Macrons Flucht nach vorne

In Frankreich geht nichts mehr für den französischen Präsidenten. Also versucht er, mit dem Thema „Europa“ zu punkten. Vieles in seinem „Brief an die Europäer“ klingt gut. Mehr aber auch nicht.

Wie immer lesen sich Macrons Ankündigungen schön. Was fehlt, ist die Umsetzung. Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Da ihn seine Landsleute nicht mehr richtig hören, versucht sich der französische Präsident Emmanuel Macron wieder einmal auf der europäischen Bühne. Sein Brief an die Europäer, in dem er eine „Renaissance Europas“ fordert, klingt in vielen Passagen gar nicht schlecht – doch ist seine erneute europäische Initiative mit niemandem abgesprochen, wird von niemandem mitgetragen und man darf Zweifel haben, dass diese Initiative am Ende viele Ergebnisse zeitigen wird. Zwar sind einige seiner europäischen Visionen durchaus interessant, doch steht die Frage im Raum, wer diese Pläne mit wem umsetzen soll. Das klingt mal wieder mehr nach „politischer Kommunikation“ als nach einem Projektplan.

Die Luft zum Atmen wird für Emmanuel Macron in Paris immer dünner, was nicht nur an den Tränengas-Schwaden liegt, die Wochenende für Wochenende durch die französische Hauptstadt wabern. Das Tischtuch zwischen dem Präsidenten und seinem Volk ist weitgehend zerschnitten und seine salbungsvollen Ansprachen an seine Landsleute werden ihm inzwischen recht schnell wieder um die Ohren geschlagen. Wenn die Franzosen ihm nicht mehr zuhören wollen, dann vielleicht die Europäer? Zumindest der Zeitpunkt ist gut gewählt, denn mit diesem Brief an die Europäer hat Macron wenigstens schon mal den Wahlkampf für die Europawahl eingeleitet.

Aber was genau schlägt Macron in seinem Brief vor? Zunächst zeichnet Emmanuel Macron ein düsteres, allerdings durchaus richtiges Bild vom Zustand der Europäischen Union. „Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg war Europa so wichtig. Und doch war Europa noch nie in so großer Gefahr.“, schreibt der französische Präsident in seiner Einleitung. Und er weist völlig zu Recht auf die Errungenschaften Europas hin: „Wir müssen zuallererst betonen, dass das vereinte Europa ein historischer Erfolg ist – die Versöhnung eines zerstörten Kontinents durch ein einzigartiges Projekt für Frieden, Wohlstand und Freiheit. Das dürfen wir nie vergessen. Und dieses Projekt schützt uns auch heute noch.“ Diese Erinnerung an die europäischen Grundlagen ist heutzutage so wichtig wie nie zuvor.

Erstaunlich, dass Macron für Europa erkennt, was er in seinem eigenen Land nicht auf die Reihe bekommt: „…es muss mehr getan werden und schneller.“ Stimmt. Für Frankreich und für Europa. Aber warum sollte Europa Emmanuel Macron für fähig halten, dies auf europäischer Ebene zu bewerkstelligen, wenn er die gleichen Grundsätze nicht einmal in seinem eigenen Land umsetzen kann?

Eine „Europäischen Agentur für den Schutz der Demokratie“. – In seinem Brief macht Emmanuel Macron auch ganz konkrete Vorschläge. So regt er die Einrichtung einer „Europäischen Agentur für den Schutz der Demokratie“ vor, mit deren Hilfe Cyberangriffe und Wahlmanipulationen in den europäischen Ländern bekämpft werden sollen. Und damit niemand von außen in die europäische Politik eingreift, möchte er auch die Finanzierung europäischer politischer Parteien durch fremde Staaten verbieten. Schlecht für die AfD und deren Schweiz-Connection, schlecht für den Front National und dessen Russland-Connection… und – ein durchaus machbares Projekt, wenn sich dafür die entsprechenden europäischen Mehrheiten in einem intergouvernementalen System finden lassen. Was erfahrungsgemäß mehr als schwer ist.

Eine gemeinsame Grenzpolizei und eine europäische Asylbehörde unter größerer europäischer Solidarität als bisher ist Emmanuel Macrons Antwort auf die Flüchtlingsfrage. Hierfür möchte Macron einen „Europäischen Rat für innere Sicherheit“ gründen, der neue, schärfere Regeln durchsetzen soll. Kein Wort zu den Kooperationen, welche die EU mit zahlreichen Diktatoren und Tyrannen unterhält, damit diese Flüchtlinge auf libyschen Sklavenmärkten verkaufen können, kein Bekenntnis zur humanistischen und humanitären Pflicht Europas, Menschen vor dem sicheren Tod im Mittelmeer zu retten. Doch eine perfektionierte Abschottung Europas ist nicht unbedingt die richtige Antwort auf die Frage, wie man menschenwürdig mit Flüchtlingen umgeht.

Und natürlich soll Europa mehr in Rüstung investieren, um die gemeinsame Verteidigung zu organisieren. Da freuen sich auf jeden Fall schon mal Dassault, Rheinmetall und Heckler & Koch.

Sein Exkurs zum Thema „Freihandel“ liest sich gut und richtig. „Welche Macht der Welt nimmt es hin, weiter Handel mit denjenigen zu treiben, die keine ihrer Regeln einhalten?“, fragt Macron. Doch die weiteren Ausführungen klingen ein wenig nach Handelskrieg à la Trump („Wir müssen unsere Wettbewerbspolitik reformieren, unsere Handelspolitik neu ausrichten und in Europa Unternehmen bestrafen oder verbieten, die unsere strategischen Interessen und unsere wesentlichen Werte untergraben, wie Umweltstandards, Datenschutz und eine Entrichtung von Steuern in angemessener Höhe; und in strategischen Branchen und bei öffentlichen Aufträgen zu einer bevorzugten Behandlung europäischer Unternehmen stehen, wie es unsere Konkurrenten in den USA und in China tun“).

Eine europäische Grundsicherung? – Hoch interessant ist Macrons Ansatz zur Einführung einer sozialen Grundsicherung für alle Europäerinnen und Europäer. Die Idee eines „jedes Jahr gemeinsam neu verhandelten europaweiten Mindestlohns“ lohnt, dass man darüber ernsthaft nachdenkt und auch auf europäischer Ebene die dafür erforderlichen Budgets bereitstellt.

Zum Thema Klimaschutz definiert Macron konkrete Ziele: Null CO2-Emissionen bis zum Jahr 2050, 50 % weniger Pestizide bis 2025. Hierfür will Macron eine „Europäische Klimabank für die Finanzierung des ökologischen Wandels“ einrichten, ebenso wie eine europäische Behörde für die Lebensmittelsicherheit. Und dann kommt ein Satz, den man sich merken sollte: „Von der Zentralbank bis hin zur Europäischen Kommission, vom EU-Haushalt bis hin zum Investitionsplan für Europa – alle unsere Institutionen müssen den Schutz des Klimas zum Ziel haben“.

Dazu lanciert Emmanuel Macron auch gleich einen neuen Slogan für Europa: Freiheit, Schutz, Fortschritt. Zusammen mit Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sollte das dann ja klappen. Offen bleibt allerdings, wer diese Dinge umsetzen soll. Frankreich? Deutschland? Großbritannien?

Vieles im Schreiben Macrons lohnt das Nachdenken. Doch fehlt, wie seit zwei Jahren in fast allen Ansprachen Macrons, das konkrete Element. Mit „man müsste mal“ oder „man könnte mal“ wird sich Europa nicht verändern. Und angesichts dieser fehlenden Handlungsstränge sei die Frage gestattet, ob dieser Brief nicht vor allem den Zweck hat, die Aufmerksamkeit von seinen innenpolitischen Krisen abzulenken, die nicht nur nicht geregelt sind, sondern die im März sogar noch eine Eskalation erfahren könnten.

So schön sich dieser Brief in einzelnen Passagen auch liest, die entscheidenden Fragen lässt er offen. Nämlich diejenigen, mit denen man klären könnte, wer konkret wann und mit wem was tut. Und so lange man diese Fragen nicht stellt, sind und bleiben wir in der „politischen Kommunikation“. Diese durch konkrete Projekte mit Leben zu behauchen, wird das große Kunststück sein. Für das es zumindest momentan selbst an Unterstützern in Europa fehlt. Ob das wirklich eine „Europäische Renaissance“ werden kann?

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