Neustart in die Kultur: OnR und OPS im Januar

Ein neues Jahr, das alte Glück: Die Institutionen der Kultur laden sogleich zu großen Ereignissen ein: Tanz, Gesang und großes Orchester – Die Rheinoper und die Straßburger Philharmonie im Januar 2023.

Auch die "Insel der Toten" von Rachmaninow steht auf dem Programm zum Jahresbeginn. Foto: OPS

(Michael Magercord) – Es gibt Menschen, die lassen sich einfach von nichts abbringen. Egal, wie es um sie herum zugeht, sie machen immer, wozu es sie drängt. Ist es nur der Drang nach Spaß, der solche Schübe der Weltabgewandtheit auslösen? Oder im Gegenteil, der Weltenernst, der dazu nötigt, ihm seinen eigenen Ausdruck entgegenzusetzen? Man nennt Menschen, die von ihrem Tun nicht lassen können, nicht umsonst Traumtänzer.

Die Dauertänzerin Giselle ist so eine. Oder muss man sagen: sie war so eine? Denn wer da tanzt und tanzt, auch wenn sie eigentlich gar nicht mehr ist, ist bereits gestorben. Sie hatte sich nämlich vor lauter Liebeskummer bis zur wahnsinnigen Erschöpfung zu Tode getanzt. Aber Myrtha, die Anführerin der Schattenfrauen, diesen Rächerinnen der Entliebten und Sitzengelassenen, wiedererweckte den Geist der Giselle und sendet ihn aus, auf dass für alle Männer, die sich auf ein heißes Tänzchen mit ihm einlassen, es der letzte sein wird.

Klar, dass diese Todestänzerin ein Ballett-Stoff von der besten Sorte ist. Und klar auch, dass schon kurze Zeit, nachdem das Tanzstück von Jules-Henri Vernoy de Saint-Georges und Théophile Gautier in Paris uraufgeführt war, es seinen Siegeszug auf den europäischen Bühnen antrat. Nach über 180 Jahren führt dieser Zug nun einmal mehr ins Elsass in die drei Spielorte der Opéra du Rhin.

Aber klar ist eben auch, dass nach so langer Zeit sich selbst die gute alte Giselle erst einmal einer Erneuerung unterziehen muss. Man bezeichnet diesen in unseren modernen Theatern scheinbar unvermeidlichen Vorgang als „Neuinterpretation“, und meist wird es darin weit weniger poetisch zugehen als zuvor. Wie es etwa vor drei Jahren dem klassischsten aller Ballett-Klassiker in der OnR widerfuhr, als man nämlich nach der Abspeckungskur den „Schwanensee“ von Tschaikowsky vor lauter Nüchternheit kaum mehr wieder erkennen konnte.

Und nun, die gute alte junge Giselle? Die neue Version von Martin Chaix wird eine – wie es heißt – „feministischen Giselle“ sein, die Spitzenröckchen, Brautkleidern und Strohhütchen sind gegen Lederjacken und Smoking ausgetauscht, und der unbestimmbare Traumraum ist in ein halbseidenes Vorstadtmilieu verfrachtet. Die Musik aber, die bei dieser Aufnahme live eingespielt wird, bleibt so leidenschaftlich und romantisch wie eh und je, und sicher wird sie ebenso ansteckend sein wie das Tanzfieber.

Die Straßburger Philharmonie lädt am 12. und 13. Januar schon zum zweiten Mal im neuen Jahr ihre Abonnenten und natürlich alle anderen auch zum Konzert. Dieses Mal stehen die beiden Großkomponisten Rachmaninow und Sibelius auf dem Programm. Die „Insel der Toten“ des Einen, und die letzte Symphonie des Anderen geben die Frage auf, die der Veranstalter dem Konzert als Übertitel verpasst hat: „Testament oder neue Horizonte?“

Vieles deutet auf das erstere, galt doch die Rhapsodie Rachmaninows als klangliches Abbild des Gemäldes der „Toteninsel“ von Arnold Böcklin. Und die eigensinnige siebte Symphonie war für eine lange Zeit das letzte Musikstück des großen Finnen. Rätselhaft ist das einsätzige Werk mit seinen stürmischen Beginn und dem Ende in der Traurigkeit, wie ein Abschied eben. Doch der stete Fluss dieses einzigartigen Klanggebildes weist bereits auf den neuen musikalischen Horizont, der sich am Beginn des 20. Jahrhunderts auftat.

Unter der Leitung der Dirigentin Dalia Stasevska spielt das OPS am Donnerstag und Freitag noch eine Suite aus Pelléas et Mélisande, die Sibelius als Begleitmusik zum Tod der Melisande aus Maeterlincks berühmtem Theaterstück gedacht hatte.

Und schon sogleich am kommenden Samstag, den 7. Januar, empfiehlt sich ein Abstecher zum Park der Orangerie. Im Pavillon Josephine nämlich wird mit einem außergewöhnlichen Rezital aufgewartet. Nein, nicht dass bei einem Gesangsabend Schubertlieder erklingen, ist daran so ungewöhnlich. Aber wenn der Sänger von einer Gitarre begleitet wird, ist das definitiv kein herkömmliches Vergnügen. Der französische Bariton Philippe Sly singt zu den Arrangements des amerikanischen Gitaristen John Charles Britton. Ob diese Klangkombination den ohnehin schon schwerst-romantischen Liedern, noch mehr Gefühle und deren Nuancen entlocken kann? Immerhin entleihen die Lieder Schuberts zum Ausdruck der inneren Freuden und Leiden der Menschen ihre Worte der Natur, ohne sich allerdings einzubilden, man hätte mit dieser allzumenschlichen Übertragung die Freuden und Leiden der Natur gleichsam miterfasst.

Wenn das kein Grund ist, sich auf den Weg in Straßburgs Norden zu machen, wo ja leider der schöne kleine Zoo dort kein Ziel mehr ist. Der wurde von der neuen Stadtregierung unter ihrer grünen Bürgermeisterin geschlossen, und zwar mit dem Verweis auf das – angebliche – Leiden der Tiere bei Rundumbetreuung und Komplettverpflegung in fressfeindfreier Umgebung. Natur und Kultur zu vereinen, ohne sie über denselben Empfindungskamm zu scheren, sind in unseren rundum-moralinen Zeiten nun mal jedermanns und wohl auch ‑fraus Sache nicht.

Rezital – Schubertlieder mit Gitarre
SA 7. Januar, 20 Uhr
Pavillon Josephine, Orangerie Straßburg
Info und Tickets: www.operanationaldurhin.eu

Konzert Philharmonie Straßburg OPS: Testament oder neue Horizonte?
Rachmaninow – „Insel der Toten“, Rhapsodie
Sibelius – „Tod der Melisande“, Suite
Sibelius – Siebte Symphonie

DO 12. und FR 13. Januar, PMC

Infos und Tickets unter: https://philharmonique.strasbourg.eu/de/

Giselle – Ballett von J.-H. Vernoy de Saint-Georges und T. Gautier

Opéra Strasbourg
SA 14. Januar, 20 Uhr
SO 15. Januar, 15 Uhr
DI 17. Januar, 20 Uhr
MI 18. Januar, 15 Uhr
DO 19. Januar, 20 Uhr
FR 20. Januar, 20 Uhr

Mülhausen – La Sinne
Do 26. Januar, 20 Uhr
FR 27. Januar, 20 Uhr
SO 29. Januar, 15 Uhr
MO 30. Januar, 20 Uhr
DI 31. Januar, 20 Uhr

Colmar – Théâtre municipal de Colmar
SO 5. Februar, 15 Uhr

Informationen unter www.operanationaldurhin.eu

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