Nach mir die Sintflut…

Die Menschen mobilisieren sich nur noch, wenn es um's Portemonnaie geht. Dabei gäbe es jede Menge Themen, für die es sich mehr lohnen würde, sich zu engagieren.

Ob die "Gelbwesten" Frankreich direkt in die Arme der Extremisten treiben? Foto: Jean-Paul Corlin / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Die französischen „Gelbwesten“ finden nun auch Nachahmer in Deutschland – klar, bei der AfD, die sich nicht zu schade ist, sich auch den letzten Blödsinn auf die Fahne zu schreiben. Aber eine Mobilisierung für Benzinpreise und „Kaufkraft“? Die Welt gerät gerade völlig aus den Fugen, leidet unter Mord, Krieg, Korruption und Hunger und für diese Themen lockt man keinen Hund mehr hinter dem Ofen vor. Aber für eine Senkung der Benzinpreise.

Im Jemen verhungern die Menschen in ganzen Landstrichen, während ein brutaler Krieg in ihrem Land tobt; zwischen der Ukraine und Russland bereitet sich gerade eine offene Auseinandersetzung vor; in Syrien geht der Krieg unerbittlich weiter; im Mittelmeer ertrinken weiter täglich Menschen; Fanatiker aller Couleur versuchen, die Welt wieder in ein Pulverfass zu verwandeln; der Klimawandel löst gerade die Pole auf und bereitet eine Flutkatastrophe sintflutartigen Ausmaßes vor; Umweltbelastungen aller Art machen heute schon das Leben in der Stadt zu einer gesundheitlichen Belastung; die Gewalt in Gesellschaft, Familie, Partnerschaft nimmt bedrohliche Dimensionen an – aber auf die Straße gehen die Menschen, wenn der Benzinpreis erhöht wird.

Natürlich ist es in Ordnung, gegen die Erhöhung des Benzinpreises zu demonstrieren, vor allem, wenn man im ländlichen Raum lebt und auf ein Fahrzeug angewiesen ist. Kein Thema. Aber es hätte sicherlich auch andere Ausdrucksformen für diese Unzufriedenheit geben können, bei denen nicht gleich das Land wirtschaftlich geschädigt, die Bevölkerung polarisiert und der soziale Frieden erschüttert wird, wie die Bilder aus Frankreich zeigen. Na klar, ein Streik oder eine soziale Protestaktion soll und muss ein wenig weh tun, damit die andere Seite auch reagiert. Aber das, was in Frankreich gerade passiert, das ist so, als wolle man den Maulwurf im Garten mit einer Atombombe bekämpfen. Dem Maulwurf wird man dabei zwar den Garaus machen, aber das Aufräumen dürfte etwas länger dauern.

Die Grundlage für diese ganzen Unruhen liegen in dem diffusen Gefühl, dass „die da oben“ ohnehin machen, was sie wollen und dabei alles im Blick haben, außer den Interessen ihrer Mitbürger. So zutreffend dieses Gefühl auch sein mag, so ist es schwierig, es an ganz konkreten Punkten aufzuhängen. Da kam die Erhöhung des Benzinpreises gerade richtig.

Es wäre natürlich nicht so weit gekommen, bestünde zwischen Präsident Emmanuel „Jupiter“ Macron und seinem Volk eine Verbindung. Doch die besteht eben nun mal nicht. Auch der immer sehr distanziert wirkende Premierminister Edouard Philippe kann diese Verbindung zwischen Volk und Regierung nicht herstellen. Und so wird die Kluft zwischen „denen“ und „uns“ täglich größer.

So oft es auch schon geschrieben wurde, es stimmt: Die Götterdämmerung der V. Französischen Republik hat begonnen. Das Land muss sich tatsächlich reformieren und modernisieren und das wird eine grundlegende Reform des Staatsapparats erfordern und nicht nur halb durchdachte und ohne Überzeugung durchgezogene Reformen wie die Gebietsreform mit der Neugestaltung der französischen Regionen (die nicht Macron, sondern die PS zu verantworten hat), sondern eine Von-Grund-auf-Überholung.

Der französische Staats- und Verwaltungsapparat funktioniert teilweise noch mit Prozeduren und einem höfischen Zeremoniell, das aus den Zeiten von Napoleon stammt. „Macht“ hat in Frankreich immer noch etwas mit „herrschen“ zu tun und nicht etwa mit dem optimalen Management der Interessen der Bürgerinnen und Bürger. Die Kosten für diesen aufgeblasenen Beamten- und Hofstaat sind enorm und verlangsamen die Verwaltung.

Doch ist zweifelhaft, ob solche grundlegenden Reformen tatsächlich unter dem Druck der Straße zustande kommen. Die Hauptforderung der „Gelbwesten“ lautet inzwischen „Rücktritt des Präsidenten, Auflösung des Parlaments und Neuwahlen“. Abgesehen davon, dass Macron nicht im Traum an einen Rücktritt denkt, würde dies auch lediglich dazu führen, dass die Rechts- und Linksextremen in wie auch immer gearteten Konstellationen an die Macht kommen, was für Europa und Frankreich katastrophale Folgen hätte und – am Status Quo nichts verbessern, sondern die Dinge verschlechtern würde, da Rechts- und Linksextreme nur darauf warten, es Theresa May gleichzutun und Frankreich aus der Europäischen Union aussteigen zu lassen. Was dann eben in Frankreich die gleichen üblen Folgen hätte wie für Großbritannien.

Momentan würde es sich eher lohnen, konstruktiv an der Neugestaltung Europas und der Gesellschaften in den europäischen Ländern zu arbeiten, wo sich die Stimmung immer weiter in Richtung eines dumpfen Neonationalismus entwickelt, der Nährboden für innere und äußere Konflikte ist. In der Zwischenzeit erst einmal das Land in Schutt und Asche zu legen, dürfte hierfür wenig zielführend sein.

2 Kommentare zu Nach mir die Sintflut…

  1. Gratuliere für diesen hervorragenden Artikel, Herr Littmann!

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