Morddrohungen und Todeslisten

Wir sind auf dem Weg zu einer „Weimarer Republik 2.0“ und was die Situation noch gefährlicher macht, ist die inzwischen weltweite Organisation von Neonazis und identitären Terroristen.

Die Morddrohungen gegen Cem Özdemir durch Neonazis müssen sehr ernst genommen werden. Foto: Bündnis90/Die Grünen Nordrhein-Westphalen / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 2.0

(KL) – Die meisten Menschen hatten noch nie etwas von der „Atomwaffen Division“ gehört. Die in den USA in kleinen Zellen organisierte Neonazi-Terrorgruppe hat auch einen deutschen Ableger und der hat sich am Wochenende zu Wort gemeldet. Mit einer Email, in der dem Grünen-Politiker Cem Özdemir dessen Hinrichtung angekündigt wird. Der braune Sumpf breitet sich immer weiter aus.

Bereits nach der Hinrichtung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke durch einen Neonazi hatte die Polizei „Todeslisten“ gefunden und auch die „Atomwaffen Division Deutschland“ sprach in ihrer Mail von solchen Listen. Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden wurde dieser deutsche Ableger 2018 gegründet und ist als gefährlich einzustufen. Die Drohungen gehen Cem Özdemir sind besonders perfide. So schreiben die Neonazis, dass sie momentan seine Hinrichtung planen und bieten gleich mehrere Szenarien dafür an. „Bei der nächsten öffentlichen Kundgebung? Oder an seinem Wohnort?“

Die Entwicklung ist mehr als besorgniserregend. Die Neonazis organisieren sich, Gewalt, Mord und Einschüchterungen sind an der Tagesordnung, und immer noch sind die Behörden nicht Willens oder in der Lage, diese braunen Netzwerke massiv zu verfolgen und trockenzulegen. Immer wieder wird relativiert, immer wieder werden diese hoch militanten Nazigruppen minimiert. Doch dass sich jetzt terroristische Nazigruppen international organisieren, das ist das Ergebnis einer laxen Verfolgung dieser Netzwerke. Wenn man bedenkt, dass nach wie vor die Implikation des Verfassungsschutzes in die Mordserie des NSU nicht aufgeklärt werden konnte, weil sich die Behörden schlicht weigerten, zu dieser Frage im Prozess eine Stellungnahme abzugeben, dann versteht man, wie sich diese Netzwerke ungehindert verbreiten konnten.

Auf den Listen, die bei dem Nazimörder von Kassel gefunden wurden, stehen Tausende von Namen. Politiker, Journalisten, Antifa-Vertreter, Künstler und eben viele Menschen, die den Mut haben, sich offen gegen diese Nazi-Banden auszusprechen. Wir sind im Jahr 2019 und man muss Mut haben, um sich gegen Nazis auszusprechen? So weit sind wir wieder gekommen?

Die Reaktion von Cem Özdemir war beeindruckend. Er selbst könne sich auf den Personenschutz durch das BKA verlassen, sagte Özdemir, aber „was ist mit all den Kommunalpolitikerinnen und den ehrenamtlich Engagierten, die angefeindet werden und keinen Personenschutz haben?“

Im Landtagswahlkampf in Thüringen berichteten der CDU- und der Grünen-Kandidat bereits von Morddrohungen gegen sie. Und nun ist endlich der Staat gefordert. Diese braunen Zellen müssen ausgehoben werden, die Neonazi-Wehrsportgruppen müssen verfolgt und zur Rechenschaft gezogen werden und dazu müssen die Behörden alle Mittel einsetzen, die zur Verfügung stehen. Der Maßnahmen-Katalog der Bundesregierung gegen rechten Terror geht nicht weit genug – wir brauchen eine Zero-Tolerance-Politik für alle rechtsextremen und verfassungsfeindlichen Organisationen. Die Neonazis können sich immer noch auf „Meinungsfreiheit“ berufen, die Behörden sind in der Verfolgung rechter Straftaten mehr als langsam und unwillig.

Für diejenigen, die es noch nicht gemerkt haben – die Neonazis schaffen gerade eine Situation wie in der Weimarer Republik. Terror auf der Straße, Einschüchterung politisch Andersdenkender, Anschläge auf Minderheiten wie das Attentat von Halle oder die Tausenden Angriffe auf Ausländer und Aufnahmestrukturen.

Die Vernetzung in einem internationalen Neonazi-Kontext muss der Ansatzpunkt sein, an dem die Ermittlungsbehörden tätig werden. Wofür haben wir einen Verfassungsschutz, wenn dieser die Verfassung nicht schützt? Hier muss nun ganz anders gearbeitet werden. Denn man muss festhalten, dass zwar identitärer Rechtsextremismus in praktisch allen Ländern anzutreffen ist, doch nirgends ist er virulenter und präsenter als in Deutschland. Ausgerechnet in Deutschland!

Wir dürfen uns nicht an diese Gewalt, die Drohungen und die Einschüchterungen gewöhnen, denn das wäre bereits das Abtreten eines Bereichs an die braunen Gruppen. Wir haben all das bereits einmal in Deutschland erlebt, wir wissen, dass betretenes Wegschauen den Weg zu Nazisystemen öffnet. Niemand darf mehr wegschauen – denn wir sind auf dem Weg in eine neue Katastrophe.

Solidarität mit Cem Özdemir und allen, die sich den Neonazis entschlossen entgegenstellen! Und, kleine Anmerkung zum Schluss – wer heute noch die Partei wählt, die den ideologischen Unterbau für diese Nazimörder liefert, der ist ebenso schuldig wie diejenigen, die den Abzug einer Waffe betätigen. Die Situation ist wesentlich schlimmer, als wir das wahrhaben möchten. Gegen den aufkeimenden Neonazismus muss heute reagiert werden – morgen könnte es bereits zu spät sein.

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