Mein lieber Schwan – Tschaikowskis beliebtes Ballettstück in der Rheinoper

Weißer Schwan, schwarzer Schwan – das Verwirrspiel um die Farbgebung des eleganten Federviehs ist das beliebteste Tanztheater aller Zeiten. Natürlich erfährt es ab und an einen Wandel wie nun in der Rheinoper zu Straßburg, doch nur um ewiglich zeitlos zu bleiben.

Ein echter Klassiker - Schwanensee! Foto: Opéra National du Rhin / Aghata Poupenay

(Von Michael Magercord) – Von Anbeginn seiner Existenz in dieser Welt begleitete jegliche Kritik an dem Ballettwerk „Schwanensee“ von Piotr Iljitsch Tschaikowski die kritische Kritik an der Kritik, und kritische Kritiker wurden seither vom begeisterten Publikum zur Hölle gewünscht. Und so wird es auch jedem Kritiker ergehen, der sich an einer Kritik über die Neuinszenierung in der Rheinoper zu Straßburg versucht. Dieses Tanztheater ist einfach das beliebteste und meistgespielte Ballett aller Zeiten und wird es – soviel sagt dieser Kritiker nun voraus – bis in alle Ewigkeiten bleiben.

Musik und Choreografie aus dem Jahre 1877 wurden von Anfang an belacht und bejubelt, was beides seine Gründe in Einem hat: Alle gängigen Formen und Stile des Tanztheaters sind in das Stück eingearbeitet und werden darin abgefeiert, vom lyrischen „pas de deux“ über die Massen-Polonaise bis zum feurigen Hochleistungsvolkstanz ist alles dabei, was Herz des Tanztheaterliebhabers begehrt und seine Seele und streichelt. Fünfzehn Jahre mussten noch vergehen, dann wurde eine erste, richtungsweisende Choreografie von Marius Petipa und Lew Iwanow ausgearbeitet. Seither ist die getanzte Geschichte um den weißen und den schwarzen Schwan, Odette und Odile, Siegfried und Rothbart, das Ballettwerk schlechthin.

Und trotzdem wurde das Werk immer wieder aufs Neue bearbeitet und wird es weiterhin. So auch bei der neuerlichen Ausgabe in Straßburg. Dieses Mal kommt der Erneuerer aus Nordafrika, und er erhebt den Anspruch, dieses Werk der Ewigkeit nun auch für das 21. Jahrhundert tauglich zu machen. Der tunesische Choreograf Radhouane El Meddeb, der zunächst im Sprechtheater und nun im zeitgenössischen Tanz tätig ist, wird laut der OnR-Vorveröffentlichung mithilfe von Schwanensee „seine Wurzeln, die Beziehung zu seinem Gegenüber und was diese über ihn selbst enthüllt“, enthüllen.

Man darf also gespannt sein, wie er das tut, eines ist jetzt schon bekannt: der 3. Akt wird herausfallen, und damit die Volkstanzszenen. Zuviel der Folklore, sagt der Choreograf, und dieser Kritiker muss auch auf die Gefahr hin, nun doch in der Hölle zu enden, gestehen, dass ihn genau dieser wilde Teil schon immer etwas störte inmitten der stolzen Schwäne und zarten Schwäninnen.

Was sich allerdings sowieso schon immer die jeweiligen Geschmäcker der Zeit angepasst hatte, ist das Ende der Geschichte. Das war mal tragisch, wenn der Held alles richtig machen will und doch nur Tod und Untergang in den Untiefen des Sees findet, mal heroisch, wenn er sich im Kampf gegen den Fluch des bösen Zauberers über die Prinzessin opfert, oder düster, wenn das Paar schließlich freiwillig aus der Bühnenwelt scheidet. Welches Ende wird uns nun in der Version bereitgehalten, die für das 21. Jahrhundert taugt?

Das Stück selbst böte ja durchaus noch weitere Zuspitzungen: man könnte zum Beispiel den homoerotischen Aspekt noch vertiefen, da ja – oh mein lieber Scholli – der Prinz mit seinem zum schwarzen Schwan verhexten Jugendfreund ein scharfes „pas de deux“ aufs Parkett legt. Da wäre in Anbetracht der Gerüchte über die sexuellen Neigungen Tschaikowskis noch was zu holen. Oder es ließe sich auch eine Variante denken, in der sich der Prinz gänzlich für den Schwan entscheidet und sich gar nicht mehr eine tatsächliche Frau zur selbigen wünscht, zumal der Komponist die seine – glaubt man seinen nachgelassenen Briefen – nicht ausstehen konnte.

Mein lieber Schwan, da scheint dieser Kritiker ja schon im Vorfeld daran zu arbeiten, aus der Hölle nie wieder herauszukommen – oder gelangt er doch noch ins Paradies? Denn eines, sagt der Kritiker nun mit absoluter Bestimmtheit, wird sich niemals ändern: wunderbar leicht werden die Schwäne ihre Flügelarme wiegen, und ohne jemals abzuheben, gleiten sie doch so sanft dahin. Und wie zauberhaft ist der Abstieg in die Welt der Seen und die Verwandlungen von Mensch zu Schwan und zurück. Und ach ja, die Musik! Orchesterklänge satt, dazu herrliche Solopartien für Harfe, Geige und Flöte. Und die Geschichte: Schwan und Mensch, eine in den Legenden aller Völker innige Beziehung scheint zwischen ihnen zu herrschen, böser Zauber zwar, der für die Mutation einer Prinzessin in einen Schwan sorgte, in die – oder den? – sich der heiratsfähige Prinz verliebt hat, doch schaurig schön.

Und so rät der Kritiker schon vorab Folgendes: wer in Straßburg bei dem Begriff „Black Swans“ immer nur an diese finstere Neubaugruppe gleichen Namens am Rivetoile denken muss, der möge in der kommenden Woche in die Rheinoper gehen. Er wird darin – ganz im Gegensatz zu der irdischen Hölle aus getöntem Glas und Stahlbeton – den Vorgriff des Paradieses erleben, denn dieser Kritiker ist sich jetzt schon sicher: dort oben wird „Schwanensee“ auch noch aufgeführt werden.

Schwanensee (Le Lac des cygnes)
Ballett von Piotr Iljitich Tschaikowski

Choreografie: Radhouane El Meddeb
Musikalische Leitung: Hossein Pishkar
Bühnenbild: Annie Tolleter
Kostüme: Celestina Agostino
Licht: Eric Wurtz

Orchestre philharmonique de Strasbourg OPS

Opera Strasbourg

DO 10. Januar, 20.00 Uhr
FR 11. Januar, 20.00 Uhr
SA 12. Januar, 15.00 und 20.00 Uhr
SO 13. Januar, 15.00 Uhr
MO 14. Januar, 20.00 Uhr
DI 15. Januar, 20.00 Uhr

Colmar – Théâtre municipal de Colmar

DO 24. Januar, 20.00 Uhr
FR 25. Januar, 20.00 Uhr

Mulhouse – La Filature

FR 1. Februar, 20.00 Uhr
SA 2. Februar, 15.00 und 20.00 Uhr
SO 3. Februar, 15.00 Uhr

Informationen unter www.operanationaldurhin.eu

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