Nachruf: Zum Tod von Richard von Weizsäcker

Der mit 94 Jahren gestorbene Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker gehörte zu den Nachkriegspolitikern, die den Weg zur deutschen Wiedervereinigung öffneten.

Richard von Weizsäcker leistete einen großen politischen Beitrag zum Aufbau des "neuen Deutschland" nach dem II. Weltkrieg. Foto: Plumcoach / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 2.5

(KL) – Der im biblischen Alter von 94 Jahren verstorbene Richard von Weizsäcker gehörte zu denjenigen Politikern, die nach dem Krieg durch kluge und sensible Äußerungen dazu beitrugen, dass die Welt Vertrauen in das „neue“ Deutschland fassen konnte – was in letzter Konsequenz dazu führte, dass beide deutsche Staaten wieder vereinigt werden konnten.

„Der 8. Mai“, sagte Richard von Weizsäcker in seiner Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes 1985, „war für Deutschland ein Tag der Befreiung“. Dieser kleine Satz, den er vor dem Bundestag in Bonn sagte, ließ die Welt aufhorchen. Sollte Deutschland tatsächlich seine Lektion aus dem II. Weltkrieg gelernt und 40 Jahre später begriffen haben, dass die Befreiung vom Nationalsozialismus für Deutschland die Rettung bedeutet hatte? Die Antwort von Richard von Weizsäcker war ein klares „Ja“.

Gerade heute, in einer Zeit, in der ein dumpfer Extremismus von Rechtsaußen versucht, in Deutschland die Straße zu erobern, sollte man sich an diese und andere Aussagen des früheren Bundespräsidenten erinnern. Immerhin war er eine Art intellektueller und feingeistiger Gegenpart zum damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl, der zu von Weizsäcker ein eher schwieriges Verhältnis hatte. Denn trotz seiner CDU-Mitgliedschaft stand von Weizsäcker dem Parteiensystem immer kritisch gegenüber.

Im Krieg wurde der junge von Weizsäcker früh vom Tod eines seiner Brüder traumatisiert – dieser starb bereits am zweiten Kriegstag und Richard von Weizsäcker erzählte später, er habe ihn eigenhändig begraben müssen. Dieses Trauma führte auch dazu, dass von Weizsäcker schnell Distanz zu Nazideutschland nahm und seine Kontakte zur Widerstandsgruppe um Graf Schenck von Stauffenberg sind historisch belegt. Seine Einbindung in die Widerstandsgruppe von 1944 ist zwar nicht geklärt, aber es gilt als gesichert, dass er dieser Gruppe zumindest gedanklich nahe stand.

Der in Stuttgart geborene Richard von Weizsäcker wuchs in Berlin auf und hatte einen „genetischen“ Bezug zur Politik – sein Großvater war Ministerpräsident in Württemberg. Nach dem Krieg machte von Weizsäcker zunächst Karriere in der Wirtschaft, bevor ihn Helmut Kohl in den 60er Jahren in die Politik holt. Dies war ein guter Schachzug von Kohl, der mit dem intellektuellen von Weizsäcker ein „Aushängeschild“ für die CDU verpflichtete, das vor allem im Ausland das Bild eines neuen Deutschlands maßgeblich prägte. Auch, wenn Helmut Kohl oft damit Probleme hatte, dass von Weizsäcker einen eigenen Kopf hatte und nicht immer blind der Parteiräson folgte, wie Kohl es wohl gerne gesehen hätte.

Vizepräsident des Bundestags, Regierender Bürgermeister von Berlin Anfang der 80er Jahre, Bundespräsident – die Karriere des Richard von Weizsäcker war bemerkenswert. Dazu blieb von Weizsäcker Zeit seines Lebens offen für alle gesellschaftlichen Strömungen – wie beispielsweise bei seiner erfolgreichen Vermittlerrolle zwischen der Stadt Hamburg und der dortigen Hausbesetzerszene. Besonders mutig war aber sein Umgang mit der deutschen Geschichte, was ihm unter anderem den Zorn ultrakonservativer Vertriebenenverbände einbrachte – mit seiner Erklärung, dass man Flucht und Vertreibung nicht losgelöst von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft betrachten dürfe, stoppte er den aufkeimenden Revisionismus dieser Verbände – auch das war ein Beitrag zur später stattfindenden Wiedervereinigung.

Wenn jemand mit 94 Jahren und einem unglaublichen vollen und bewegten Leben stirbt, dann ist das für die Familie dennoch ein schwerer Schlag. Deutschland und Europa werden Richard von Weizsäcker ein ehrendes Andenken bewahren – er gehörte zu den wichtigen Politikern, deren Wirken Deutschland auf dem Weg zurück in die Staatengemeinschaft nachhaltig geprägt haben.

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