Mein Atomkraftwerk, mein Kreisel und mein Hypermarkt

In der Straßburger Fotogalerie „La Chambre“ gehört das Atomkraftwerk zur Landschaft. Keine gute Nachrichten für die Gegner von Fessenheim? Vielleicht doch: denn auch der Widerstand gegen die Folgen der Kernenergie gehört dazu.

Ist das die "schöne, neue Welt", die Aldous Huxley angekündigt hatte? Foto: (c) Jürgen Nefzger

(Von Michael Magercord) – In der Rebellion kann es sehr gemächlich zugehen: Geduld, Ausdauer, Abwarten sind die Tugenden des beharrlichen Gegenwehr. Im Gegensatz zu den wilden Szenen, die uns allwöchentlich von den Protesten der Gelbwesten erreichen, produziert diese Form des Widerstandes statische, ruhige, fast schon beruhigende Bilder. Der in Frankreich ansässige deutsche Fotograf Jürgen Nefzger hat sie erzeugt, und seine Fotos bieten uns die Muße der analytischen Betrachtung inmitten widerborstiger Zeiten und empörter Zeitgenossen.

Nahe des Örtchens Bure im Departement Meusse befindet mitten im Wald von Lejuc das Widerstandsnest. Ähnlich wie im Hambacher Forst haben sich die Unentwegten in einem Hüttendorf einnistet. Der Anlass zur Waldbesiedlung ist die geplante Errichtung eines geologischen Endlagers für Atommüll. Jeder, der sich auf die Auseinandersetzung um die Nuklearenergie einlässt, weiß, dass es ein langer Kampf gegen große Widerstände ist. Die größten davon sind vielleicht die vermeintlichen Grundlagen der modernen Wohlstandszivilisation: Technik und Wachstum.

Unspektakulär sieht Widerstand aus, der sich gegen die rasende, technisierte Welt richtet, zumindest, wenn man ein karges Leben im Wald als wenig spektakulär empfindet. Baumhütten, Feuerstellen und – immerhin – Barrikaden aus Astwerk und Gestrüpp. Fotografisch fällt der Zugang zum Widerständigen darin schwer, erst ein zusammen mit den Bildern ausgestellter Text bringt seine Dimension zu Ausdruck: Zitate aus dem Buch „Walden“ des amerikanischen Autors Henry David Thoreaus von 1854 stehen dem Fotografen bei; Thoreau, der zivilisierte Naturmensch der ersten Stunde, der zugleich ein Widerstandsrecht in der Form des zivilen Ungehorsams formuliert hat gegen die Zerstörung der Natur.

Und welch gröberen Ungehorsam wider der kapitalistischen Zivilisation gibt es eigentlich, als sich aus ihrem Dauerzyklus von Produktion und Konsum auszuklinken? Dieser stille Bruch mit der gegenwärtigen Welt da draußen, und sei es nur auf Zeit, ist an sich schon der Widerstand. Zumal gegen eine Form der Energieerzeugung, die zu ihrer Bewältigung die Zukunft ins unwirkliche Jenseits verlegt: 100.000 Jahre soll das Endlager sicheren Schutz für die zukünftige Menschheit vor der Strahlung bieten. Und das alles, um den Zyklus von Herstellung und Verzehr wenige Jahrzehnte am Laufen zu halten.

Spektakulärer als eine Waldbesiedlung ist die Besetzung von Verkehrskreiseln. Doch ist sie auch ziviler Ungehorsam? Bruch mit der Welt da draußen? Ausstieg aus dem Zyklus? Die Gelbwesten sind Teil der Autofahrergesellschaft, ihr Protest hat sich am Autofahren entzündet, beziehungsweise daran zu befürchten, es sich nicht mehr leisten zu können. Die erzwungenen Staus im samstäglichen Betrieb sind eine Forderung nach Teilhabe am Betrieb. Ausgerechnet auf dem Kreisel, dieser raumgreifenden und naturvergeudenden Form der Straßenkreuzung – Widerstand als störendes Element am symbolischen Element der modernen Gebrauchslandschaft aus periurbanen Wohnsiedlungen, Verkehrsnetzen, Gewerbe- und Einkaufszonen.

Es ist diese Landschaft, die auf den großformatigen Bildern sichtbar wird, die den zweiten und älteren Teil der Ausstellung bilden: Landschaften mit Atomkraftwerk. Wieder sind es statische, ruhige Bilder, aber keine beruhigenden. Der Fotograf Jürgen Netzger versieht seine Landschaftsbeschreibungen mit Adjektiven: wirtschaftlich, politisch, gesellschaftlich. Solche Landschaften nimmt man sonst eher in Bewegung wahr, vorzugsweise aus dem Auto – als Pendler, Freizeitchauffeur oder beim samstäglichen Ausflug zum Hypermarkt auf der einstmals grünen Wiese.

Die meisten Bilder stammen aus Frankreich: Ist es noch Zufall, dass Frankreich nicht nur Spitzenreiter bei der Nutzung der Nuklearenergie ist, sondern ebenso der Anzahl von Verkehrskreiseln sowie der Fläche von Einkaufszonen? Der Autor Frédéric Denhez zählt in seinem Buch über den Grund und Boden (1) auf, was hinter dieser Erfolgsbilanz steht: das Auto, der Kühlschrank, das Einfamilienhaus und der Hypermarkt. Sie bilden das Quartett, das alltäglich die Musik der periurbanen Globalisierung intoniert: der Kühlschrank erlaubt es, auf Vorrat zu einzukaufen, der Hypermarkt bietet der Mama an, dieses einmal die Woche im großen Stil zu tun, was sie nun auch muss, seit Papa ein Einfamilienhaus gebaut hat, ohne sich Gedanken um die umliegende Infrastruktur gemacht zu haben – das Auto steht ja vor der Tür.

Landschaften sind für den Betrachter, der sich die Muße nimmt, sie genau zu beschauen, wahre Augenöffner. Alles, was die Gesellschaft, die darin lebt, bewegt und in Bewegung setzt, lässt sich darin ablesen: ihre Geschichte durch historische Bauten und die alten Wegenetze, die Besitzverhältnisse und Form der Eigentumsrechte, als auch der Verwaltung, zentral oder dezentral, aber auch was die Gesellschaft dieser Landschaft für wichtig erachtet, ja selbst ihre kollektiven Wünsche lassen sich darin erkennen.

Grenzgänger, die wir hier am Oberrhein oft sind, können sich den Spaß machen, Schlüsse aus Vergleichen zu ziehen: Was bedeutet es, dass etwa im Elsass seit den 70er Jahren die riesigen Agrarflächen die Rheinebene dominieren, während drüben im Badischen nach wie vor etwas kleinteiligere Felder vorherrschen? Oder was will uns die Omnipräsenz der periurbanen Strukturen in weiten Teilen Frankreichs sagen? Erlaubt sie uns einen Hinweis auf die wahren Gründe der ebenso weit verbreiteten Unzufriedenheit im Lande?

Diese Fotoausstellung bietet die Chance, über eine politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Landschaft in Gedanken einzutauchen, auch weil die Bilder von im Grunde bewegten Orten so statisch sind. Klar, dass das nicht unbedingt schöne Landschaften sind. „Schöne Landschaften“, sagt der Fotograf Jürgen Nefzger, „überlasse ich der Werbung“. Sie können aber auch selber eine Werbung sein, wie unsere Reihe im Januar mit den Bildern von Frantisek Zvardon beweisen: Werbung nämlich für den leisen Widerstand und zivilen Ungehorsam gegen die Politisierung und Ökonomisierung unserer Landschaft.

„Fluffy Clouds“ und „Bure oder das Leben im Wald“
Ausstellung mit Fotos von Jürgen Nefzger
„La Chambre“ am Place d’Austerlitz, Straßburg
noch bis 24. Februar 2019.
MI-SO 14.00 bis 19.00 Uhr, Eintritt frei.

Infos unter: www.la-chambre.org

Website des Fotografen: www.jurgennefzger.com

(1) Weiterführende Literatur (Französich):
„Le Sol“, Frédéric Denhez
Flammarion 2014, 7,- €

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste