Offener Brief an Frau Ministerin Najat Belkacem-Vallaud

Der Präsident der Straßburger Stiftung „Fondation Entente Franco-Allemande“ reagiert auf die Pläne der französischen Bildungsministerin, die den zweisprachigen Unterricht abschaffen will.

Für den Präsidenten der Fondation Entente Franco-Allemande ist die geplante Reform des Sprachunterrichts in Frankreich ein politischer Fehler. Foto: Claude Truong-Ngoc / Eurojournalist(e)

Straßburg, 12. Mai 2015

Sehr geehrte Frau Ministerin,

Die geplante Reform der Mittelstufe (Collège) umfasst Regelungen bezüglich des Unterrichts in lebenden Fremdsprache, die Anlass zu Besorgnis geben. Hier wird der Eindruck erweckt, dass die Abschaffung von zweisprachigen Klassen und europäischen Sektionen durch das Angebot einer zweiten Fremdsprache ab der 5. Klasse kompensiert wird, jedoch sind alle Fachleute darüber einig, dass in Wirklichkeit eine Absenkung der Stundenzahl in der zweiten Fremdsprache die am ehesten vorhersehbare Konsequenz dieser Regelung sein wird. Wenn, wie Sie es darlegen, das gewünschte Ziel darin besteht, die sprachlichen Kompetenzen der Schüler in der Mittelstufe zu stärken, dann darf man getrost von einem Scheitern dieser Reform ausgehen.

Da vor allem der Unterricht der deutschen Sprache im Zentrum der Diskussionen steht, erregt die vorhersehbare Reduzierung des Unterrichts die Besorgnis all derjenigen, die ganz im Gegenteil eine Stärkung dieses Fachs wünschen, das in unserem Ausbildungssystem im Laufe der Zeit immer schwächer geworden ist. Die Ankündigung, die Anzahl der Stellen für den Wettbewerb in der Lehrerausbildung CAPES Deutsch zu erhöhen, ist sicher nicht die richtige Antwort auf die Absenkung der Unterrichtsstunden, ohne dabei auf das Missverhältnis zwischen der Anzahl zu besetzender Stellen und tatsächlich vergebener Stellen einzugehen!

Der Versuch, eine solche Entwicklung zu verhindern, ist nicht etwa auf den Wunsch der konservativen Beibehaltung des Status Quo zurück zu führen, sondern es handelt sich um den Hinweis, dass hier ein politischer Fehler und eine Fehleinschätzung der wirtschaftlichen Realitäten vorliegen.

Die Förderung der Sprachausbildung in der Sprache des Nachbarn, also der deutschen Sprache in Frankreich und der französischen Sprache in Deutschland, ist eine vertragliche Verpflichtung, die sich aus dem Elysee-Vertrag ergibt, dessen 50. Jahrestag mit großem Prunk vor zwei Jahren gefeiert wurde. Nur, weil diese vertragliche Regelung nicht ernsthaft verfolgt wurde, ist es noch lange kein Grund, heute, 52 Jahre später, nicht damit zu beginnen, diese mit mehr Überzeugung umzusetzen. Auch die Tatsache, dass unsere deutschen Freunde ihrerseits nicht immer die richtigen Entscheidungen bezüglich des Unterrichts der französischen Sprache in den verschiedenen Bundesländern getroffen haben, ist kein Grund dafür, unsere Anstrengungen in diesem Bereich heute aufzugeben – im Gegenteil! Die strategischen Entscheidungen für das Angebot des Fremdsprachenunterrichts können dazu führen, dass sich die Partner gegenseitig motivieren, die nächsten Schritte zu machen; auf der anderen Seite muss man davon ausgehen, dass wenn sich einer der Partner missachtet oder ungerecht behandelt fühlt, dies wiederum zu ebenso negativen Antworten führen wird. Insofern dürfte eine neuerliche Reduktion des Deutschunterrichts in der Mittelstufe für den Französischunterricht in Deutschland nicht folgenlos bleiben.

Deutschland ist und bleibt unser wichtigster Handelspartner, auch, wenn die französische Wirtschaft im letzten Jahrzehnt in Schwierigkeiten geraten ist. Dennoch bleibt Deutschland der uns am nächsten stehende politische Partner. Dies führt zu einem Bedarf an Fachleuten in allen Bereichen, die unsere beiden Sprachen beherrschen, um einen auch weiterhin intensiven Dialog führen zu können. Nur dann, und das wissen Sie, kann Europa hoffen, wieder in die Gänge zu kommen. Die letzten Jahre haben gezeigt, wie sehr fehlende Kenntnisse des jeweils anderen Lands und der jeweiligen Mentalitäten, die sich hinter den beiden Sprachen verbergen, negative Auswirkungen haben können. Ein ausreichender Umgang mit unseren beiden Sprachen ist folglich die Grundlage, auf der die künftigen Beziehungen aufgebaut werden müssen.

All das erscheint logisch, selbstverständlich und wurde bereits oft gesagt und noch häufiger wiederholt, insbesondere bei den bereits erwähnten Feierlichkeiten 2013. Ist es wirklich so schwer, diese Selbstverständlichkeiten in unsere Politik der Sprachausbildung zu integrieren und dabei einen starken Willen zu zeigen, statt eine Politik des geringsten Widerstands und des „Laissez-faire“ zu führen, deren Argument ist, dass man eine vorgebliche Elitenbildung vermeiden will? Warum schaffen wir dann nicht auch die Eliteschulen wie die ENA, die Ecole Polytechnique, die Ecole Centrale oder die Ecole Normale Sup ab, die wohl hervorstechenden Beispiele für diese Elitenbildung?

Wenn es eine französische Region gibt, in der ganz im Gegenteil der Unterricht der deutschen Sprache zur Normalität und systematisch angeboten werden sollte, dann ist das natürlich die neue ostfranzösische Großregion ALCA, insbesondere das Elsass und Lothringen, die beide eine besonders enge politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den deutschen Nachbarn pflegen. Die Absenkung der sprachlichen Kompetenzen der Jugendlichen durch die Abschaffung der zweisprachigen Klassen und der europäischen Sektionen beraubt sie eines großen Teils ihrer Zukunftsmöglichkeiten in dieser Großregion, die einen regen Austausch mit der Schweiz und Deutschland lebt! Es handelt sich um einen tragischen Irrtum, der völlig den Bedarf eines Arbeitsmarkts außer Acht lässt, der im kommenden Jahrzehnt mehr als 100.000 Arbeitsplätze zu besetzen haben wird.

Unser Ausbildungssystem erlebt regelmäßig Reformen. Wann endlich, Frau Ministerin, erleben wir eine echte Bildungsreform in den lebenden Fremdsprachen, die unsere Abiturienten jedoch nach 7 Jahren Unterricht nur bruchstückweise verstehen? Wann endlich wird eine Informationsstelle geschaffen, die den Eltern erklärt, dass die deutsche Sprache keine Elitesprache ist, die nur brillanten Kindern vorbehalten sein soll?

Sie wurden, Frau Ministerin; in den letzten Wochen von verschiedenster Seite und aus allen politischen, pädagogischen und wissenschaftlichen Lagern und von all denen, die nicht möchten, dass unsere Kinder der Möglichkeit beraubt werden, unter guten Bedingungen Sprache und Kultur unseres befreundeten deutschen Nachbarn zu erlernen, gebeten, diese Reform zu überdenken.

Als Präsident einer Stiftung, die täglich im Dienst der deutsch-französischen Freundschaft arbeitet, kann ich mich diesen Aufrufen nur anschließen!

Mit freundlichen Grüßen,

Jean-Georges Mandon

Präsident der Stiftung Fondation Entente Franco-Allemande

Der in Stuttgart geborene frühere französische Diplomat Jean-Georges Mandon ist Präsident der Straßburger Stiftung „Fondation Entente Franco-Allemande“ (FEFA).

Die französische Version dieses Offenen Briefs erscheint parallel auf der “Edition Eurojournalist(e)” bei unseren Kollegen von Mediapart.

5 Kommentare zu Offener Brief an Frau Ministerin Najat Belkacem-Vallaud

  1. Wo haben Sie – in Stuttgart geboren – dieses unsägliche Deutsch gelernt? Wenn die Reform von NVB dazu führt, dass korrektes Deutsch gelehrt und gelernt wird, wäre weniger tatsächlich besser.

    • Kai Littmann // 18. Mai 2015 um 9:47 // Antworten

      Erlauben Sie mit als Chefredakteur und Herausgeber zu antworten – ich persönlich halte es für stark, dass Herr Mandon sich die Mühe macht, auf Deutsch und Französisch zu schreiben. Er hätte auch nur auf Französisch schreiben können, seiner Muttersprache. Daraus zu folgern, dass die geplante Reform eine gute Sache sei, geht reichlich weit am Thema vorbei. Vorschlag, da Sie ja sicher in diesen Dingen perfekt sind – schreiben Sie doch Ihre Beobachtungen und Kritik auf Französisch…

    • Willi Danelzik // 19. Mai 2015 um 18:47 // Antworten

      Sehr geehrter Herr Kulpok, was ist an diesem Deutsch “unsäglich”? Verstehen Sie Texte nur dann, wenn deren Sätze die Länge von einer Zeile nicht überschreiten?
      Im übrigen sind die wichtigsten Argumente bestens vorgetragen: Sollte die Mittelstufenreform wie momentan geplant durchgesetzt werden, droht dem französischen Fremdsprachenunterricht eine wahrhaftige “Verwüstung”, v.a. was Deutsch betrifft.
      Mit freundlichen Grüßen
      W. Danelzik, Lyon

    • Sie scheinen Schwierigkeiten mit Genitiv-Konstruktionen zu haben, Herr Kulpok.

  2. Sehr gute Darstellung – bis auf einen entscheidenden Übersetzungsfehler: Die 2. Fremdsprache wird nicht schon in der 5. Klasse eingeführt (was dem CM2 entspräche, also der letzten Grundschulklasse), sondern ab der 7. Klasse (auf Französisch die 5e) – die Franzosen zählen die Schuljahre in einem Countdown runter bis zum Abitur.

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