Niemals vergessen

Heute vor genau 80 Jahren überfiel Nazi-Deutschland, unter einem selbst organisierten Vorwand, das Nachbarland Polen und stürzte die Welt in den II. Weltkrieg. Dieses Verbrechen darf nicht vergessen werden.

Heute vor 80 Jahren überfielen deutsche Soldaten das Nqachbarland Polen - der Auftakt zum II. Weltkrieg. Foto: Bundesarchiv, Bild 183-E10457 / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Am 31. August 1939 überfiel SS-Sturmbannführer Alfred Naujocks mit einem kleinen Kommando von SS-Leuten, verkleidet als polnische Freischärler, den Sender Gleiwitz nahe der polnischen Grenze. Im Sender überwältigten sie die anwesenden Techniker und speisten eine kurze Nachricht in den Sendebetrieb ein: „Achtung, Achtung! Hier ist Gleiwitz. Der Sender befindet sich in polnischer Hand. Die Stunde der Freiheit ist gekommen!“, wobei diese Nachricht auf Deutsch und Polnisch ausgestrahlt wurde. Beim Abrücken hinterließ das SS-Kommando sogar einen Toten, einen zuvor von der Gestapo verhaftete Obreschlesier Franz Honiok, der als „Beweis“ für den „brutalen Überfall“ der angeblichen polnischen Freischärler dienen sollte. Die Propaganda funktionierte und die gut vorbereitete Kommunikations-Maschine der Nazis verbreitete die „Nachricht“ über alle verfügbaren Kanäle. Adolf Hitler erklärte am Vormittag des 1. September 1939: „Polen hat heute Nacht zum ersten Mal auf unserem eigenen Territorium […] geschossen. Seit 5:45 wird jetzt zurückgeschossen.“ Der Überfall auf Polen hatte begonnen und sechs Jahre später lag die halbe Welt in Schutt und Asche und 60 Millionen Menschen hatten ihr Leben verloren. Niemals darf dieses schlimmste Verbrechen der Menschheitsgeschichte vergessen werden.

Heute, 80 Jahre später, müssen wir entsetzt mit ansehen, wie Neonazis erneut durch unsere Städte ziehen, Insignien dieses Horrors hochhalten und bei ihren Aufmärschen wieder „Deutschland, Deutschland über alles“ singen. Heute, am 1. September 2019, werden bei der Landtagswahl in Sachsen und in Brandenburg Hundertausende für eine Partei stimmen, für die der Begriff „völkisch“ zum normalen Sprachgebrauch zählt und die sich mit Organisationen wie der „Pegida“ gemein macht, die für diejenige Ideologie stehen, die zu diesem Verbrechen geführt haben.

„Wieso habt ihr weggeschaut?“, haben wir in unserer Jugend unsere Eltern gefragt, „wieso habt ihr das nicht verhindert?“. Wenn alle Demokraten jetzt nicht zusammen stehen, trotz aller ihrer politischen Meinungsunterschiede, dann werden uns unsere Kinder und Enkel eines Tages dieselbe Frage stellen.

Die Überhöhung der eigenen Nation, befeuert von den aktuellen Staatenlenkern, die alle wie damals die Nazis ihre Länder wieder „groß“ machen wollen, wobei keiner dieser Brandstifter erklärt, warum es erforderlich sein sollte, Länder wieder „groß“ zu machen, ist einer der vielen Vorboten für eine Entwicklung hin zu neuen Konflikten, die ebenso schleichend herankommen, wie es in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts der Fall war. Die Gefahr ist real, was man alleine schon an dem sich-frustriert-abwenden von der Politik erkennt. Auch heute haben sich viele Menschen wieder daran gewöhnt wegzuschauen, nicht wählen zu gehen und damit denjenigen einen Blankoscheck auszustellen, die gerade dabei sind, die Welt erneut auf den Irrweg des Nationalismus zu führen. Die Lunte am Pulverfass der Welt glimmt bereits wieder und – wir schauen weg.

Doch wer wegschaut, macht sich mitschuldig. Der große Schweizer Schriftsteller Max Frisch brachte es auf den Punkt: „Wer sich nicht mit Politik befasst, hat die politische Parteinahme, die er sich ersparen möchte, bereits vollzogen: er dient der herrschenden Partei.“

Heute, im Jahr 2019, leben wir schon längst nicht mehr in Friedenszeiten – die Kriege finden zwar in anderen Regionen dieser Welt statt, doch immer auch mit unserer Beteiligung. Entweder schicken wir Truppen, oder wir liefern Waffen oder wir schauen, wie damals, einfach weg. Immer wieder schwappen die Ausläufer dieser Konflikte auch zu uns herüber, zum Beispiel durch Terroranschläge. Denn wir sind bei diesen Kriegen wieder dabei und unsere Industrie verdient prächtig daran, den kriegsführenden Parteien das nötige Kriegsgerät zu verkaufen, genau wie im I. und um II. Weltkrieg. Da nützt es wenig, wenn sich unsere Staatenlenker bei öffentlichen Gedenkveranstaltungen treuherzig in die Augen schauen und „Nie wieder Krieg“ murmeln – wenn sie das tun, dann lügen sie, denn der Krieg in der Welt sichert Arbeitsplätze bei uns. Doch an diesen Arbeitsplätzen klebt Blut und die einzigen, die daran etwas ändern können, sind wir. Indem wir eben nicht mehr wegschauen und endlich aufhören für diejenigen zu stimmen, die unsere Welt erneut ins Elend stürzen.

60 Millionen Tote, zerrissene Familien, zerstörte Länder und unsägliches Elend – das ist die Bilanz des von Nazi-Deutschland angezettelten II. Weltkriegs. Und diese Bilanz war nur möglich, weil Millionen Deutsche, von denen viele keine Nazis waren, weggeschaut haben.

Wer heute wieder den Hass zwischen den Völkern schürt, wer andere Menschen wegen ihrer Herkunft oder ihres Glaubens herabwürdigt und diskriminiert, der äußert keine Meinung, sondern beteiligt sich aktiv daran, dass sich solche schrecklichen Entwicklungen wiederholen können. Solche Äußerungen, wie man sie heute wieder bei jedem Neonazi-Aufmarsch hört und zwar nicht nur in Deutschland, sind kriminell und keineswegs vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Schauen Sie nicht weg. Hören Sie nicht weg. Stehen Sie auf, sagen Sie laut und vernehmbar „Nein!“ und helfen Sie dabei, dass sich die bereits längst wieder begonnene Entwicklung hin zu neonationalistischen und totalitären Systemen nicht wiederholt. Speziell wir Deutsche haben hier eine besondere Verpflichtung – speziell wir müssen ein Beispiel geben, damit der Faschismus nicht in einem neuen, modernen und hoch technologisierten Gewand zurückkommt.

Für „Wehret den Anfängen!“ ist es heute, 80 Jahre nach dem Überfall auf Polen, schon wieder viel zu spät. Wie bereits der französische Philosoph Stéphane Hessel uns aufforderte – „Empört Euch!“. Engagiert Euch! Geht wählen! Und wählt endlich diejenigen, die sich gegen den neuen, schon gar nicht mehr schleichenden Totalitarismus stellen! Ansonsten müssten wir uns bereits heute auf die Frage einstellen: „Warum habt ihr das nicht verhindert?“

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