Macrons Geheimwaffe
Es ist sicherlich der Lieblingsartikel der französischen Verfassung für Emmanuel Macron. Artikel 16 gibt ihm nämlich die Möglichkeit, unter Umständen einfach alleine zu regieren.

(KL) – Dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ein derartiges politisches Chaos ausgelöst hat, kommt nicht von ungefähr. Denn sollte dieses programmierte Chaos am 7. Juli eintreten und Frankreich praktisch unregierbar werden, kann Macron unmittelbar vor dem Start der Olympischen Spiele den Verfassungsartikel 16 ziehen, mit dem er faktisch alle Macht an sich ziehen kann.
Und das besagt dieser Verfassungsartikel 16: Der Präsident kann erweiterte Machtkompetenzen beanspruchen, falls „eine schwere und unmittelbare Bedrohung der Institutionen der Republik, der Unabhängigkeit seines Staatsgebiets oder der Durchführung internationaler Verpflichtungen“ vorliegt, oder wenn „das normale Funktionieren der verfassungsgemäßen öffentlichen Verwaltung“ unterbrochen wird. Dies in einer Sitution darzustellen, in der dieser Präsident dafür gesorgt hat, dass diese Bedingungen zumindest teilweise erfüllt sind, ist nicht sonderlich schwer.
Um diesen Artikel 16 zu aktivieren, muss sich Emmanuel Macron lediglich mit seinem Premierminister, den Präsidenten der beiden Kammern (Assemblée Nationale und Senat) und dem Verfassungsrat besprechen (wobei er alleine die Entscheidung trifft) und die Nation informieren, dass er nun alleine herrscht.
Eine besondere Rolle kommt dem Verfassungsrat zu, der diese Ermächtigung des Präsidenten nach 30 Tagen und auf Antrag von mindestens 60 Abgeordneten überprüfen kann, bzw. nach Ablauf von 60 Tagen die Gültigkeit dieser Ermächtigung jederzeit überprüfen, beenden oder verlängern kann. Nun weiß man aber spätestens seit der höchst umstrittenen Rentenreform, dass Macron den Verfassungsrat weitgehend kontrolliert und man davon ausgehen muss, dass dieser keine Entscheidung zu Ungunsten des Präsidenten treffen wird.
Während dieser Ermächtigung kann der Präsident faktisch tun und lassen, was er will, wobei er leidglich drei Dinge nicht tun kann. Er darf das Parlament nicht auflösen, er darf das Parlament nicht daran hindern, zusammenzutreten und er kann in einer solchen Phase keine Verfassungsänderungen anstoßen oder gar entscheiden.
Doch auch, wenn Artikel 16 sagt, dass diese Ermächtigung nur temporär ist und eine Antwort auch konkret benannte Probleme sein soll, kann Macron diese Ermächtigung mit Hilfe des Verfassungsrats deutlich in die Länge ziehen. Es wäre verwunderlich, wenn dieser Mann, der ganz offensichtlich davon überzeugt ist, dass er „Präsident von Gottes Gnaden“ ist, ein solches Instrument verwendet, wenn ihm die Franzosen am 7. Juli faktisch die Macht entzogen haben werden.
Allzusehr sollte es Emmanuel Macron dann aber doch nicht übertreiben, denn Artikel 68 der Verfassung besagt, dass der Präsident vom Obersten Gerichtshof abgesetzt werden kann, wenn er Dinge tut, die eindeutig gegen seine Aufgaben als Präsident verstoßen. Doch auch das muss erst einmal nachgewiesen werden und angesichts dieses Artikels 16, aber auch des Artikels 49.3, der es der Regierung erlaubt, am Parlament vorbei zu agieren, stellt man fest, dass Frankreich dringend seine Verfassung überarbeiten muss. Denn eine solche Machtfülle auf einen einzigen Menschen zu übertragen, dessen persönliche Interessen mehr als unklar sind, ist gefährlich. In Deutschland wissen wir das – wir hatten schon einmal einen Politiker, der sich per „Ermächtigungsgesetz“ die alleinige Macht gesichert hat. Muss Frankreich erst ähnliche Erfahrungen machen, bevor es seine anachronistische Verfassung modernisiert?
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