Nur Europa scheint niemanden zu interessieren

In Frankreich stellen die Parteien gerade ihre Listen für die Europawahl auf. Dabei fällt auf, dass nur die Grünen ein Europa-Programm haben und es ansonsten um alles geht, nur nicht um Europa.

Olivier Faure und Stéphane Le Foll oder Die PS - durch Zellteilung von der Volkspartei zur Splittergruppe. Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Was für eine seltsame Europawahl! Obwohl sich die meisten der Bedeutung dieser Wahl bewusst sind, ist den französischen Parteien alles wichtiger als das Thema „Europa“. Die einen hoffen, über den Weg der Europawahl die aktuelle Sozialkrise überwinden zu können, die anderen organisieren wilde Manöver, um sich auf die Kommunalwahl 2020 vorzubereiten, wieder anderen machen genau dort weiter, wo sie bei den Parlamentswahlen 2017 aufgehört hatten – beim Verrat ihrer „politischen Überzeugungen“. Denn wenn es um Kandidaturen, Posten und Pöstchen geht, stoßen die „politischen Überzeugungen“ schnell an ihre Grenzen.

Die Spitzenkandidaten der Parteien haben, mit leichten Unterschieden, eines gemeinsam – sie haben keinerlei Erfahrungen in der Europapolitik, sprechen generell keine Fremdsprachen und alle sind scharf auf einen gut dotierten Sitz im Europaparlament. Doch was gewinnen die Länder, wenn sie das Europaparlament als Parkplatz für Politiker missbrauchen, die in der nationalen Politik ausgedient haben?

Die Umfragen sehen in Frankreich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem rechtsextremen Front National und der Regierungspartei LREM. Beide Formationen dürften zwischen 20 und 24 % der Stimmen holen und damit die größten französischen Blöcke im neuen Parlament stellen. Spitzenkandidatin der LREM ist die bisherige Europaministerin Nathalie Loiseau, deren Amt sicherlich sehr europäisch war, doch muss man auch festhalten, dass sie in diesem Amt wenig geglänzt hat. Nathalie Loiseau hatte das Glück, mit Abgeordneten wie dem Elsässer Sylvain Waserman ein Team um sich zu haben, dass zumindest die deutsch-französischen Beziehungen in ihrer Amtszeit mit viel Dynamik versehen hat, doch in anderen europäischen Dossiers war Nathalie Loiseau ziemlich wirkungslos.

Der junge Rechtsextreme Jordan Bardella (23 Jahre) trat bereits mit 16 Jahren in den Front National ein und verfügt über keinerlei Erfahrungen in der Europapolitik. Das ist aber vielleicht bei den Rechtsextremen auch gar nicht so wichtig, wollen diese doch ohnehin Frankreich vom „Joch Brüssels“ befreien. Um für Europa Konstruktives zu leisten, ist dieser Nachwuchs-Rechtsextreme eine absolute Fehlbesetzung. Mit 33 Jahren ist der Spitzenkandidat der konservativen Republikaner (LR) zwar etwas älter, dafür aber genauso unbekannt und unerfahren wie sein rechtsextremer Kollege. Erstaunlich, da die Konservativen zahlreiche Abgeordnete im Europäischen Parlament hatten, doch deren Kenntnisse der europäischen Politik und deren Funktionsweisen scheint bei der diesjährigen Europawahl ein KO-Kriterium zu sein.

Einzig bei den Grünen (Verts – EELV) sind Europakompetenzen gefragt. Die ersten beiden Plätze der grünen Liste gehören zwei aktuellen Europaabgeordneten, Yannick Jadot und Michèle Rivasi, die seit Jahren im Europäischen Parlament durch gute Arbeit und Präsenz aufgefallen sind. Damit bieten die Grünen eine echte Wahlalternative – Europa-Kompetenz gegen Europa-Inkompetenz.

Im linken Parteienspektrum wird es dann noch etwas trauriger. Die zurzeit stärkste linke Partei, „La France Insoumise“ (LFI) schickt Manon Aubry ins Rennen. Die 29-Jährige kommt aus der Zivilgesellschaft und hatte zuvor eine ONG geleitet, Oxfam France. Natürlich verfügt auch diese Kandidatin über keinerlei Erfahrung in der Europapolitik und reiht sich damit lückenlos in die Reihe der Kandidaten ein, deren Hauptargument „der unverbaute Blick“ auf Europa ist, sprich, eine erfrischende Ahnungslosigkeit. Die implodierende sozialistische Partei PS hat das Kunststück geschafft, genau pünktlich zur Wahl das Handtuch zu werfen. Statt das erfolgreiche PS-Team der letzten Legislaturperiode im Europäischen Parlament mit Abgeordneten wie Christine Revault-D’Allonnes-Bonnefoy oder Karine Gloanec-Maurin zu stärken, wurden die besten Europa-Expertinnen der PS auf aussichtslose Listenplätze gesetzt, damit PS-Chef Olivier Faure sich den neuen Partnern der PS, „La Place Publique“ unterwerfen konnte. Erstmals gehen die Sozialisten nicht mit einem sozialistischen Spitzenkandidaten in die Wahl, sondern mit dem Philosophen Raffael Glucksmann, dessen Hauptstärke darin liegt, Sohn des bekannten Philosophen André Glucksmann zu sein. Erfahrungen mit dem Thema Europa? Fehlanzeige. Warum die PS ihre Implosion dadurch beschleunigt, dass man die weiblichen Profis der Europapolitik durch männliche Amateure ersetzt, das bleibt wohl das Rätsel der Partei, die noch vor zwei Jahren den französischen Präsidenten und die Mehrheit im französischen Parlament stellte – doch offenbar hat die PS immer noch nicht verstanden, warum sie heute in den Umfragen bei 3 % dümpelt und damit echte Chancen hat, an der 5 %-Hürde zu scheitern.

Offen ist noch die Frage, ob es tatsächlich eine Liste der „Gelbwesten“ geben wird. Mindestens vier „Gelbwesten“-Gruppierungen hatten angekündigt, an der Wahl teilnehmen zu wollen, doch bislang sieht es nicht so richtig danach aus, als könnten sich die Gelbwesten so organisieren, dass sie eine Liste hinbekämen, zumal auch die eine oder andere „Gelbweste“ bereits ein warmes Plätzchen am Ofen der extremistischen Parteien gefunden hat. In jedem Fall würde auch eine Liste der „Gelbwesten“ den französischen Trend für die Europawahl 2019 verkörpern: „Ahnungslosigkeit ist Trumpf“.

Warum die Grünen die einzige Partei sind, in der Europa-Kompetenz ein Kriterium bei der Besetzung der Wahllisten war, bleibt rätselhaft. Und angesichts der Konzeptlosigkeit der Parteien versteht man langsam, warum die traditionellen Parteien weiterhin in Richtung Bedeutungslosigkeit abrutschen. Es sieht fast so aus, als habe sich das politische Establishment in Frankreich damit abgefunden, dass es zum Aussterben verurteilt ist. Für Europa ist das eine schlechte Nachricht, denn die Kandidaten, die von fast allen Parteien ins Rennen geschickt werden, können weder Europa voranbringen, noch Frankreich gut auf europäischer Ebene vertreten. Bislang liefern die französischen Parteien vor allem eines – gute Argumente, um nicht wählen zu gehen. Jämmerlich.

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