Muss Altenpflege wirklich Business sein?

Frankreich ist gerade von einem Skandal erschüttert, bei dem es um dramatische Miβstände in Altenpflegeheimen geht. Die Gier nach Gewinnen ist stärker als der Respekt vor alten Menschen.

Haben alte Menschen keinen würdevolleren Lebensabend verdient? Foto: Andreas Bohnenstengel / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0de

(KL) – Das Buch „Les Fossoyeurs“ (Die Totengräber) des freien Journalisten Victor Castanet hat in Frankreich eingeschlagen wie eine Bombe. Der Investigativ-Journalist, der nach eigenen Angaben ein Angebot über 15 Millionen Euro erhalten hatte, wenn er sein Buch nicht veröffentlicht, hat Praktiken in Altenpflegeheimen der Gruppe ORPEA aufgedeckt, die den Franzosen unter die Haut gehen. Denn laut diesem Buch, dessen Inhalt von der Gruppe ORPEA bislang unwidersprochen ist, werden alte Menschen in diesen Heimen, in denen die Unterkunft für eine Person mehrere Tausend Euro im Monat kosten kann, in Pflege, Ernährung und Zuwendung „rationiert“, damit die Aktionäre der Gruppe bis zu 6 % Rendite im Jahr ziehen können.

In der Gruppe ORPEA hat die Veröffentlichung des Buchs schiere Panik ausgelöst. Der Geschäftsführer der Gruppe Yves Le Masne wurde fristlos gefeuert und sein Nachfolger Philippe Charrier sofort zum Rapport bei Ministerin Brigitte Bourguignon einbestellt. Doch die Gruppe ORPEA gibt sich nur nach auβen geläutert – intern berichten Mitarbeiter von Aushängen, auf denen die Belegschaft aufgefordert wird, „geeint und solidarisch“ zu bleiben, das das erschienene Buch der Gruppe „schaden will“.

Bei der Gruppe ORPEA geht es ums Geld. Bei einem Umsatz von 3,9 Milliarden Euro im Jahr 2020, 111.801 Betten in 1.114 Altenpflegeheimen in 23 Ländern und mit 68.800 Mitarbeitern geht es diesem „Giganten der Altenpflege“ natürlich nicht um das Einzelschicksal der zahlenden Kunden, sondern darum, weiterhin eine Rendite von 6 % zu erwirtschaften. Dass dafür an allen Ecken und Enden gespart wird, bis hin zur Rationierung von Lebensmitteln, ist das hässliche Gesicht des Kapitalismus.

Dass eine Gruppe wie ORPEA lediglich dem Prinzip der Gewinnmaximierung folgt, ist weder illegal, noch verwunderlich. Die Frage stellt sich aber in einer immer weiter alternden Gesellschaft, ob dies die Art ist, in der wir mit den ältesten und damit schwächsten Mitgliedern der Gesellschaft umgehen wollen. Wenn alte Menschen praktisch im Vorzimmer des Todes untergebracht und dort unzureichend betreut werden, dann ist das eine Schande, nicht nur für ORPEA, sondern für die gesamte Gesellschaft.

Im Grunde ist es ähnlich wie im gesamten Krankenhaus-System. So lange betriebswirtschaftliche Belange höher eingeschätzt werden (müssen) als die Qualität der Pflege, so lange wird es Fälle wie ORPEA geben. Es würde sich lohnen darüber nachzudenken, die Kranken- und Altenpflege nicht mehr nach betriebswirtschaftlichen Aspekten zu organisieren. Gewiss, das kostet Geld. Aber sind uns unsere Alten und Kranken dieses Geld nicht wert? Wir geben Jahr für Jahr Milliardenbeträge für Waffen und ähnliches aus, aber für diejenigen, die unsere Gesellschaften aufgebaut haben, ist nichts übrig? Und wenn schon die Altenpflegeheime, die sich zahlreiche Senioren überhaupt nicht leisten können, ihre zahlenden Bewohner nicht anständig behandeln können, dafür aber Aktionäre mit dem an dieser Stelle eingesparten Geld bereichern können, dann ist tatsächlich etwas nicht in Ordnung.

2 Kommentare zu Muss Altenpflege wirklich Business sein?

  1. Schön, dass Sie sich auch diesem Thema widmen. Überraschen tut das nicht, die Zustände in Alten- und Pflegeheime sind ein Graus und das ist seit Jahren bekannt. Auch das Personal schlecht bezahlt ist, kaum alleine existieren kann und von Altersversorgung ganz zu schweigen.

    Auch bekannt ist, dass sich die Bundesregierung einer Nachhaltigkeit in den Themen Pflege und Rente seit Jahren entzieht. Auch die sogenannten “sozialen Parteien” steuern nicht gegen.

    Also, was tun? Vielleicht einfach nicht alt werden? Dagegen kann man aktiv was tun ..

    • In sämtlichen Länder katastrophal. Und die Big Player im Altenpflege-Business sind international agierende Gruppen, deren Handlungsweise selbst die französische Ministerin als “sehr zynisch” bezeichnet hat. Hier, ebenso wie im gesamten Krankenhaussektor, brauchen wir dringend einen Paradigmenwechsel…

Hinterlasse einen Kommentar zu admin Antworten abbrechen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste