Nicht nur für Kinder des Zaren – Märchenoper in der Rheinoper

Im Rahmen des Festivals Arsmondo wird die Straßburger Rheinoper in die Welt der Märchen eintauchen - ausgerechnet in unseren harten Zeiten? Und dann auch noch in Russland? Ja, denn gerade in solchen Zeiten braucht es mehr denn je des falschen Zaubers...

Die Hummel fliegt über alle hinweg. Kein Kunststück, bei der musikalischen Begleitung. Rimski-Korsakows bekanntestes Orchesterstück ist Teil seiner Märchenoper über den Sohn des Zaren Zaltan. Foto: Illustration von Laura Junger, OnR

(Michael Magercord) – Wunder gibt es doch nur im Märchen, umso besser, dass es sie gibt. Die Märchen wohlgemerkt. Denn nur im Märchen ist es möglich, dass der Zar seine Frau und sogar den Sohn vertreibt, weil er befürchtet, der Knabe sei ein Monster. Ab in ein Fass mit den beiden und ins Meer werfen. Aber oh Wunder, die beiden erreichen unversehrt eine magische Insel. Der Zarewitsch ist eigentlich ganz gut geraten, als erste Großtat rettet er eine Schwanenprinzessin aus den Klauen eines Zauberers. Und dann macht er sich auf die Suche nach seinem Vater…

Natürlich werden wir das Ende hier nicht schon verraten, lässt die Geschichte doch so manche Option offen. Zumal es doch im Grunde gar kein Märchen ist, sondern eine Parodie darauf. Der russische Dichter Alexander Puschkin war sein Schöpfer und mokierte sich damit über eine alte Erzählung vom sinnlosen Krieg des Bären gegen die Vögel. Sein eigenes Leben verlief auch irgendwie zwischen Drama und Märchen: von seinen Vorfahren – sein Urgroßvater war ein afrikanischer Sklave, der zum Patenkind von Peter dem Großen wurde – bis zu seinem Tod, den er im Duell erlitt, als er für eine Beleidigung seiner Frau Satisfaktion einforderte.

Als russischer Nationaldichter gilt er heute, denn er war der erste, der auf Russisch schrieb. Bis Napoleon in Moskau einbrach, sprach man in seinen Kreisen Französisch. Doch seine nationale Sprachwahl schützte ihn nicht vor Anfeindungen. Er musste den Staatsdienst verlassen und in die Verbannung gehen, als er sich in einem Brief einmal verständnisvoll über den Atheismus geäußert hatte. Also doch kein wundergläubiger Märchenonkel? Die Oper von Rimski-Korsakow, die bald achtzig Jahre später entstand, lässt mit zauberhaften Melodien jedenfalls keinerlei Zweifel, wie sehr sie ihrer eigenen Erzählung glaubt. Mit den Mitteln der Musik tut sie alles, dass Wunder doch noch ihre Bühne bekommen.

Die Inszenierung dieser Aufführung verspricht neben den Bühnenwundern ganz viel märchenhafte Poesie. Der russische Regisseur Dimitri Tscherniakow, der bei weltbekannten Großopern so manches Mal die Bühne mit einer schonungslosen Therapiesupervision verwechselt, geht mit heimischen, sprich russischem Repertoire wohl liebevoller um. Jedenfalls wurde diese Aufführung, die bereits in Brüssel zu sehen war, für ihre Kinderperspektive und visuellen Referenzen auf die Bildgeschichte zum Märchen aus dem Jahr 1905 als poetisches Bühnenwunder hochgelobt.

Was aber, wenn nun auch noch die Bühne selbst schon fast ein Wunder braucht? Die Kassen sind klamm, die öffentlichen zumal, und so wird diese Aufführung in Mülhausen entgegen der Saisonplanung nur noch ein einziges Mal und nur als Konzert zu hören sein, also ohne Inszenierung. Eine einmalige Sparmaßnahme oder ein Vorgriff auf die Zukunft? Werden wir uns in Zukunft die zur Musik gehörenden Bilder in unseren Köpfen selber schaffen müssen? Ausgerechnet im Zeitalter der allgemeinen Bilderflut! Ob wir in wenigen Tagen, wenn der Spielplan für die kommende Saison vorgestellt wird, auch noch ein blaues Wunder erleben werden?

Große Veränderungen stehen ja in Straßburg ohnehin an. Zwar soll nun kein Neubau mehr den Altbau ersetzen. Das bestehende, 200 Jahre alte Gebäude der Rheinoper wird stattdessen ab 2026 saniert. Ob uns allerdings auch der märchenhafte Saal mit Samt und Putten erhalten bleiben wird, ist so gar nicht gesichert. Nur die denkmalgeschützte Fassade ist gerettet, nicht aber das opulente Innenleben. Etliche Optionen stehen noch zur Debatte, so auch die von den Verantwortlichen ins Spiel gebrachte komplette Entkernung des Saales. Als Vorbild gilt der betonlastige Radikalumbau der Universitätsbibliothek BNU – warum dann nicht gleich komplett in den Bau des Maillon-Theaters umziehen, diesen pechschwarzen und architekturfreien Schuhkarton mit dem Zauber eines TGV-Bahnhofs?

Das Märchen vom Zaren Saltan
Oper von Nikolaï Rimski-Korsakow aus dem Jahr 1900.
Libretto von Wladimir Bielski nach dem Märchen von Alexander Puschkin
Eine Koproduktion von La Monnaie, Brüssel und dem Teatro Real Madrid.

Dirigent: Aziz Shokhakimov
Regie: Dmitri Tcherniakov
OPS, Chor der OnR

Opéra Straßburg
FR 5. Mai, 20 Uhr
SO 7. Mai, 15 Uhr
DI 9. Mai, 20 Uhr
DO 11. Mai, 20 Uhr
SA 13. Mai, 20 Uhr

La Filature Mülhausen
Achtung: Nur als Konzert, ohne Inszenierung
SO 28. Mai, 17 Uhr

Tickets und Information: www.operanationaldurhin.eu

Diese Oper finden im Rahmen vom Festival ARSMONDO Slawia statt, das natürlich ebenfalls weitergeht. Zum Auftakt wurde eine facettenreiche Foto-Ausstellung mit Bildern aus Weißrussland, Polen und anderen slawischen Ländern im Espace Apollonia in Strasbourg-La Robertsau eröffnet. Dabei war eine bemerkenswerte, drei Frauen starke Gruppe aus Straßburg mit typisch bulgarischem Gesang zu hören. Überhaupt beweisen die Veranstaltungen, wie viel Musikalität unterschiedlichster Richtungen in dieser Stadt ihr Zuhause hat: Ob die Jazzformation Fuz4tet um die ukrainische Sängerin Yuliia Vydovska mit der typischen slawisch-kräftigen Hauchzartstimme. Oder das Ensemble Linea, das mit einem vielleicht etwas zu weit gefächertem Programm zwischen Barockmusik und dem Allzuneusten aus den akademischen Komponistenstuben aufwartete, wobei allerdings das Zimbalspiel der Wahl-Straßburgerin Aleksandra Dzenisenia den besonderen slawischen Touch beisteuern konnte. Weiter geht es nun in den kommenden zwei Wochen, in denen auch immer wieder in Straßburg beheimatete Musiker beweisen, dass wir uns an einem ziemlich musikalischen Ort befinden.

Drei Filme aus der Ukraine: DO 4. Mai (Cinema Star) und DO 11. Mai (Eintritt frei)
FR 5. und SA 6. Mai: Swan Lake Solo, Tanz (Eintritt frei), Aubette, place Kleber
SA 6. Mai – Konzert des Ensemble Lovemusic
FR 12. Mai – Kammermusik von Musikern des OPS
FR 12. Mai – Rezital Sopran Olga Peretyatko, Oper Straßburg
SA 13. Mai (Straßburg) und SO 14. Mai (Colmar) – Chor der Rheinoper mit slawischem Opernrepertoire
SO 14. Mai – Kindertag in der Oper mit Musik, Basteln und Spielen

Dazu etliche Vorträge und Lesungen (Eintritt frei).
Das komplette Programm von ARSMONDO findet sich HIER!

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