Paragraph 49.3 – wie Frankreich gegen sein eigenes Parlament regiert

Mit dem Paragraphen 49.3 der französischen Verfassung kann die Regierung Gesetze ohne Abstimmung im Parlament beschließen. So auch das nicht mehrheitsfähige neue Arbeitsgesetz.

Wozu dient das französische Parlament, wenn die Regierung es einfach aushebeln kann? Foto: Getfunky Paris / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Wann immer eine französische Regierung den Paragraphen 49.3 zieht, geht ein Aufschrei durch die Opposition. Das war immer so und das wird auch immer so bleiben, denn dieser Paragraph ist ungefähr das Undemokratischste, was man sich vorstellen kann. Wenn dieser Paragraph genutzt wird, kann die Regierung ein Gesetz am Parlament vorbei beschließen und damit die vom Volk gewählten Abgeordneten einfach umgehen. Genau das beabsichtigt gerade die französische Regierung, um das neue Arbeitsgesetz zu verabschieden, das nicht einmal in der Regierungspartei PS eine Mehrheit findet. Erneute Proteste gegen das „Gesetz El-Khomri“ sind damit programmiert.

Es ist schon seltsam – als vor Jahren eine konservative Regierung diesen Paragraphen 49.3 zog, standen die Sozialisten auf den Barrikaden. Allen voran der heutige Präsident François Hollande, der damals richtig anmerkte, dass dieser Paragraph der Ausdruck eines undemokratischen Vorgehens und damit einer absoluten Schwäche der Regierung sei. Doch die Erkenntnis von damals kümmert heute die Sozialisten wenig. Angesichts von mehr als 40 „Dissidenten“ in den eigenen Reihen, die angekündigt hatten, gegen das vorgeschlagene Arbeitsgesetz stimmen zu wollen, will sich die französische Regierung keiner Abstimmungsniederlage im Parlament aussetzen. Daher kündigte Ministerpräsident Manuel Valls bereits an, dieses Gesetz, gegen das seit Wochen Hundertausende Franzosen auf die Straße gehen, am Parlament vorbei mit dem Paragraphen 49.3 durchboxen zu wollen.

Innerhalb kurzer Zeit greifen die Sozialisten nun bereits zum zweiten Mal zu diesem undemokratischen Instrument – bereits das „Gesetz Macron“, mit dem die Wirtschaft angekurbelt werden sollte, musste mit dem 49.3 verabschiedet werden, auch in diesem Fall wollte die Regierung nicht das Risiko eingehen, im Parlament eine Niederlage einstecken zu müssen.

Das geplante Arbeitsgesetz, mit dem zahlreiche soziale Errungenschaften der letzten Jahrzehnte zugunsten der Arbeitgeber abgeschafft werden, die künftig deutlich einfacher Arbeitnehmer entlassen können, deutlich weniger Abfindungen in Sozialplänen zahlen müssen und auch die Arbeitsbedingungen wie Überstunden mehr oder weniger nach Gutdünken festlegen können, treibt seit Wochen die Franzosen auf die Straße. Die Bewegung „Nuit debout“ ist eines der Elemente, mit denen sich dieser Protest ausdrückt – doch auch auf anderen Ebenen ist der Widerstand gegen dieses Gesetz groß.

Abgesehen davon, dass die Verwendung des Paragraphen 49.3 tatsächlich eine vollständige Missachtung des eigenen Volks und dessen gewählter Vertreter ist, dürfen sich die Verantwortlichen nicht wundern, dass sich immer mehr Menschen von der Politik abwenden und die Wahlen boykottieren. Wenn am Ende eine Regierung die Möglichkeit hat, am Parlament und damit an der Demokratie vorbei zu regieren, dann wird es schwer, den Menschen zu erklären, warum sie wählen gegen sollen. Und dann passiert genau das, was wir gerade in zahlreichen europäischen Ländern erleben – den Aufschwung der Extremisten, die Stunde der Populisten.

Es ist höchste Zeit, dass Frankreich diesen undemokratischen Paragraphen einmottet und sich die Regierungen wieder dazu durchringen, die Spielregeln der Demokratie einzuhalten. Denn sonst schafft sich die Demokratie eines Tages selber ab.

1 Kommentar zu Paragraph 49.3 – wie Frankreich gegen sein eigenes Parlament regiert

  1. On en est à ce qu’un gouvernement utilise le 49.3 contre le parti dont il est issu. Effectivement, la seule solution restante au peuple est une grève massive des élections : après tout, à quoi servent-elles en France? Visiblement pas à approuver un programme politique, ni à équilibrer les pouvoirs – le parlement étant littéralement fantoche…

    L’abstention reste peut-être pour les “citoyens” la seule arme politique : si l’expression citoyenne est méprisée, au moins refusons son instrumentalisation par des responsables politiques minables.

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