Mahler kreuzt Blicke mit Ligeti

Es ist wieder soweit: am Donnerstag und Freitag folgt ein weiteres Konzert der Straßburger Philharmonie mit einer Symphonie von Gustav Mahler – dieses Mal wird ihr das Violinkonzert eines anderen „Übermusikers“ vorangestellt.

Gustav Mahler, Inspiration. Foto: Gemälde - Akselei Gallen Kallela / Foto - Nationaal Archief Marcel Antonisse / CC-BY-SA 3.0

(Von Michael Magercord) – Schon mal was von „Übermusik“ gehört? Als solche nämlich bezeichnete ein zeitgenössischer Kritiker die 4. Symphonie von Gustav Mahler. Dieses Werk, das sich aus Liedern zu Gedichten der Romantik speist, enthalte, so Theodor Kroyer nach der Uraufführung 1901, „kein originelles Fühlen“. Alles sei „Technik, Berechnung und innere Verlogenheit, eine kränkliche, abschmeckende Übermusik“. Und ganz, als wollte der Komponist dem Kritiker noch hinterher rufen: „mission accomplie“, endet seine Symphonie mit der Textzeile: „Keine Musik ist ja nicht auf Erden“.

Kann letztlich Musik nicht immer nur „Übermusik“ sein, also etwas Schwebendes bleiben und nie zur greifbaren Materie werde? Wenn man Mahlers 4. Symphonie hört, dann muss man dem wohl zustimmen. Sie basiert auf Texten aus der Zeitschrift „Des Knaben Wunderhorn“, die Clemens von Brentano und Achim von Armin Anfang des 19. Jahrhunderts in Göttingen ins Leben riefen. Romantisch ging es darin zu, überweltlich könnte man sagen, denn laut Arnim vollzieht sich alles, was auf der Welt geschieht, der Poesie wegen: „Das Leben mit einem erhöhten Sinne und in einem erhöhten Sinne zu leben“ lautete seine Devise, und die Geschichte der Menschheit sei darin nur der Ausdruck der allgemeinen Poesie des Menschengeschlechts.

Spötter könnten nun heute einwenden, dass es um die kollektive Poesiefähigkeit nicht allzu gut bestellt ist, wenn man die Historie seither betrachtet. Aber das würde der umfassenden Weltbetrachtung der Romantiker nicht gerecht. Denn auch die unerklärlichen Tiefen des Lebens gehören dazu. Und es mag diese tragische Dimension des Menschseins gewesen sein, die dem Kritiker einhundert Jahre später in der fortschrittlich gesinnten, voranstürmenden wilhelminischen Epoche wohl schon abhandengekommen war. Gustav Mahler aber gab ihr nun ihren musikalischen Ausdruck in seiner 4. Symphonie.

Allein die Satzbezeichnungen weisen auf die Grundhaltung: „Bedächtig, nicht eilen“, das Scherzo „ohne Hast“, „ruhevoll“ das Adagio, „sehr behaglich“ der Abschluss. Und trotzdem bleibt es nie dabei, bekannte Melodien aus Kinderliedern, werden gebrochen, fast fließend geht es über in ein vermeintliches Chaos. Mehrfach wird der Anschein des totalen Zusammenbruchs erweckt, der aber durch einen explosionsartigen Durchbruch abgewehrt wird, um erneut zur Ruhe zu kommen. „Der Himmel hängt voll Geigen“, heißt es im Text, und man darf wohl vermuten, dass es um eine Vision von einem Paradies geht, an dessen Schwelle der Mensch sich zwar im Grunde immer befindet, die er aber nicht zu überqueren vermag – „Als-Ob von der ersten bis zur letzten Note“, wie Theodor Adorno die 4. Symphonie charakterisierte.

Heute ist Mahlers 4. Symphonie eines der meist aufgespielten Stücke des Komponisten, er selbst bezeichnete sie als eines seiner besten Werke. Im Katalog der Klassifizierungen firmiert sie oft unter der Bezeichnung „postromantisch“. Wer sich ein wenig mit Bestimmungen von Epochen beschäftigt hat, dem schleicht sich nun wohl noch ein anderer Begriff eines Epochenabgesangs ein: Postmoderne. Ja, das soll unsere Epoche sein mit einer Kultur der Beliebigkeit, in der alles möglich ist, alles erlaubt, nichts bleibend und von der auch nichts bleiben wird. Ob das schließlich so kommen wird?

Ein früher musikalischer Vertreter dieser Kulturepoche ist György Ligeti, der ungarische Komponist, der bis zu seinem Tod 2006 in Österreich lebte. Sein Violinkonzert aus dem Jahre 1992 wird in dem Konzert der Straßburger Philharmonie der Mahler-Symphonie vorangestellt. Ein Werk zwischen allen Stühlen, liest man die Liste der Einflüsse, die Ligeti darin bearbeitet hat: ungarische Volkstänze, bulgarische Tanzrhythmen, Musik aus dem Mittelalter und der Renaissance und dazu noch Anklänge ans javanische Gamelan.

Ein Werk, das eher eine Suche protokolliert als etwas Fertiges präsentiert und so manchen Klassifizierer vor Rätsel stellt. Also vielleicht besser eine Interpretin zu Wort kommen lassen? Die Geigerin Patricia Kopatschinskaja drückt ihre Erfahrung mit dem Werk so aus: „Ein kompliziertes und virtuoses Puzzle, das in seiner Gesamtheit einen höchst farbigen, gleichzeitig fremdartigen und doch vertrauten, manchmal flimmernden und manchmal schwebenden Höreindruck erzeugt“. Vielleicht aber könnte man auch einfach sagen: Übermusik.

Straßburger Philharmonie OPS: “Kreuzende Blicke – Regards croisés”
György Ligeti: Violinkonzert (1992)
Gustav Mahler: Vierte Symphonie (1901)
Violine: Charlotte Juillard
Sopran: Anna Lucia Richter
Dirigent: Marko Letonja

Im Salle Érasme des PMC
DO 09. und FR 10. Januar, 20 Uhr

Informationen und Tickets unter:
www.philharmonique.strasbourg.eu

Weitere Konzerte des Mahler-Zyklus
5. Symphonie: DO 13. und FR 14. Februar, 20 Uhr – PMC
2. Symphonie: DO 2. und FR 3. April, 20 Uhr – PMC
3. Symphonie: DO 14. und FR 15. Mai, 20 Uhr – PMC

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