Oradour-sur-Glane – eine Wunde, die nie verheilt

Am 10. Juni 1944 verübte die SS-Division „Das Reich“ eines der schlimmsten Massaker des II. Weltkriegs im Dorf Oradour-sur-Glane. Ein Massaker, das nie vergessen werden darf.

Am 10. Juni 1944 ist in Oradour-sur-Glane die Zeit stehen geblieben. Foto: Alex Hughton / Wikipedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Oradour-sur-Glane, rund 25 Kilometer nord-westlich von Limoges gelegen, war ein friedliches Dorf. Bis zum 10. Juni 1944. An diesem Tag veränderte sich Oradour-sur-Glane für immer. Die SS-Division „Das Reich“, die sich auf dem Weg von Tulle im Südwesten Frankreichs in die Normandie befand, um dort gegen Partisanen vorzugehen, befand sich im Blutrausch. Am Vortag hatten die Nazi-Barbaren in Tulle 99 Widerstandskämpfer gehenkt und an diesem 10. Juni 1944 begingen die SS-Schlächter ein Massaker an der Bevölkerung von Oradour-sur-Glane, das in seiner brutalen Sinnlosigkeit sprachlos macht. Doch darf man angesichts der faschistischen Barbarei nicht sprachlos bleiben, sondern man muss die Worte finden, die den Elan all derjenigen stoppen, die heute wieder den Faschismus verherrlichen. Oradour-sur-Glane ist eine offene Wunde, ein Mahnmal, ein Ort des Grauens und die Gräueltaten der faschistischen Barbaren dürfen nie in Vergessenheit geraten.

Da es in Deutschland keinerlei Gedächtniskultur für diesen französischen Traumatismus gibt, muss beschrieben werden, was an diesem 10. Juni 1944 in Oradour-sur-Glane geschah. Als die SS-Schergen in das Dorf einfielen, mussten sich alle Bewohner des Dorfs und auch umliegender Siedlungen mit ihren Papieren auf dem Dorfplatz versammeln, angeblich für eine Identitätskontrolle. Männer und Frauen wurden getrennt, die Männer wurden an 6 Orte geführt, wo sie erschossen wurden. Dabei, so berichteten später die wenigen überlebenden Augenzeugen, schossen die SS-Schergen teilweise nur auf die Beine ihrer Opfer, die dann bei lebendigem Leib verbrannt wurden.

Die Frauen und Kinder wurden in die Kirche gebracht, wo sie vergast werden sollten, doch die Gaseinrichtung explodierte und setzte die Kirche in Brand. Bis auf eine Frau kamen alle Personen in dieser Kirche ums Leben.

Ein kleines Dorf, mitten im Nirgendwo, ohne jedwede strategische Bedeutung für den barbarischen Krieg der Nazis, ausgelöscht, auf brutalste Weise ermordet, Männer, Frauen, Kinder, Greise hingemetzelt von einer Blutrauschbande, die sich im Vorgriff auf die zu diesem Zeitpunkt bereits feststehende militärische Niederlage an der Zivilbevölkerung rächte.

Dass dieses Massaker von Oradour-sur-Glane selbst allen Regeln des Kriegsrechts widersprach, ist eine Sache. Dass dieses Massaker in seiner Brutalität die Negierung der Menschlichkeit schlechthin darstelle, ist eine andere Sache. Dass heute, 77 Jahre nach diesem schrecklichen Verbrechen, Deutschland keinerlei Erinnerung an Oradour-sur-Glane pflegt, ist ein Skandal. Gewiss, Joachim Gauck hatte den Mut, gemeinsam mit dem damaligen Präsidenten François Hollande an diesem Gedenktag nach Oradour-sur-Glane zu gehen, um sich dort still für die unsäglichen Verbrechen der Nazis zu entschuldigen, war eine wichtige Geste, doch diese Geste erreichte kaum jemand in Deutschland.

Heute, 77 Jahre später, haben in Deutschland Neonazis wieder Rückenwind. Eine Partei, der Verfassungsschutz und Wissenschaftlicher wieder eine „völkische Gesinnung“ bescheinigen, sitzt mit fast 100 Abgeordneten im Bundestag. Entgegen aller Beteuerungen ist die Bestie nicht tot, sie ist gerade dabei, wieder aufzuwachen.

Keiner der Täter von Oradour-sur-Glane ist noch am Leben, doch die Erinnerung an dieses grauenhafte Massaker ist in Frankreich immer noch lebendig. Das Dorf ist heute zweigeteilt – in einer Hälfte leben Menschen, die andere Hälfte, dort, wo das Massaker begangen wurde, ist alles unverändert so geblieben, die es die Nazi-Barbaren am 10. Juni 1944 hinterlassen haben, ein Mahnmal, das uns alle auf immer daran erinnern soll, was Menschen in der Lage sind, anderen Menschen anzutun.

In Deutschland sollte man sich überlegen, wie man diesen 10. Juni gemeinsam mit den französischen Nachbarn begehen kann. Wie man in den Schulen über Oradour-sur-Glane spricht, wie man den nächsten Generationen erklärt, was ihre Vorfahren angerichtet haben und dass so etwas nie wieder passieren darf. Die Wunde Oradour-sur-Glane wird in Frankreich nie verheilen. Man hat zwar gelernt, mit dieser Wunde zu leben, doch richtig verheilen kann sie nicht. Deutschland hingegen hat Oradour-sur-Glane erst mit dem Mantel des Schweigens bedeckt und dann vergessen. Und genau das muss sich ändern. Nicht etwa, um heute mit dem Finger auf die Nachfahren der Nazis zu zeigen, sondern um zu verhindern, dass gröhlende Neonazis genau die barbarischen Mörder verherrlichen, die dieses Leid angerichtet haben. Der erneute Aufstieg von Neonazis und „völkischen Idioten“ sollte uns allen zu denken geben. Die Erinnerung an Oradour-sur-Glane muss auch in Deutschland wieder erwachen, damit im September die „völkische Partei“ nicht wieder in einer solchen Stärke in den deutschen Bundestag einziehen kann.

Heute denkt ganz Frankreich an Oradour-sur-Glane. Und Deutschland sollte das auch tun. Denn ansonsten wird „Nie wieder so etwas!“ zu einer bedeutungslosen Worthülse.

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