Nach Akt X ist vor Akt XI – wohin steuert Frankreich?

Die Demonstrationen beim „Akt X“ am Samstag waren wie immer. Und langsam wird es langweilig, zumal parallel die „Große nationale Debatte“ begonnen hat.

Etliche Gelbwesten ziehen gerade die Westen aus, um an der "Grossen nationalen Debatte" teilzunehmen. Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – „Eine Million Demonstranten“ hatte Gelbwesten-Führer Eric Drouet für den Samstag angekündigt, den großen Volksaufstand, an dessen Ende die guillotinierten Köpfe der französischen Regierung durch die Straßen getragen worden wären. Doch wieder gingen nur rund 0,15 % der französischen Bevölkerung auf die Straße. In Toulouse gab es ein paar Auseinandersetzungen, in Paris auch, aber nichts Erwähnenswertes. 84 000 Menschen demonstrierten in ganz Frankreich, was auch die Aussage „wir sind das Volk“ immer mehr in Frage stellt. Viele der Gelbwesten zogen es dann am Samstag auch vor, an der „Großen nationalen Debatte“ teilzunehmen, denn wenn man zwei Monate lang fordert, dass man angehört werden möchte, macht es ja auch durchaus Sinn, dann den Dialog nicht zu verweigern.

Dass es Bedenken gegen das von der Regierung angebotene Debatten-Format gibt, ist nachvollziehbar. Schon zu oft haben solche Bürgerdialoge aus reinen Alibi-Gründen stattgefunden, ohne dass es zu irgendwelchen Ergebnissen gekommen wäre. Auf der anderen Seite gibt es nur einen Dialog, der garantiert zu keinem Ergebnis führt, und das ist der Dialog, den man nicht führt. Emmanuel Macron weiß nur zu gut, dass er am Ende dieses Dialogs liefern muss, und zwar nicht nur ein paar kosmetische Maßnahmen, sondern substantielle Sozialpakete, will er verhindern, dass der Rest der Jahres die 2. Französische Revolution erlebt. Insofern macht es viel Sinn, dass zahlreiche Gelbwesten sich nun an diesem Dialog beteiligen, statt sich weiter bei der Kälte die Beine an Verkehrskreiseln in den Bauch zu stehen oder sich sinnlose Prügeleien mit der Polizei zu liefern.

Es wird immer klarer, dass diejenigen, die jetzt jeden Samstag lärmend durch die Straßen ziehen und Gelegenheiten suchen, ihr Mütchen an den mobilisierten Ordnungskräften zu kühlen, wenig Interesse an sozialen Fortschritten in Frankreich haben, sondern zu denjenigen Extremisten zu zählen sind, denen es lediglich darum geht, das Land zu destabilisieren, um selbst leichter nach der Macht greifen zu können. Gestützt werden diese extremistischen Kräfte von anderen, die einfach nicht begreifen, wessen Sache sie gerade befördern. Aber wie gesagt, es handelt sich um 0,15 % der Bevölkerung, die jetzt weiter ihre „Akte“ an den Samstagen organisieren.

Doch was wird bei „Akt XI“ am nächsten Wochenende passieren? „Akt XI“ der Gelbwesten ist für den nächsten Samstag terminiert, doch am nächsten Tag, dem 27. Januar, protestieren landesweit die „Roten Halstücher“, diejenigen Franzosen, die nach zwei Monaten der bürgerkriegsähnlichen Szenen am Wochenende und der wirren Forderungen inzwischen die Nase voll haben. Die Demonstration der „Roten Halstücher“, die ein sofortiges Ende der Gewalt fordern, könnte auch zu einem unguten Aufeinandertreffen mit den radikalen Gelbwesten führen, die gerne noch einen Tag an ihren „Akt XI“ hängen werden. Wird das kommende Wochenende der Zeitpunkt werden, an dem Frankreich in Verhältnisse wie in der Weimarer Republik abdriftet?

Die einzig mögliche Antwort auf die aktuelle Krise ist tatsächlich der „Große nationale Dialog“ – der als Alternative zum Bürgerkrieg sehr sinnvoll erscheint. Und die Regierung muss sich darüber im Klaren sein, dass sie die Bevölkerung nicht länger zum Narren halten kann. Im März muss es ein Paket an ersten Maßnahmen geben, die für spürbar mehr soziale Gerechtigkeit in Frankreich sorgen.

Ansonsten können alle dazu beitragen, dass sich die Wogen etwas glätten. Ein erster Schritt wäre es, würden sich alle um einen anderen Ton in der Auseinandersetzung bemühen, denn der Austausch von Beleidigungen, Drohungen und Hassparolen ist kaum geeignet, den gerade beginnenden Dialog konstruktiv zu gestalten. Bleibt zu hoffen, dass am nächsten Wochenende „Akt XI“ zum Auftakt für eine Befriedung dieses Konflikts wird und nicht etwa der Ausgangspunkt für einen Bürgerkrieg.

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