen die eigene Bevölkerung kämpfen zu lassen.

Die Ansage der von Klima-Größen wie Greta Thunberg unterstützten Dorfbesetzer „Die Kohle bleibt in der Erde“ bleibt allerdings auch ein wenig flach. Darum, das kleine Dof zu retten, geht es schon lange nicht mehr, denn die Einwohner sind längst umgesiedelt worden. Der Konflikt rührt folglich daher, dass nicht klar ist, ob die Nutzung des Lützerath-Flöz tatsächlich hilfreich ist, um den Kohleausstieg um acht Jahre vorzuverlegen, was eine sehr gute Sache wäre. Doch diese Frage kann nur die Wissenschaft klären, nicht aber die Politik, bei der man sich wundert, dass eine grüne Ministerin einen derartigen Polizeieinsatz gegen Klimaprotestler auslöst. Auf der anderen Seite ist es auch wieder nicht verwunderlich, sind die Grünen doch plötzlich zur Kriegstreiber- und Law-and-Order-Partei mutiert.

Momentan ist also nicht klar, ob dieses Lützerath-Flöz den Kohleausstieg beschleunigt, oder nur dazu dient, die Aktionäre von RWE ein wenig glücklicher und reicher zu machen. Dazu können die Demonstranten auch nicht ausschließen, dass 2030 plötzlich Grüne, SPD und RWE der Öffentlichkeit knapp mitteilen, dass die Situation leider erfordert, den Kohleausstieg doch wieder nach hinten zu verschieben. Hier zahlt die Politik nun die Rechnung für ihre vielen Lügen und nicht gehaltenen Versprechen, wie beispielsweise die unsägliche Nutzungsverlängerung für Glyphosat. Sprich – die Klimaaktivisten glauben Regierung und Wirtschaft nicht, dass Lützerath wirklich zur Beschleunigung des Kohleausstiegs dienen soll, sondern vielmehr der Gewinn-Maximierung der RWE-Aktionäre.

Dass diese Frage nun in einem bürgerkriegsähnlichen Scharmützel mit zahlreichen Verletzten „geregelt“ wird, ist auf jeden Fall ein Fehler. Militante Konfrontationen zwischen der Bevölkerung und den Vertretern des Staats hinterlassen immer Spuren und das von der Politik verspielte Vertrauen lässt sich nicht mit Wasserwerfern und Tränengas wiederherstellen.

Dass sich junge Menschen Sorgen machen und engagieren, zu einem Zeitpunkt, zu dem die „Verantwortlichen“ weiter auf verantwortungslose Weise diesen Planeten für künftige Generationen unbewohnbar machen, das kann man verstehen. Dass der Staat auf diese Sorgen mit Gewalt antwortet, schon weniger. Und dass sich am Ende alle in Schlachtenordnungen gegenüberstehen, das ist nur der letzte Fehler in einer langen Reihe von Fehlern, die einmal mehr vor allem eines zeigen – dass das Tischtuch zwischen Politik und Bevölkerung zerschnitten ist. Wenn es nichts mehr zu sagen gibt, dann wendet man halt Gewalt an. Und das ist auf beiden Seiten falsch. Für den Umgang mit den Weltkrisen, deren Entwicklung auch 2023 sehr schwierig werden wird, ist das alles kein gutes Zeichen.

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