TMO – Nach den Wahlen ist vor den Wahlen

Die Organisations-Struktur der Trinationalen Metropolregion Oberrhein. Irgendwie mehr Behörde als Bürgernähe... Foto: Tmormt / Wikimedia Commons

(Von Alexis Lehmann) – Unmittelbar nach den Kommunalwahlen in Frankreich und unmittelbar vor den Europawahlen scheint der richtige Moment gekommen zu sein, um die Perspektiven der Entwicklung des Elsass im Herzen einer privilegierten europäischen Region genauer zu betrachten. Der Lissabon-Vertrag, der besonders auf die Regionen Europas eingeht, könnte in der Tat mit seiner Agenda 2020 die Metropolregionen stärken. Wo stehen wir also heute an den Ufern des Rheins?

Die Trinationale Metropolregion Oberrhein (TMO) wurde offiziell am 9. Dezember 2010 in Offenburg ins Leben gerufen. Sie ist der Ausdruck einer langen, nachbarschaftlichen Beziehung und der gegenseitigen Abhängigkeit der drei Nachbarländer der Region. In gewisser Weise „funktioniert“ diese Region. Heute ist der größte Arbeitgeber des Elsass die Schweiz, der wichtigste Investor im Elsass ist Deutschland und die wichtigste Quelle für qualifizierte Fachkräfte für Deutschland und die Schweiz ist Frankreich. Dieses Dreiecksverhältnis entwickelt und verschiebt sich ständig weiter.

Es geht nicht darum, wenn man den Geist der Gründungsväter respektiert, um die Einrichtung einer Verwaltungsregion, wie die in Frankreich eindeutig besetzte Bezeichnung „Region“ glauben lassen könnte, sondern darum, „eine bessere Koordination zwischen den drei Akteuren zu schaffen“. Ziel ist es, aus dem Oberrhein eine der „wettbewerbsfähigsten Regionen Europas zu machen“.

Dieser Ehrgeiz ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass es in dieser Region keine große städtische Metropole gibt, die sich normalerweise in Zentrum eines solchen Konzepts befindet. Der große Ehrgeiz dieses Vorhabens zeigt sich besonders dadurch, dass man hier versucht, eine Region auf der Basis von drei Kulturen, drei politischen Systemen, zwei Währungen und zwei Sprachen zu schaffen. Doch unrealistisch ist dieser Ehrgeiz keinesfalls – im Gegenteil. Man muss sich nur einmal die Eckdaten dieser Region anschauen: 6 Millionen Einwohner, 22.000 m2 und ein BIP von mehr als 200 Milliarden Euro.

Was die Menschen wollen. Heute muss man aber zunächst festhalten, dass die Existenz dieser tri-nationalen Struktur in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt ist. Jene, die schon von ihr gehört haben, finden die Ziele der TMO sehr „verwaltungstechnisch“ und nicht unbedingt in Phase mit den Erwartungen der Bürger, die in der 2006 von der Stiftung Entente Franco-Allemande (FEFA) durchgeführten Studie TNS SOFRES deutlich wurden.
Fast 90 % der Befragten wünschten sich eine Stärkung der Zweisprachigkeit, gemeinsame Entwicklungspläne für Wirtschaft und Soziales, mehr digitale und Verkehrsanbindungen, mehr Brücken – und diese Forderungen wurden unabhängig von der Nationalität der Befragten erhoben!

Die beiden Hauptsorgen der Bürger waren: Angst vor Krankheit und Angst vor Arbeitslosigkeit. Man darf davon ausgehen, dass sieben Jahre nach dieser Umfrage die Angst vor Krankheit immer noch so groß ist wie zuvor, aber die Angst vor der Arbeitslosigkeit ist im Elsass deutlich angestiegen, während gleichzeitig die Sorge um fehlender Fachkräfte in Deutschland und der Schweiz angestiegen ist.

Diese beiden Länder sorgen sich zurecht um die Alterung ihrer Bevölkerungen, die Hand in Hand mit einem Absinken der Geburtenrate stattfindet. Im Moment behelfen sich beide Länder durch das Einstellen von Fachkräften aus dem Ausland, allerdings sind unter diesen Fachkräften nur wenig Franzosen, wenn man einmal von den Grenzgängern absieht.

Was die Organisation der TMO angeht, stellt man fest, dass diese Organisation verbessert werden könnte, indem man die Architektur dieser Struktur neu aufsetzt. So sind die vier „Säulen“ (Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft) alle auf der gleichen Ebene angesiedelt, obwohl ihre Aktionsmöglichkeiten völlig unterschiedlich sind.

In den Bereich „Politik“ fallen beispielsweise die großen Ausrichtungen, die Steuerung, die Verhandlungen mit den zuständigen nationalen und europäischen Behörden, genau wie die Nachhaltige Entwicklung. In diesen Bereich fallen auch die Verwaltung der gemeinsamen Verwaltungsstrukturen (Eurodistrikte) und die der Kommunikationswege (Schiene, Straße, Wasserstraßen, Brücken, Flughäfen, digitale Netze etc.). Doch alle hiermit in Zusammenhang stehenden Fragen wie Ökologie, Mobilität und reibungslose Anbindungen können nur auf höchster Ebene der drei betroffenen Länder geklärt werden, wobei die Staaten und die europäischen Institutionen entsprechende Maßnahmen genehmigen müssen.

Die Säulen „Wirtschaft“ (Wirtschafts-Akteure) und „Wissenschaft“ (Wissenschaftler, Universitäten, Schulen) sind in Wirklichkeit die beiden „Hauptantriebe“ dieser Struktur. Daher muss man sie nicht nur ins Zentrum dieses Systems stellen, sondern auch entsprechende Übergänge schaffen, die für das Gesamtkonstrukt echte Hebel und Stimulatoren sein können. Die gesamte Geschichte der Industrie beruht seit ihren frühen Tagen auf der Beziehung zwischen Unternehmern und Wissenschaftlern einerseits und Unternehmern und Mitarbeitern andererseits. Dieser doppelte Mechanismus manifestiert sich heute in den grenzüberschreitenden Clustern, deren Existenz man begrüßen und stärken muss. Die Übergänge zwischen Wirtschaft und Wissenschaft betreffen nicht nur unsere großen Unternehmen, unsere Universitäten und Hochschulen, sondern alle unsere Unternehmen und Schulen, von den kleinsten bis zu den größten. Die Ausbildung der Mentalität dafür, dass unsere Zukunft von einer dreistaatlichen, zweisprachigen Konfiguration in den Bereichen Wirtschaft, Soziales und Ökologie abhängt, muss künftig tri-national und zweisprachig erfolgen. So sagt auch Jean-Georges Mandon, Präsident der Stiftung Entente Franco-Allemande: „Die Erleichterung der Schaffung von Synergien zwischen den Akteuren ist die Toppriorität im Moment“.

Was die eigentlichen Aktivitäten des Markts angeht, sind wir noch weit von einem „perfekten Wettbewerb“ entfernt, trotz einer gemeinsamen Währung. Es gibt immer noch Schikanen und Ungleichgewichte in den Bereichen Steuern, Vorschriften und Sozialrecht (Arbeitsrecht). Doch sollten wir hier, auf 200 km einer gemeinsamen Grenze zwischen Deutschland und Frankreich nicht die Lösungen für eine Harmonisierung des Austauschs und des Arbeitsmarkts finden, dann erblickt das Europa, von dem wir träumen, wahrscheinlich nie das Licht der Welt.

Auf dem Arbeitsmarkt geht es nur zusammen weiter. Im Bereich des Arbeitsmarkts, auf dem es darum geht, in den nächsten Jahren den drohenden Verlust von 50.000 Arbeitsplätzen zu verhindern, sind die Ansätze der elsässischen IHK mit dem Programm „Wirtschaft macht Schule“ ermutigend. Gleiches gilt für die Programme „Mobil pro EU“ und „Job for my life“, die vor kurzem von der Region Elsass übernommen wurden (im Rahmen des Abkommens zur grenzüberschreitenden Lehrlingsausbildung).

Alle Maßnahmen im Bereich der Ausbildung müssen diese neuen wirtschaftlichen und geographischen Realitäten berücksichtigen, die dafür sorgen, dass man ein ein und derselben Region zweisprachige Mitarbeiter und Wirtschaftsakteure braucht, die in der Lage sind, französische Produkte und Dienstleistungen auf die Nachbarmärkte in der Schweiz und Deutschland zu bringen, die umgekehrt das gleiche tun. Die drei Partner dieses Abenteuers haben Stärken und Schwächen, doch um einen Platz im europäischen und weltweiten Wettbewerb der Metropolregionen zu finden, müssen sich alle auf einen gemeinsamen Sockel stützen können.

Niemand muss sich einbilden, alleine diese Ebene des Wettbewerbs erreichen zu können. Die Menschen auf den drei Ufern des Oberrheins wissen sehr gut, dass ihr Schicksal miteinander verknüpft ist. Dies gilt gleichermaßen für die Umwelt, aber auch im Bereich der Wettbewerbsfähigkeit und für den Wohlstand aller. Um von der Idee eines „gemeinsamen Lebensraums“ zum Zustand einer „gemeinsamen Kraft“ zu gelangen, müssen die Bürger in dieses Abenteuer eingebunden werden. Doch ist die Zivilgesellschaft heute das schwächste Glied des Gesamtsystems.

Doch die Bürger stellen einen unverzichtbaren Katalysator für den Erfolg dieser sensiblen Chemie des „gemeinsam leben und gemeinsam Erfolg haben“ dar, trotz aller Unterschiede. Und da in Wirklichkeit sie die wahren Akteure des gemeinsamen Erfolgs sind, muss man ihnen dies auch ins Bewusstsein bringen.

Hierzu halte ich es für wichtig, dass die „Säule Zivilgesellschaft“, die als am schwierigsten zu mobilisieren gilt, als Basis und nicht als Säule des Systems positioniert wird. Für die Bevölkerung und für Besucher muss die TMO sichtbar und identifizierbar sein. „TMO“ ist dabei eine zu verwaltungstechnische Bezeichnung. „Upper Rhine Valley“ für die internationale Kommunikation, „Vallée du Rhin Supérieur“ auf Französisch und „Oberrheintal“ auf Deutsch, zusammen mit einem gemeinsamen, identitätsstiftenden Piktogramm, würde sich eignen.

Das Silicon Valley macht es vor. Auf Verwaltungsseite hat das „Silicon Valley“ keinen Cent ausgegeben, um sich ein weltweites Image zuzulegen. Die Unternehmen, vom kleinsten bis zum größten, haben sich alle als zum „Silicon Valley“ zugehörig identifiziert. Dies galt vom Technologieriesen bis zum Altersheim – wodurch alle am Aufbau dieses Images mitgewirkt und ermöglicht haben, dieses vor 30 Jahren unbekannte Tal weltweit zu einem Begriff zu machen.

Der Oberrhein transportiert seit den Zeiten der Römer und noch früher das Wissen und den intellektuellen und kulturellen Reichtum Europas – was später auch Gutenberg und die Humanisten konkret umsetzten. Dieses „Tal des Wissens“ verfügt über genug Trümpfe, um einen der ersten Plätze auf der europäischen und weltweiten Landkarte einnehmen zu können. Dies wäre auch eine gerechte Entwicklung für dieses Tal, ein Geschenk, das dieses Tal, das schwer von einer oftmals tragischen Geschichte geprüft wurde und das heute ein Hort Europas und des Friedens ist, seinen künftigen Generationen machen könnte.

Eine solche Entwicklung wäre auch eine Botschaft der Hoffnung für diejenigen Völker, die heute noch im Krieg liegen. Niemand kann heute erahnen, was für positive Ergebnisse und was für einen Wohlstand dieses großartige Projekt erbringen kann, wenn es konsequent weitergeführt wird.

Das „Rheingold“ liegt immer noch vor unseren Füssen.

Alexis Lehmann ist Mitglied der Stiftung Entente Franco-Allemande (FEFA) und regelmäßiger Gastautor und Experte auf eurojournalist.eu.

 

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