Lust der Sammelleidenschaft – Don Giovanni in der Rheinoper

Die Oper aller Opern – „Don Giovanni“ von Mozart hat sich diesen Titel redlich verdient, denn seit ihrer Uraufführung 1787 in Prag vergeht kaum ein Monat, in dem nicht eine Neuinszenierung auf den Bühnen der Welt gewagt wird – ob es am Thema liegt, dem ewigen?

Don Giovanni hat es faustdick hinter den Ohren (die wunderbar von Mozarts Musik gefüllt werden...). Foto: Klara Beck / Opéra National du Rhin - OnR

(Von Michael Magercord) – Leporello, der treue Buchhalter der Lust, fügt zu Beginn der Oper die bisherigen Affären seines Herrn und Meisters zu einem nüchternen Zahlenwerk: „In Italien sechshundertundvierzig, hier in Deutschland zweihundertunddreißig, hundert in Frankreich und neunzig in Persien, aber in Spanien schon tausend und drei”.

Streng genommen handeln die folgenden zwei Theaterstunden also lediglich von der Affäre 2064. Fliehend vor einem Eheversprechen will sich Don Giovanni mit einem Verstellungstrick Zugang zur nächsten Dame verschaffen getreu seinem Motto: “Wer nur einer getreu ist, begeht ein Unrecht an den andern.” Klar: diese Affäre wird ein tragisches Ende nehmen, das auch das Ende des Don Giovanni sein wird. Sonst wäre diese Geschichte ja kaum bühnentauglich.

Aber natürlich geht es bei einer Inszenierung dieses Werkes immer auch ums Grundsätzliche. Doch was ist das Grundsätzliche, wenn es um die Liebe, den Eros und das ewig Lockende geht? Darauf muss jede Zeit ihre eigene Antwort finden und hat das auch getan: Don Giovanni – auch bekannt unter dem Namen seiner lebensechten Vorlage Don Juan – ist auf den Brettern, die die Welt bedeuten, mal rücksichtsloser Macho, liebestoller Lüstling, gewiefter Liebhaber, heilloser Narziss oder unersättlicher Konsument. Und die Kreise, in die er und seine Wollust hineinversetzt wird, variieren vom Adel, übers Bürgertum bis zum Proletariat. Und so manches Mal agiert der Lüstling artgerecht in einem Freudenhaus oder besucht heutzutage auch mal einen Swingerclub.

Nun kommt Don Giovanni nach Straßburg und in Szene gesetzt wird er von der Regisseurin Marie-Eve Signeyrole. Wie aber stellt sie so einen Typen dar in den Zeiten einer doch eher feministisch geprägten Sicht auf den Eros? Als Vergewaltiger, wie kürzlich in Freiburg durch die polnische Regisseurin Katarzyna Borkowska? Wohl eher nicht, denn die französische Regisseurin wählt einen anderen Ansatz: Denn sie könnte sich durchaus einen Rollentausch der Geschlechter vorstellen, wären da nicht Vorgaben für die Singstimmen aus den Notenblättern. Und so bleibt es zunächst dabei, den Liebhaber in den Augen derer, die ihm verfallen waren – und vielleicht noch sind – zum Objekt zu machen. Wer dann noch Opfer ist und wer Täter? Wer erfährt durch das Begehr letztlich mehr an psychologisch so wichtigen Bestätigung?

Alles offene Fragen für die 40 Jahre junge Regisseurin: „Ich will nichts erklären, ich mag es, mich dem Ausbleiben einer Antwort auszusetzen, und das zu akzeptieren, was uns entgeht“, sagt Marie-Eve Signeyrole und offenbart damit einen ziemlich modernen Standpunkt gegenüber ungeheuerlichen Phänomenen. Ob es gelingt, diesen Standpunkt zu behalten in der von ihr in Szene gesetzten Atmosphäre einer Edelbar, in der die Frauen als Livebild übergroß auf einer Videowand über dem Geschehen schweben? Auf einem Podium, welches an die Konstellation einer Konfrontationstherapie erinnert, wird Don Giovanni zum Objekt der Analyse gemacht. Mal sehen, ob das genaue Studium des Objektes nicht auch für so manche Selbsterkenntnis bei den klagenden Frauen zu sorgen vermag.

Nur eines ist wohl jetzt schon gewiss: Dem tiefen Geist des libertären Gebarens im ausgehenden 18. Jahrhundert wird man auf diese Weise heute kaum mehr nachspüren können. Denn ja, diese Zügellosigkeit bedeutete auch Freiheit, Freiheit von Schranken durch gesellschaftliche und religiöse Konventionen. Don Juan, Casanova, de Sade – sie waren Freigeister, die sich einer gefestigten Moral entzogen haben und sich nicht mehr vor dem göttlichen Blick duckten. Denn sie waren Männer der Aufklärung, die sie in des Wortes zweifacher Bedeutung nur allzu begierig betrieben. Und da das doch immer noch als Gotteslästerung galt, endet dieser Don Giovanni folgerichtig in der Hölle.

Es dauerte seinerzeit ja auch nicht lange, bis die libertäre Haltung abgelöst wurde von der Moral des neu entstandenen Bürgertums, beziehungsweise von dem, was von der einstigen Moral noch übrig blieb: Zucht und Ordnung. Doch weil sich das eigentliche Begehr nun einmal auch damit nicht aus der Welt schaffen ließ, entwickelte sich aus der Not, die Spaltung des Inneren und Äußeren irgendwie zu bewältigen, die Seelenforschung und schließlich die Psychologie, die uns bis heute ihren Dienst anbietet zu so mancher Erklärung über die widersprüchliche Natur von uns Menschenkindern.

Somit verspricht dieser Straßburger Don Giovanni mit Videowand und Konfrontationspodium immerhin dem Phänomen und der Entwicklung des Umgangs mit der libertären Sammelleidenschaften der Lüste wieder etwas näherzukommen. Und weil es auf einer Opernbühne nun einmal zuallererst um Gefühle geht, so mag deren Darstellung vielleicht sogar ein wenig Mitleid mit dem Schicksal des Liebhabers, Lüstlings und Affärensammlers hervorrufen – er hatte doch noch soviel vor…

Don Giovanni – von  Wolfgang Amadeus Mozart
Dramma giocoso in zwei Akten

Musikalische Leitung: Christian Curnyn
Inszenierung: Marie-Eve Signeyrole

Straßburg – Opéra
SA 15. Juni, 20.00 Uhr
DI 18. Juni, 20.00 Uhr
DO 20. Juni, 20.00 Uhr
SO 23. Juni, 17.00 Uhr
DI 25. Juni, 20.00 Uhr
DO 27. Juni, 20.00 Uhr

Mulhouse – La Filature
FR 5. Juli, 20.00 Uhr
SO 7. Juli, 17.00 Uhr

Informationen und Tickets unter: www.operanationaldurhin.eu

Rezital – französische Melodien
Karina Gauvin (Sopran), Maciej Pikulski (Klavier)
MO 17. Juni, 20.00 Uhr – Oper Straßburg

Hommage an Eva Kleinitz
Am 30. Mai 2019 ist die Intendantin der Rheinoper Straßburg Eva Kleinitz im Alter von nur 47 Jahren gestorben. Chor, Sänger und Tänzer des Hauses erweisen ihr eine künstlerische Hommage, zu der alle, die Eva Kleinitz Ehre bezeugen möchten, eingeladen sind.
Montag 24. Juni, 20.00 Uhr in der Oper Straßburg

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