Noch nie gab es so viele Flüchtlinge wie heute

Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR läutet die Alarmglocken: Noch nie waren so viele Flüchtlinge in der Welt unterwegs wie heute. Und es gibt nicht nur ukrainische Flüchtlinge.

Das Flüchtlings-Hilfswerk UNHCR läutet alle Alarmglocken - weltweit sind mehr als 100 Millionen Menschen auf der Flucht. Foto: Post of Tajikistan / Wikimedia Commons / PD

(KL) – Die Welt hat gerade mal wieder eine hoch bedenkliche Schallmauer durchbrochen – mehr als 100 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht vor Krieg, Bürgerkrieg, Klimakatastrophen und Hungersnöten. Doch während sich die Welt überschlägt, den ukrainischen Flüchtlingen eine menschenwürdige Aufnahme zu bieten (was allerdings für den ukrainischen Botschafter in Berlin immer noch viel zu wenig ist…), haben es Flüchtlinge aus anderen Weltregionen deutlich schwerer. Hautfarbe, Glauben und Herkunft bestimmen heute die Qualität der Aufnahme von Flüchtlingen. Doch das wird nicht sehr lange gut gehen.

Laut UNHCR hat die Anzahl Flüchtlinge das Niveau zum Ende des II. Weltkriegs erreicht und niemand kann eine Prognose wagen, ob und wann die Flüchtlinge wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Denn das ist das Ziel der großen Mehrheit der Flüchtlinge – möglichst schnell wieder heimzukehren, denn anders, als es rechtsextreme Ausländerhasser versuchen darzustellen, die Flüchtlinge kommen nicht etwa, um „von unseren Sozialsystemen zu profitieren“, sondern um ihr Leben und das ihrer Familien zu retten. Was auch bei uns vermutlich jeder machen würde, müssten wir unter Bombenhagel oder in Hungersnot leben.

Der Krieg in der Ukraine hat diese Entwicklung natürlich befeuert. Innerhalb von drei Monaten haben 4,9 Millionen Menschen die Ukraine verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen und damit stellen die ukrainischen Flüchtlinge international bereits die zweitgrößte Flüchtlingsgruppe. Vor ihnen in diesem traurigen Ranking liegt nur noch Syrien, von wo rund 7 Millionen Menschen flüchten mussten. Und diese Entwicklung ist noch lange nicht vorbei.

Doch die UNHCR weist auch darauf hin, dass man auch das Schicksal von Flüchtlingen aus anderen Weltregionen ernstnehmen muss, zumal für diese Flüchtlinge kaum Geld und vor allem, kaum die Bereitschaft zur Hilfe vorhanden ist. Die Krisenherde in West- und Ostafrika, im Mittleren Osten, in Myanmar (wo zahlreiche Rohingya vertrieben wurden) oder auch in Südamerika, mit Fluchtbewegungen aus Venezuela, aber auch Flüchtlingstrecks in Richtung USA, sind zahlreich und die Weltöffentlichkeit scheint diese weitgehend zu ignorieren.

Dabei sind die Fluchtursachen vielerorts die gleichen. So sind viele syrische Flüchtlinge vor den gleichen russischen Bomben geflüchtet wie die ukrainischen Flüchtlinge, doch haben syrische Flüchtlinge dazu noch ein ganz anderes Problem: ihre Hautfarbe und ihren Glauben. Diese beiden Elemente machen syrische Flüchtlinge „suspekt“ und dementsprechend ist ihre Aufnahme eine ganz andere Geschichte als diejenige der ukrainischen Flüchtlinge.

Doch sollte man jetzt nicht versuchen, das Niveau abzusenken, sondern ganz im Gegenteil, es sollte Aufgabe der reichen Nationen sein, Flüchtlingen aus anderen Weltregionen die gleiche Aufnahme zu bieten wie den ukrainischen Flüchtlingen.

Wenn man bedenkt, dass sich in den letzten Jahren die Anzahl der Flüchtlinge weltweit verdoppelt hat und dass die Welt seit 15 Jahren jedes Jahr einen Anstieg der Flüchtlingszahlen erlebt, muss man davon ausgehen, dass sich diese Entwicklung nicht nur fortsetzen, sondern intensivieren wird. Bereits in wenigen Jahren werden wir vor der Situation stehen, dass es immer mehr Klimaflüchtlinge aus Regionen geben wird, die aufgrund des Klimawandels nicht mehr bewohnbar sein werden, beispielsweise in Küstenländern, in denen weite Teile des Landes unter dem Meeresspiegel liegen und für die ein klimabedingter Anstieg des Meeresspiegels fatal sein wird.

Der Realismus verlangt, dass wir diese Entwicklung sehen und ernstnehmen und weltweite Strategien entwickeln, wie mit diesen Flüchtlingswellen umzugehen ist. In Europa bedeutet das, dass diejenigen Länder, die sich den Luxus leisten, sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen zu sperren, entweder die kontinentalen Organisationen wie die EU verlassen, oder aber solidarisch mit dem Rest der Mitgliedsstaaten die Aufnahme von Flüchtlingen organisieren und mittragen.

Ebenso stehen die reichen Länder in der Verpflichtung, die Lebenssituation der Menschen in Schwellen- und armen Ländern so zu verbessern, dass die Fluchtgründe wegfallen. Dies betrifft vor allem die Entwicklungshilfe, doch wenn man genau hinschaut, beispielsweise in Ostafrika, unterstützt der Westen lieber die Repressions-Apparate lokaler Diktatoren, als tatsächlich für eine Verbesserung der Lebenssituation der Menschen im Land zu arbeiten. Entwicklungshilfe muss an konkrete Vorgaben gekoppelt werden und darf keine Elemente wie den „Ausbau und die Ausrüstung der Geheimdienste“ umfassen.

Das Thema „Flüchtlinge“ wird so lange nicht verschwinden, wie die Welt nicht in der Lage ist, militärische Konflikte am Verhandlungstisch zu lösen. Im Grunde braucht die Welt so etwas wie eine komplette Neuorganisation – 100 Millionen Menschen auf der Flucht haben das Recht, dies zu fordern. Und mit Sprüchen wie „Das Boot ist voll“ wird man diese Problematik sicher nicht lösen können.

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