Nichts spricht mehr für Brüssel

Die neue Sitzungswoche des Europäischen Parlaments hat begonnen – in Brüssel und nicht in Straßburg. Es wird höchste Zeit, dass das Parlament nach Hause zurückkehrt.

Das baufällige Gebäude des Europäischen Parlaments in Brüssel. Man könnte es auch einfach abreissen... Foto: charles lecompte / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Zum 7. Mal in diesem seltsamen Jahr 2020 hat eine Sitzungswoche des Europäischen Parlaments begonnen – in Brüssel und nicht etwa da, wo sie eigentlich stattfinden sollte, in Straßburg. Dabei werden die Argumente für diese Organisation der Sitzungen in Brüssel immer dünner – im Gegensatz zu Brüssel befindet sich Straßburg nicht mehr in einer Risikozone, was bedeutet, dass die sanitäre Lage im Elsass sicherer ist als in der belgischen Hauptstadt. Aber offenbar ist es für die Europaabgeordneten bequemer, in Brüssel zu bleiben statt die Europäischen Verträge zu respektieren.

Der Parlamentssitz in Straßburg ist gefährdeter denn je. Seit Jahren versuchen die Brüsseler Lobbys das Parlament nach Belgien zu ziehen, da es für sie sicher einfacher ist, die Strippen hinter den Kulissen in Brüssel statt in Straßburg zu ziehen. Doch kann es nicht sein, dass die Frage des Sitzes des Europäischen Parlaments anhand von Fragen wie der Bequemlichkeit der Abgeordneten und der Lobbyisten oder der Qualität des Abendprogramms in den europäischen Hauptstädten entschieden wird. Die Aufteilung der europäischen Institutionen hat als Hintergrund die demokratische Gewaltenteilung – daher sitzen Kommission und Rat in Brüssel, der Europäische Gerichtshof in Luxemburg und das Europäische Parlament in Straßburg.

Doch verteidigt wird der Parlamentssitz in Straßburg nur sehr halbherzig. Zwar äußerte sich Präsident Macron erneut für den Sitz in Straßburg, doch steht er damit alleine auf weiter Flur und seine Erklärungen zum Thema Straßburg wirken inzwischen ziemlich hilflos. Und speziell Deutschland lässt Straßburg sträflich im Stich – statt gemeinsam mit der französischen Regierung auf den Tisch zu schlagen, schaut man betreten weg und lässt Brüssel die Karte der Macht des Faktischen ausspielen.

Wie es weitergeht, scheint klar. Es werden noch ein paar Sitzungswochen in Brüssel stattfinden, dann wird es zur Kompensation ein Jahr lang Sitzungen in Straßburg geben und Brüssel wird diese Zeit nutzen, sein Parlamentsgebäude zu renovieren. Das ist nämlich bereits 20 Jahre nach seiner Errichtung baufällig und muss für 1 Milliarde Euro renoviert werden. Wenn diese Renovierung abgeschlossen ist, werden die Lobbys alles daran setzen, das Parlament endgültig nach Brüssel zu verlagern. Doch dagegen müssen sich Straßburg, Frankreich und auch Deutschland gemeinsam wehren.

Der Sitz des Europäischen Parlaments in Straßburg ist nicht etwa ein Zufall der Geschichte, sondern der gelebte Ausdruck der deutsch-französischen und europäischen Aussöhnung nach dem II. Weltkrieg und dazu die Umsetzung der Gewaltenteilung des demokratischen Europas. Wer versucht, diese europäische Demokratie den Interessen von Lobbys zu opfern, der macht sich zum Totengräber der europäischen Idee. Und es wird allerhöchste Zeit, dass sich Angela Merkel in den verbleibenden Wochen der deutschen Ratspräsidentschaft eindeutig positioniert – für einen „Single Seat“ des Europäischen Parlaments. Und der muss in Straßburg sein.

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