Neues vom Alten – Flötensonaten von F.X. Richter

Zwei Komponisten ringen um die Würde und Bürde, der bedeutendste Musikschaffende Straßburgs zu werden: der eine hat gerade eine Oper komponiert, von dem anderen wurden nicht mehr verfügbare Aufnahmen als CD herausgebracht.

Jean-Pierre Rampal hat eine schöne Aufnahme der Werke von F.X. Richter eingespielt. Foto: Supraphone

(Von Michael Magercord) – Wer ist der bedeutenste Komponist Straßburgs? Zugegeben, eine nicht ganz faire Frage, zumal die zwei wichtigsten Bewerber in diesem inoffiziellen Ranking keinen direkten Vergleich mehr aussetzen können. Der eine nämlich arbeitet noch an seinem Ruhm, bei dem anderen wiederum geht es darum, endlich die Anerkennung zu erlangen, die ihm seit zweihundert Jahren im Elsass verwehrt wird.

Der eine ist Philippe Manoury, der gerade eine Oper auf die hiesige Bühne gebracht hat, wobei er selber im Konzertgraben saß, beziehungsweise hinter der Bühne am Computer elektronische Klänge einmischte. Der andere war dreißig Jahre lang Kapellmeister am Straßburger Münster. Franz-Xaver Richter nahm seinen Posten vor fast zweihundertfünfzig Jahren auf, als er auch seinen Vornamen in François-Xavier umänderte.

Gemeinsam auch über die Jahrhunderte hinweg haben beide den Umstand, dass Komponisten der ernsten Musik immer noch von öffentlichen Geldern leben und arbeiten. Ob ihr Gehalt aus den Staatssubventionen für Musikhochschulen und öffentlichen Kompositionsaufträgen kommt oder aus dem Kirchensäckel stammte, ist letztlich dasselbe. Das Subventionsprinzip führt allerdings heutzutage eher dazu, dass forsche Modernisten in professoral besetzten Gremien über die Vergabe entscheiden, während zu Richters Zeiten Kirchenfürsten eine klaren praktischen Nutzen der Erbauung ihrer Schäflein in den Sonntagsmessen und großen Festtagsoratorien verwirklicht sehen wollten.

Aber Komponisten schaffen nicht nur große Werke, gerade in der kleinen Form probieren sie sich aus. Bei Philippe Manoury endete das etwa in letztlich abgebrochenen Versuchen, den rechnergestützten Algorithmus zum eigenständigen Klingen zu verhelfen. Bei Richter hingegen finden sich Hunderte von Sonaten und auch so manches Konzert, die zum Teil noch auf ihre Einspielung warten.

Immerhin ist nur eine CD erschienen, die zwar Aufnahmen aus dem Ende 1950er Jahre erhält, die aber zuvor noch nie auf einen digitalen Tonträger gebrannt worden sind: Musik für Flöte, seinerzeit eingespielt in Prag von dem französischen Ausnahmesolisten Jean-Pierre Rampal (1922-2000), der oft musikalische Entdeckungsreisen hinter den eisernen Vorhang unternahm. Dabei stieß er auch auf die Werke des Mähren Frantisek Xaver Richter, also eben jenes François-Xavier, der von 1769 an in Straßburg tätig war, und spielte sie zusammen mit dem Prager Kammerorchester ein. Die Platte erhielt seinerzeit den Grand Prix du Disque de l’Académie Charles Cros.

Diese Neuerscheinung bietet neben der Entdeckung weiterer Flötenmusik von Jindrich Feld und Frantisek Benda die Chance, das Schaffen jenes Komponisten endlich näher kennenzulernen, der die längste Zeit seines Musikerlebens in Straßburg verbracht hatte – verbunden mit der Frage, wie viele CDs eigentlich noch erscheinen müssen, bevor auch mal im Elsass seine Werke zu hören sein werden? Und dann würde die Frage, wer denn der bedeutendste Komponist der Stadt ist, endlich überflüssig.
Jean-Pierre Rampal in Prague
The complete Supraphon recordings
2 CDs: 2h42 – SU 4217-2
Infos und Hörbeispiele unter: www.supraphon.com

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