Marathon Man

Emmanuel Macron tourt gerade durch Frankreich, trifft die Bürgermeister und die Jugend des Landes und ist so präsent vor Ort wie nie. Das muss er allerdings auch.

Na, die Reformen müssen schon etwas grösser ausfallen, als es Emmanuel Macron vor den Bürgermeistern zeigt... Foto: ScS EJ

(KL) – Nein, das ist nicht Heinrich IV., der nach Canossa geht, aber fast. War der französische Präsident Emmanuel Macron noch vor wenigen Wochen der große Abwesende in den sozialen Debatten und Unruhen, die gerade Frankreich nicht zur Ruhe kommen lassen, so besetzt er seit Beginn der „Großen Nationalen Debatten“ die Liveschalten aller Nachrichtensender. Macron reist kreuz und quer durch Frankreich, trifft sein Volk, das ihm Hochnäsigkeit und Distanz vorgeworfen hatte und versucht dabei, vor allem diejenigen zu überzeugen, die seine besten Multiplikatoren sein könnten: die Bürgermeister und Bürgermeisterinnen der Kommunen, Gemeindeverbände, Dörfer, Städte, Metropolen. Und danach, soviel ist klar, wird er den Franzosen eine andere Vision Frankreichs anbieten müssen, ein neues Frankreich, das weniger verwaltungslastig und ineffizient ist, ein Frankreich, in dem Staat und Bürgerinnen und Bürger eine Einheit bieten und sich in einem permanenten Austausch befinden. Und das war es schließlich auch, was er in seinem Wahlkampf versprochen hatte.

Momentan laufen in ganz Frankreich tausende Diskussionsrunden unter dem Titel der „Großen Nationalen Debatten“. Bei diesen Runden geht es immer um jeweils spezifische Themen und die Teilnehmer erarbeiten gemeinsam Vorschläge, die nach Paris weitergeleitet werden sollen. Was dort mit diesen Vorschlägen passiert, weiß noch niemand so genau. Allerdings kann es sich Emmanuel Macron nicht leisten, diese Vorschläge einfach in einer Schublade verschwinden zu lassen – die Franzosen erwarten jetzt Antworten.

Die Aufgabe für die Regierung ist immens. Denn Emmanuel Macron muss nicht nur Antworten in sozialen Bereichen geben, die seit fast drei Monaten von den „Gelbwesten“ gefordert werden, sondern er muss gleichzeitig tiefgreifende Reformen in der völlig verkrusteten und in Teilen anachronistisch anmutenden französischen Verwaltung vornehmen. Dazu muss er dafür sorgen, dass in diesen Zeiten des Umbruchs die Wirtschaft nicht wieder in eine Rezession rutscht, nachdem es gerade erste, zaghafte Anzeichen für einen Aufschwung gab. Und er muss es irgendwie schaffen, dass die Franzosen nach den Präsidenten Sarkozy, Hollande und den ersten beiden Jahren der Amtszeit Macron das Vertrauen in die Politik zurückgewinnen – und das dürfte von allen Aufgaben die schwierigste sein.

Dass viele Beobachter am Format dieser „Großen nationalen Debatten“ haben, ist durchaus berechtigt. Es hat in der Vergangenheit schon oft einen solchen strukturierten Dialog zwischen Zivilgesellschaft und Politikern aller Ebenen gegeben, bei denen engagierte Bürgerinnen und Bürger Vorschläge erarbeiteten, nur um Jahre später festzustellen, dass sich niemand mehr um die Ergebnisse dieser Diskussionen gekümmert hatte, geschweige denn, dass irgendetwas von der Vorschlagsliste umgesetzt worden wäre. Häufig hatte man das Gefühl, als würden diese Bürger-Politik-Dialoge in erster Linie durchgeführt, damit die jeweiligen Politiker in ihrer Kommunikation behaupten können, sie seien „nahe an den Bürgern“. Nur – dieses Mal wird das nicht funktionieren.

Die „Großen nationalen Debatten“ müssen zu konkreten Ergebnissen führen und das in sehr kurzer Zeit. Damit das allerdings klappen kann, ist es erforderlich, dass alle gesellschaftlichen Kräfte an einem solchen Umbruch konstruktiv mitarbeiten. Hierfür könnten diese Debatten das richtige Format sein: Während Macron mit den Bürgermeistern spricht, die natürlich die Realitäten vor Ort besser kennen als jeder andere, debattieren die Bürgerinnen und Bürger, lokale Politiker, Vertreter von Vereinen und Verbänden und erarbeiten ihre thematischen Vorschlaglisten. Und im März kommt die entscheidende Phase.

Wenn diese Debatten abgeschlossen sind, werden im Elysee-Palast tausende mehrseitige Berichte eingetroffen sein, in denen die Französinnen und Franzosen der Regierung sagen, wie man ihrer Meinung nach das Leben der Menschen in Frankreich verbessern kann. Nun wird man im Elysee-Palast die Vorschläge klassifizieren, zusammenfassen, analysieren müssen, um daraus in kürzester Zeit ein Bild zu zeichnen, in welcher Reihenfolge was zu geschehen hat, damit Frankreich nicht nur aus der aktuellen Krise kommt, sondern sich selbst die Chance gibt, aus dieser Situation heraus eine umfassende Reform einzuleiten, mit der sich Frankreich tatsächlich moderner, effizienter, sozial gerechter und solidarischer aufstellen kann.

Alles, was jetzt passiert, wird schnell geschehen müssen, um weitere Schäden für den sozialen Zusammenhalt, das internationale Bild Frankreichs und die Wirtschaft zu vermeiden – der in den letzten Wochen entstandene Schaden ist groß genug. Die Präsenz Emmanuel Macrons vor Ort ist durchaus beeindruckend und er hat Recht zu kämpfen – noch ist nichts für ihn verloren. Wenn er es schafft, diesen landesweiten Elan und Willen zur Verbesserung des Lebens in der französischen Gesellschaft in konsensfähige Reformen zu kanalisieren, kann er sogar noch sein Mandat retten. Und der Präsident werden, der Frankreich ins 21. Jahrhundert geführt haben wird. Das ist die positive Option. Die negative Option ist, dass Macron nach diesen Debatten versucht auf Zeit zu spielen. Momentan steht alles auf der Kippe – die nächsten Wochen werden entscheiden, ob sich Frankreich selbst eine neue Richtung geben und damit den Druck von der Straße beenden kann.

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