Österreich geht „All In“

Nicht geimpften Personen geht es ab nächster Woche in der Alpenrepublik richtig schlecht – die Regierung von Kanzler Alexander Schallenberg will einen neuen Lockdown verhängen. Aber nur für nicht geimpfte Personen.

Wenn die Pandemie in Österreich trotz Ungeimpften-Lockdown weitergeht, werden alle europäischen Regierungen in Erklârungsnot kommen. Foto: Hadi / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – In Österreich, wie fast überall, explodieren die Covid-Infektionszahlen. Und da man sich in Europa daran gewöhnt hat, dass alle Regierungen tapfer an individuellen „Lösungen“ stricken (von denen bislang keine Erfolg hatte), fällt den Österreichern jetzt wieder etwas Neues ein – der Lockdown für nicht geimpfte Personen. Doch in ihrem Aktionismus übersieht die österreichische Regierung, dass sie damit das Narrativ praktisch aller europäischen Regierungen ins Wanken bringen wird, die alle nach wie vor behaupten, die nicht geimpften Personen seien schuld an der Ausbreitung des Virus. Wenn der österreichische Lockdown erwartungsgemäß zum Flop wird, ist der Nachweis erbracht, dass die Schuldfrage anderswo als bei nicht geimpften Personen zu suchen ist.

Die Art und Weise, in der europaweit Impfzweifler zu Sündenböcken gestempelt werden, ist unglaublich. Doch sollte sich diese Personengruppe paradoxerweise auf das österreichische Experiment freuen – denn ohne eine solche Maßnahme, die auch in anderen Ländern diskutiert wird, könnte kaum der Nachweis erbracht werden, dass die Ausbreitung des Virus nicht nur von nicht geimpften, sondern im gleichen Maß von geimpften und genesenen Personen verursacht wird.

Bereits seit Wochen verwandeln sich zahlreiche 2G- und 3G-Veranstaltungen, also Events, bei denen die vermeintlich „sicheren“ Bevölkerungsgruppen unter sich bleiben, in neue Cluster. Kein Wunder, ist doch eine der wenigen Gewissheiten zu diesem Virus die Tatsache, dass auch geimpfte und genesene Personen das Virus weiterhin einfangen und weitergeben können. Wenn nun aber die nicht geimpften Personen erneut weggesperrt werden, dann wird die österreichische Regierung in Erklärungsnöte kommen, wenn die Pandemie ungebremst weitergeht und sich dann eben vermeintlich „sichere“ Personen gegenseitig anstecken.

Die Sündenbock-Theorie, nach der weder unfähige Politiker, noch nur sehr begrenzt wirkende Impfstoffe für diese Pandemie verantwortlich sind, sondern die „Vaterlandsverräter“, die sich (noch) nicht impfen lassen wollen, steht dann auf dem Prüfstand. Sollte sich die pandemische Lage dann nicht dramatisch verbessern, wird uns nichts anderes übrigbleiben, als dann doch wieder genauer bei den unfähigen Politikern und nur sehr begrenzt wirkenden Impfstoffen hinzuschauen.

Dass diese isolierten, nationalen, oft auch regionalen oder lokalen Maßnahmen keinerlei Aussicht darauf haben, eine weltweite Pandemie wirksam bekämpfen zu können, das möchte die Politik einfach nicht begreifen. Statt eine europäische Strategie, statt eine kontinentale Harmonisierung der Maßnahmen zu versuchen, verfällt man dann eben auf so abstruse Maßnahmen wie einen „Lockdown der Ungeimpften“. Aber ohne es zu wollen, bringt die österreichische Regierung damit sich selbst und alle Amtskollegen in Europa in arge Bedrängnis. Denn wenn die Pandemie in Österreich weiterläuft, und damit muss man rechnen, dann werden die Regierungen wieder im Fokus stehen und irgendwann auch die Frage beantworten müssen, warum sie auf erfolgversprechende, kontinentale Ansätze verzichtet und stattdessen ihre Gesellschaften gespalten haben. Wer weiß, ob danach immer noch die nicht geimpften Personen die Sündenböcke sind oder vielleicht doch die Politiker, die sich von Kardinalfehler zu Kardinalfehler hangeln und dann niemanden mehr haben, dem sie die Schuld in die Schuhe schieben können. Es sieht ganz so aus, als sollte es ab nächster Woche richtig interessant werden.

3 Kommentare zu Österreich geht „All In“

  1. Kurz und knapp: Nehmen wir mal an, Sie wären “Politiker”: Was würden Sie dann konkret unternehmen in der Situation? Ich bin auf Ihre Vorschläge sehr gespannt.

    • Ich würde das machen, was ich seit Monaten schreibe: eine harmonisierung der Massnahmen auf europäischer Ebene. Also den einzigen Ansatz, über den unsere Regierungen noch nicht einmal diskutieren. Dadurch, dass wir seit 2 Jahren an lokalen, regionalen und nationalen “Lösungen” stricken, die sich gegenseitig aufheben und im besten Fall für einen kurzen Moment ein wenig Entspannung in den Krankenhäusern bringen, ist es in einer globalisierten Welt logisch, dass dieses lokale Gestümper keine weltweite Pandemie eingrenzen kann. Dass die Regierungen in ihrer Hilflosigkeit nichts Besseres zu tun haben, als Impfzweiflern die Schuld für ihr eigenes Versagen in die Schuhe zu schieben, ist wenig zielführend. Doch durch einen Lockdown der Nichtgeimpften wird zumindest eines passieren: Das Narrativ der Sündenböcke wird in sich zusammenbrechen, denn die Pandemie wird auch in Österreich weiterlaufen. Nur eben zwischen so genannten “sicheren” Personengruppen, wo man dann merken wird, dass diese Gruppen gar nicht so sicher sind, wie wir es gerne hätten.

  2. Wahrscheinlich will jeder der 27 die anderen 26 mit an den Tisch kriegen… Ich denke, da kann man viel fordern. Corona Massnahmen tun weh, verlangen Sie nicht zuviel.

    Und selbst wenn es klappen würde, was wären die Beschlüsse dann konkret? Hier weichen Sie aus.

    Die Presse weiß im Moment immer alles besser. Aber konkrete umsetzbare Vorschläge kommen nicht.

    Es sind Politik, Presse und wir letztlich alle, die versagen.

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