Nichts wird mehr so sein, wie es war…

Während der Corona-Beschränkungen hatten wir uns alle gegenseitig versichert, dass „nachher“ alles anders werden würde. Aber das war wohl nur ein kurzzeitiger Traum...

Häusliche Gewalt, staatliche Gewalt, wirtschaftliche Gewalt, Umwelt-Gewalt - ist es so erstaunlich, dass auch die Menschen gewalttätiger werden? Foto: Flaggezeigen / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Erinnern Sie sich? Während der schwierigsten Phase der Covid-Krise in unseren Breitengraden, als wir in Frankreich eine strikte Ausgangssperre erlebten und das gesamte öffentliche Leben zum Erliegen kam, da waren sich viele sicher, dass hinterher „nichts mehr so sein würde wie davor“. Nun ist zwar die Covid-Krise alles andere als vorbei, doch mit der schnellen Lockerung der sanitären Maßnahmen merkt man, dass die Träume von einer besseren, fairen und solidarischeren Gesellschaft leider eben nur Träume waren. Stattdessen schwappt eine neue Welle der Gewalt durch unsere Gesellschaften.

Täglich hören wir von unglaublichen Gewalttaten – in Bayonne wird ein Busfahrer von Kriminellen zu Tode geprügelt, weil diese ihr Busticket nicht bezahlen und keine Masken tragen wollten; Polizisten werden bei Kontrollen erschossen; überall auf der Welt kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Staatsmacht und Bürger*innen, die das Gefühl verinnerlicht haben, dass sie ohnehin nichts mehr zu verlieren haben; die Regierungen drücken im Eilverfahren Maßnahmen zur Repression der Bevölkerung durch; eine Wirtschaftskrise unbekannten Ausmaßes rollt auf uns zu und die Gewalt erreicht inzwischen alle Schichten der Bevölkerung.

Die häusliche Gewalt hat während der Ausgangssperre nach Aussagen von Expert*innen um rund 30 % zugenommen; ein Pädophilie-Skandal jagt den nächsten; der Ton in den Sozialen Netzwerken wird immer härter und das, was wir gerade „danach“ erleben, ist das Streben nach der Wiederherstellung des Status Quo von vor der Krise. Doch woher kommt diese Gewalt?

Die Gewalt, die wir gerade erleben, kommt zum großen Teil „von oben“. Die Trumps, Bolsonaros, Johnsons, Erdogans und andere haben einen Ton in die politischen und gesellschaftlichen Debatten eingezogen, der Extremisten aller Couleur dazu ermutigt, sich völlig komplexfrei zu äußern und auch zur Tat zu schreiten. Auch die vermehrte Verbreitung von Verschwörungstheorien aller Art trägt dazu bei, dass viele Menschen inzwischen das Gefühl haben, „im Widerstand“ zu sein und auch gewaltsame Aktionen als legitimes Mittel dieses „Widerstands“ einsetzen zu dürfen.

In ganz Europa sind die Vorstädte der Metropolen inzwischen rechtsfreie Zonen, in denen der Handel mit Waffen, Drogen und Prostituierten floriert – in diesen Vierteln schließen die Kommissariate, so es dort überhaupt noch welche gibt, um 18 Uhr und danach traut sich auch keine Polizeistreife mehr in diese Viertel. Doch in diesen Vierteln gären die Auseinandersetzungen von heute und morgen und die Gräben zwischen den verschiedenen „Communities“ vertiefen sich täglich.

In Dijon liefern sich tschetschenische und arabisch-stämmige Banden tagelange Schlachten, bei denen die Ordnungskräfte nicht viel mehr tun können als zuzuschauen, in Berlin und anderswo herrschen die Clans und ganz offensichtlich läuft gerade alles aus dem Ruder. Ist das die „neue Gesellschaft“ post-Covid? Gewalt auf allen Ebenen? Daheim, auf der Straße, bei der Arbeit?

Die aktuellen Krisen werden, wie so häufig, auf dem Rücken der Schwächsten der Gesellschaft ausgetragen. Dort, wo sich „Inverstitionen“ und „Konjunktur-Programme“ nicht lohnen. Stattdessen werden schier unvorstellbare Summen aktiviert, mit denen die größten Unternehmen durchsaniert werden. Milliarden für riesige Unternehmen, die bis zuletzt üppige Dividenden an ihre Aktionäre ausgeschüttet haben, aber dennoch über Kurzarbeit und direkte Hilfen weiter getragen werden. So übernimmt der Staat für 9 Milliarden Euro 20 % der Lufthansa, deren Börsenwert 4 Milliarden beträgt. Bei anderen Unternehmen ist es nicht viel anders und während die börsennotierten Unternehmen wieder hochgepäppelt werden, stirbt der Mittelstand – auch das ist Gewalt.

Die Regierungen machen weiter, als sei nichts geschehen, man spielt die gleichen politischen Spiele weiter wie zuvor, es findet kaum eine ernsthafte Auseinandersetzung damit statt, was geändert werden müsste, um bessere Gesellschaften zu organisieren. Doch der Gewalt der Staaten und der Regierungen schlägt eine immer härter werdende Welle der Gewalt aus der Bevölkerung entgegen und das wird immer bedenklicher.

Wir bräuchten heute das, was 1789 im Vorfeld der Französischen Revolution stattgefunden hatte – eine Versammlung der Generalstände, also aller Bevölkerungsschichten und -Gruppen, zunächst auf nationaler, dann aber auch auf europäischer Ebene, um einen Fahrplan in die Zukunft auszustellen. Alles müsste momentan auf den Prüfstand – von der Art der Organisation unserer nicht mehr funktionierenden Demokratien, über die Abschaffung des völlig korrumpierten Börsen- und Finanzsystems bis zur Frage der Ökologie im Zeitalter des auslaufenden Kapitalismus und der Frage der sozialen Verpflichtung der Staaten. Nicht nur die einzelnen Länder müssen sich reformieren, sondern in der Folge auch die Europäische Union.

Einfach nur zuzuschauen, wie die Gewalt alle Lebensbereiche erobert, in der Hoffnung, das Problem würde sich von alleine lösen, das reicht nicht mehr aus. Es gibt viele historische Beispiele dafür, dass dieses Abwarten und Hoffen zu enormen Katastrophen geführt hat. Wir müssen heute gegen diese Entwicklung gegensteuern, bevor es zu spät ist. Die Zeichen stehen auf Sturm.

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