Nach der Krise ist vor der nächsten Krise

Das in sich völlig korrupte Börsensystem hat nichts aus der Krise gelernt. Im Gegenteil, der Tanz um das Goldene Kalb wird immer verrückter und zeigt, dass „hinterher“ schlimmer als „vorher“ werden könnte.

Eines der grössten Kasinos der Welt - hereinspaziert zum hemmungslosen Zocken! Foto: Ajay Suresh from New York, NY, USA / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Die Börsen spielen verrückt. Das beste Beispiel dafür ist der Börsengang des Unternehmens „Nikola“. Noch nie gehört? Kein Wunder. „Nikola“ will einen 40-Tonner-LKW entwickeln, der mit Wasserstoff laufen soll (eine gute Idee!), doch bis heute ist noch kein einziges dieser Fahrzeuge gebaut worden. Künftig wird die Aktie (nach einer komplizierten Finanzmontage mit einem Dienstleister namens „VectoIQ“) an der Technologiebörse NASDAQ gehandelt werden.

Das erste Quartal von „Nikola“ war noch nicht so richtig erfolgreich, in den Büchern werden 33 Millionen Dollar Verlust ausgewiesen. Da noch kein einziges Fahrzeug verkauft wurde, war der Umsatz logischerweise 0 Dollar. Doch seit man Aktien von „Nikola“ reservieren kann, ist der Wert dieses Unternehmens durch die Decke gegangen und liegt aktuell bei rund 28 Milliarden (!) Dollar. Damit ist „Nikola“ an der Börse mehr wert als Hyundai, Fiat Chrysler oder Ford, und die haben alle bisher eine ganze Menge Fahrzeuge produziert, die ihren Börsenwert rechtfertigen.

Jetzt sieht man, dass unser aus dem Ruder gelaufenes Finanz- und Börsensystem genau dort weitermachen will, wo es vor der Corona-Krise stand und dass niemand an möglichen Alternativen zu diesem System arbeitet, das für Umwelt- und Sozialsünden auf der ganzen Welt verantwortlich ist. Während der Krise dachten viele schlaue Köpfe laut darüber nach, wie man dieses System der institutionalisierten Korruption so umwandeln kann, dass die Finanzmärkte endlich nicht nur im Interesse der Aktionäre handeln, sondern im Interesse einer Realwirtschaft und damit der Menschen. Doch dafür scheint sich nun niemand mehr zu interessieren.

Dieses Finanz- und Börsensystem, an dem der Mehrwert der Wertschöpfungskette für ein paar wenige große Investoren abgeschöpft wird, muss dringend reformiert werden. Wie zynisch dieses System ist, zeigt bereits die Tatsache, dass man weltweit an den Börsen darauf wetten kann, ob eine Pandemie eintritt oder nicht. Das nennt sich dann ein Derivat, ein „Finanzprodukt“, mit dem man das machen kann, was man mit allen Finanzprodukten an der Börse tun kann – hemmungslos zocken.

Doch dadurch, dass dieses System die von der Realwirtschaft realisierten Wertschöpfungen in die eigene Tasche lotst, fehlt dieses Geld in den Unternehmen für Investitionen, die Schaffung von Arbeitsplätzen und generell die Konjunktur. Oder anders gesagt – wir arbeiten alle dafür, dass skrupellose Spekulanten an der Börse zocken können. Und das tun sie ja meistens ohne jedes Risiko: Sind ihre Wetten erfolgreich, dann stecken die Investoren das Geld ein, sind sie aber erfolglos, werden sie mit hohen Milliardenbeträgen gerettet, da irgendwann ein schlauer Kopf auf die Idee gekommen ist, diese Zockereinrichtungen (eleganter ausgedrückt – „Investment-Fonds“) als „systemrelevant“ einzustufen.

Dass ein zukünftiger Autohersteller, der noch kein einziges Fahrzeug auf die Straßen gebracht hat, wertvoller ist als ein Automobilgigant wie Ford, das ist nur schwer zu verstehen. Doch noch schwerer zu verstehen ist die Tatsache, dass sich die Politik nicht traut, die Reform dieses Übels anzugehen. Niemand ist „too big to fail“, schon gar nicht diese Spekulanten, die jede Realwirtschaft aussaugen und die damit eine der Wurzeln aller sozialen Probleme dieser Welt sind.

Das sollten wir doch eines in den drei Monaten des Lockdowns gelernt haben – keiner der pickelgesichtigen Investment-Zocker hat auch nur den geringsten Beitrag zum Überleben unserer Gesellschaften während des Lockdowns geleistet. Die Schonzeit für dieses System sollte nun abgelaufen sein. Es ist an der Zeit, dieses korrupte Finanz- und Börsensystem von Grund auf zu reformieren. Jetzt.

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