Nach den Attentaten von Paris: Wo. Ist. Charlie?

Die französische Hauptstadt ist knapp einen Monat nach den Attentaten von Paris wieder zur Normalität zurück gekehrt. Eigentlich ist das gut, aber es fehlt etwas.

Die Normalität, zu der Paris zurück gefunden hat, lässt kaum noch darauf schließen, dass erst vor 6 Wochen vier Millionen Franzosen eine Art "republikanischen Pakt" geschlossen hatten. Foto: Eurojournalist(e)

(KL/WK) – Wenn man in Paris ankommt, erwartet man etwas. Ohne genau zu wissen, was man eigentlich erwartet. Wie drückt sich ein „republikanischer Elan“ aus? Am Bahnhof „Gare de Lyon“ sieht man im Bahnhofskiosk zwar das Buch „Nous sommes Charlie“ im Schaufenster, geschrieben von 60 französischen Autoren, aber eindeutig ein Ladenhüter. Die aktuelle Ausgabe von „Charlie Hebdo“ steht im Zeitschriftenständer und niemand würde Schlange stehen, um sein Exemplar zu kaufen. Irgendwie ist alles beängstigend normal.

Wären da nicht die schwer bewaffneten Soldaten, die mit eiserner Miene und immer zu dritt durch die Gegend patrouillieren, nur daran erkennt man, dass nicht alles so normal ist, wie es scheint. Vielleicht ist Paris zu groß, als dass man etwas anderes machen könnte, als nach dem Schrecken des Januars wieder zur Tagesordnung überzugehen.

Am Trocadéro schwärmen die Touristen aus, die Hütchenspieler freuen sich über Deppen, die sich die Scheine aus der Tasche ziehen lassen und vor dem Eiffelturm stehen die Menschen Schlange. Zwar gibt es am Aufzug nach oben Sicherheitsschleusen wie am Flughafen, doch was sollen die Sicherheitsleute machen? Bei praktisch jedem Besucher piept das Gerät, und außer Stichproben kann hier ohnehin nichts kontrolliert werden. Jeder, der so etwas tun wollte, könnte hier hinein und hinauf schmuggeln, was er will.

Auf den Champs-Elysées, bis hinunter zum Place de la Concorde, „Business as Usual“. Reiche Araber, Russen und Chinesen flanieren in Gruppen, die Modezaren zeigen ihre neuesten Modelle, Paris hat sich schnell vom Schrecken erholt. Aber eben auch von diesem undefinierbaren „republikanischen Elan“, mit dem sich am 11. Januar dieses Jahres mehr als 4 Millionen Franzosen gegenseitig versprochen hatten, künftig toleranter und freundlicher miteinander umzugehen.

Viel zu merken ist davon allerdings nicht. Die Kellner in den Pariser Cafés sind immer noch genauso arrogant wie eh und je, und niemand verspürt Lust, darüber zu reden, wie es Frankreich gerade geht. „Lass gut sein“, sagt Jean-Jacques im Bistrot im 12. Arrondissement, „das interessiert keinen.“ Von den Plakaten der Kioske lächelt Angela Merkel, die das Titelbild eines Lifestyle-Magazins schmückt. Jeder muss schauen, wie er oder sie klar kommt. Von „republikanischem Elan“ kein Spur.

Reden. Jetzt spürt man, was einem fehlt. Die Menschen in Paris sprechen nicht miteinander. Und wenn man sie auf „Charlie“ anspricht, dann geht ihnen das offenbar auf die Nerven. Aus Angst vor den nächsten Anschlägen? Weil das Leben hier einfach einen so hohen Rhythmus hat, dass man gar keine Zeit mehr hat, an gestern zu denken? Weil es den Leuten egal ist?

Dass die unmittelbare Angst verpufft ist, ist sicherlich eine gute Sache. Dass, außer in Straßburg, wo man versucht, über das Format der „Bürgerkonferenzen“ eine Art neuen Dialog zwischen den Säulen der Gesellschaft einzurichten, der Wille zu einer positiven Veränderung der Gesellschaft gleich mit verpufft ist, ist schade. Denn wenn sich nicht bald Dinge zum Besseren ändern, kann man nicht viel mehr tun, als in aller Ruhe auf den nächsten Anschlag zu warten. Irgendwie ein wenig frustrierend.

4 Kommentare zu Nach den Attentaten von Paris: Wo. Ist. Charlie?

  1. Lucia Oppermann // 2. März 2015 um 11:13 // Antworten

    “Die Menschen in Paris sprechen nicht miteinander. Und wenn man sie auf „Charlie“ anspricht, dann geht ihnen das offenbar auf die Nerven.”
    Das ist sehr schade. Allerdings muss ich ehrlich gestehen: ich hatte noch nie ein Exemplar von „Charlie Hebdo“ in den Händen. (Zwei unserer Mitarbeiter fahren heute nach Paris, und ich bin schon jetzt gespannt auf ihre Eindrücke). Nichtsdestotrotz sollte der Dialog nach den Anschlägen intensiv fortgesetzt werden.

    In Deutschland gibt es ja seit längerem den „Tag der offenen Moschee“, den interreligiöser Kalender
    http://tag-der-integration.kibac.de/medien/3dcfb46c-fade-4edd-bb33-4f1139bdeb51/Interreligi%C3%B6ser-Kalender-2015-Stand-140812-Ansicht.pdf
    und mehrere Veranstaltungen, die den aufgeschlossenen Umgang miteinander fördern:
    http://www.netzwerk-iq.de/fileadmin/user_upload/pdf/Veranstaltungen_News/IKOE-Konferenz-imap.pdf
    Allerdings erfordert dies die Bereitschaft, offen aufeinander zuzugehen und über den Tellerrand zu schauen.

    Das, was Sie über die „Bürgerkonferenzen“ in Straßburg schreiben, klingt interessant. Gibt es einen Link hierzu?
    Auf „Eurojournalist“ könnte ein vielfältigeres Meinungsbild deutlicher werden. JEDE/R hat doch etwas zu sagen! Warum nicht auf diesem Forum?

    • Kai Littmann // 2. März 2015 um 14:13 // Antworten

      Lucia, was meinen Sie mit “Auf „Eurojournalist“ könnte ein vielfältigeres Meinungsbild deutlicher werden. JEDE/R hat doch etwas zu sagen! Warum nicht auf diesem Forum?” Das klingt interessant – könnten Sie das noch etwas vertiefen? Vielen Dank!

  2. Ja, gerne.
    Damit meine ich, dass doch viele Menschen die Möglichkeit haben, ihre Meinung unter “Kommentare” zu äußern. Leider wird das auf diesem Forum kaum angenommen und genutzt. Warum?
    Ist es Gleichgültigkeit oder Angst anzuecken bzw. nicht verstanden zu werden? Ich mag es, wenn die Meinungsvielfalt lebt. Manchmal befindet man sich mit seinem Denken ja in einer Sackgasse… Dann ist es eine Bereicherung, sich von anderen anregen zu lassen.

    Ich kenne “Eurojournalist” erst seit kurzem und kann sagen, dass ich sehr begeistert bin von den veröffentlichten Artikeln. Besonders gefallen mir Reporte aus Frankreich oder der von letzter Woche über Portugal. Ich kenne unsere europäischen Nachbarn leider relativ wenig, das will ich ändern. Es wäre schön, wenn mir Ihr Journal dabei helfen könnte.

    Ich wünsche Ihnen für die Zukunft viel Schaffenskraft und Muße für Ihre Arbeit! Lassen Sie sich nicht beirren oder einschüchtern. Weiter so!

    Grüße aus Bonn von Lucia Oppermann

    • Kai Littmann // 2. März 2015 um 19:26 // Antworten

      Klasse, eine Leserin in meiner Geburtsstadt! Das macht mir jetzt richtig Freude! Und Sie haben leider völlig Recht – die Diskussionen kommen hier nicht richtig ins Laufen und ich weiß selber nicht warum. Auf meiner “Edition Eurojournalist(e)” auf der größten französischen Online-Zeitung “Mediapart.fr” habe ich oft für dieselben Artikel, die auch hier veröffentlicht werden, mehrere Hundert Kommentare, tausende “Likes” und einen richtigen deutsch-französischen Austausch. Ich tröste mich dann meist mit dem Gedanken, dass “niemand Prophet im eigenen Land” ist… und freue mich über den regen Austausch mit den Leserinnen und Lesern auf Mediapart. Aber schön wäre es schon, wenn sich auch die Leser hier zu etwas mehr Mitwirkung bewegen lassen würden – daher herzlichen Dank für Ihren Aufruf, den ich natürlich nur unterschreiben kann! Beste Grüße Kai

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