Lustig oder auch nicht: Arsmondo widmet sich dem Zigeunerleben

Das Festival Arsmondo führt uns seit 2018 in die Kulturen der weiten Welt. Zwei Ausgaben waren Corona-bedingt ausgefallen (Indien) oder ins Internet verlegt (Libanon). Nun dürfen wir wieder in die Ferne schweifen – und zwar in jene, die gleich um die Ecke liegt: zur Kultur der Zigeuner

Lustig ist das... egal, wie wer sich nun ausdrückt, auf den eigenen Ausdruck kommt es an. Selbstbewusstsein heisst, sich selbst zu sein. Festival Arsmondo Tsigane. Foto: © Jeannette Gregori - Arsmondo OnR

(Michael Magercord) – Am Anfang stand die Suche nach dem korrekten Wort: Wie soll man ein Festival benennen, das sich dreht um die Kultur der… ja, da haben es die Franzosen dann doch etwas leichter. Opernchef Alain Perroux dachte zunächst an „Gitanes“, musste aber lernen, dass sich so nur eine Gruppe aus jenem Volk bezeichnet, deren Kultur das Festival umfassend vorstellen soll. „Gens du voyage“, der heute vom Amtswegen benutzte Begriff, erschien allzu trocken, also heißt es nun „Festival Arsmondo Tsigane“, denn in diesem Wort sind alle Volksgruppen – wie man heutzutage sagt – inkludiert.

Problem gelöst – allerdings nicht auf Deutsch: „Zigeuner“, „fahrendes Volk“ oder doch das offizielle „Sinti und Roma“? Der erste Begriff gilt als unkorrekt, der zweite ist unkorrekt, weil er meist nicht mehr zutrifft, und die beiden Dritten schließen nicht alle Volksgruppen ein. Was tun? Einfach zu den vielen Veranstaltungen des Festivals gehen und sich an dem Schönen ihrer Kultur erfreuen.

Und trotzdem, der Eiertanz um die Wortfindung steht vielleicht für eine weit über alle neuzeitlichen politisch-korrekten Verkrampfungen hinausgehende Unsicherheit im Umgang mit einem uralten Konflikt: wie nämlich soll die sesshaft gewordene Zivilisation mit territorial ungebundenen Kulturen umgehen? Man muss vielleicht nicht gleich auf den alttestamentarischen Urkonflikt zwischen Kain, dem Bauern, und Abel, dem Hirten, zurückgehen. Aber es ist immer noch so: die beiden Lebensweisen unterscheiden sich in den grundlegenden Überzeugungen, nach welchen Grundsätzen sich ein Zusammenleben gestalten soll.

Die Sesshaften „besitzen“ ihren Grund und Boden, Nomaden nutzen ihn zeitlich begrenzt. Die Sesshaften richten sich ein und verteidigen ihr Eigentum, die Umerziehenden stoßen an Grenzen und gelten als Gefahr. Bei einem fahrenden Volk liegen die Dinge noch einmal anders – und heute, wo ihre Mitglieder nicht einmal mehr ihre angestammten Dienstleistungen wie etwa das Handwerk der Messerschleiferei den Sesshaften darzubieten haben, muss man den Unterschieden wohl doch tiefer auf den Grund gehen als es zuvor, als man noch leidlich nebeneinanderher leben konnte, überhaupt notwendig gewesen wäre.

Der Versuch einer Theorie: Vielleicht liegt das grundlegende Missverständnis in den unterschiedlichen Wahrnehmungen des Territorialen als Raum und als Ort. Der Sesshafte erkennt im Raum örtlich gebundene Anbauflächen, Grundstücke, Bauplätze, weist den Orten einzelne Funktionen zu, der Umherziehende schaut auf diese Welt – und nun beginnen die Spekulationen eines Sesshaften – als Geflecht aus Beziehungen. Räumliche Grenzen spielen darin eine untergeordnete Rolle, dafür aber ausgeprägte Hierarchien innerhalb der Gemeinschaften, in denen bis heute Könige walten, die egal, wer sich gerade wo befindet, immer vor Ort sind. Die Berührungspunkte der Wahrnehmungen von Raum und Ort beschränken sich heutzutage meist auf kurze Begegnungen in unseren Fußgängerzonen, wenn eine ärmlich gekleidete Frau mit Kopftuch den Sesshaften einen Becher für Kleingeld entgegengestreckt. Hinter der Bettlerin steht allerdings ein dichtes Beziehungsnetz, das oft so weit geknüpft ist, dass es bis in die entlegensten Ecken Europas reicht.

Historisch hat sich die sesshafte Zivilisation durchgesetzt, an ihren Maßstäben wird auch der Erfolg dessen gemessen, was man nun als „gelungene Integration“ oder noch anspruchsvoller als „Inklusion“ bezeichnet. Chancengleichheit soll ja zwischen allen Menschen herrschen, selbst wenn die grundlegenden Bedingungen ihrer Lebensweisen sich gewaltig unterscheiden. Und wenn es nicht gelingen will, das hehre Ziel der kompletten Angleichung der Lebensweisen zu erreichen, ist man schnell dabei, den Sesshaften mangelnde Bemühungen vorzuwerfen. So etwa den osteuropäischen Ländern, in denen Roma einen bedeuteten Anteil der Bevölkerung stellen.

Und tatsächlich liegt dort vieles im Argen. Aber man könnte auch sagen: Die Wurzel des Args ist die Unmöglichkeit, einfach nebeneinanderher leben zu können. Vor allem in der kommunistischen Zeit wurden die Roma zu Sesshaften gemacht und in lagerähnlichen Siedlungen untergebracht. Allerdings machen viele dieser Orte kaum den Eindruck von gelebter Sesshaftigkeit. Ziemlich heruntergekommen sind die Örtlichkeiten, Gerümpel, das den Kindern als Spielplatz dient, markieren oft ihre Siedlungen. Der polnische Schriftsteller Andrzej Stasiuk fand auf einer Reise im Osten der Slowakei für einen Plattenbau, der von Roma bewohnt wurde, eine eindringliche Beschreibung: Aus dem öden Panelak sei so etwas wie ein lebendiger Organismus geworden.

Lustig ist das Zigeunerleben? – Selbst wenn man die Stellplätze für die „Gens du voyage“, die etwa die Kommunen in Frankreich für das nach wie vor fahrende Volk meist am Rande von Gewerbegebieten angelegt haben, mag man das nicht wirklich glauben. Man kann es natürlich auch positiver wenden: Im Beibehalten der eigenen Lebensweise, und ist sie auch noch so prosaisch in ihrer Wirklichkeit, manifestiert sich ein tiefer Freiheitsdrang, der bei den Sesshaften auch immer etwas Bewunderung hervorrufen kann. Die Sichtweisen auf das Leben der Anderen können also unterschiedlich sein, doch bleibt die Annahme, deren Leben sei lustig oder traurig, nichts weiter als eine Projektion, der man einmal mehr nur seine eigenen, alteingesessenen Maßstäbe zugrunde gelegt hat.

Alles Vergleichen und Theoretisieren, so hilfreich es sein kann, reicht nicht, um das doch so nahe Fremde zu erfassen. Doch gottlob hat jede Kultur ihre eigenen Ausdruckweisen entwickelt, so dass man immer die Möglichkeit hat, sie durch das pure Erleben kennenzulernen. Die Chance, die nun das Festival Arsmondo in Straßburg bietet, gilt es wahrzunehmen. Klar, selbst die Kultur ist bei uns sesshaft geworden, und so sind die kulturellen Begegnungsorte heutzutage nicht nur in den Fußgängerzonen, sondern auch in Theatern, Kinos, Ausstellungs- und Hörsälen zu finden.

Arsmondo Tsigane hat sich einiges vorgenommen: einen Opernabend mit zwei kürzeren Werken aus Spanien und Mähren; Konzerte mit Flamenco oder Manouche-Jazz, der ja der einzige Jazz-Stil ist, der originär aus Europa kommt; eine Performance über die polnische Roma-Dichterin Papusza; dazu Aufführungen von klassischen Chorwerken, eine Filmserie, Foto- und Kunstausstellungen und Konferenzen zur Zigeunermusik, aber auch der sozialen Lage des Volkes in Europa.

Ob wir danach dann schlauer sind? Den Versuch, auf diese Weise klüger zu werden, lohnt es, denn auf jeden Fall werden wir dabei bestens unterhalten, was vielleicht an sich schon ein Erkenntnisgewinn ist – oder wie der Poet und Zirkusdirektor Alexandre Romanès es ausdrückt: „Ich habe immer noch nicht verstanden, wie die Dinge in der Welt vor sich gehen, aber ich weiß, was der Himmel noch von mir verlangt. Es gilt, keine Zeit mehr zu vergeuden. Ab sofort kümmere ich mich um alles, was schön ist.“

Festival Arsmondo Tsigane

Unterschiedliche Veranstaltungen an verschiedenen Orten vor allem in Straßburg: Oper, Rezital, Konzerte, Ausstellungen, Filmvorführungen und Konferenzen.
Im Mittelpunkt stehen die beiden Opern von Manuel de Falla und Leoš Janáček.
15. – 24. März in Straßburg
1. und 3. April in Mülhausen

Einen interessanten Kammerkonzert und Liederabend bietet das originelle Straßburger „Ensemble Accroche Note“:

MO, 21. März in der Rheinoper

In die neuste CD des Ensembles mit eigenwilligen Solo-Liedern von u.a. Rihm, Dusapin und Mâche, dargeboten von der Sängerin Françoise Kubler, kann man HIER hineinhören.

Eine Performance der eigenen Art mit Gesang, Tanz und Musik über die polnische Roma-Dichterin Papusza zeigen Bogumila Delimata und Cristo Osorio

DO, 31. März im Straßburger Konservatorium Cité de la Musique et de la Danse

Und dann gibt ein spezielles Angebot für junges Publikum: ein ganzer Tag mit Workshops zu Musik, Flamenco-Tanz und Geschichtenerzählen.

SO, 3. April, Rheinoper Straßburg, Salle Grenier

Das komplette Programm, weitere Infos und Tickets findet man HIER!

Und dann doch dies: Ein ausgewiesener Kenner der Lage der Roma in Osteuropa ist der in Prag ansässige deutsche Fotograf Björn Steinz. Er hat den Alltag in Roma-Siedlungen im Osten der Slowakei über fünf Jahre hinweg dokumentiert. Unter diesem LINK sind einige der Bilder zu sehen!

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