Patchwork-Lockerung der Maßnahmen

Sowohl die Lockerung der sanitären Covid-19-Maßnahmen als auch des Wiederanlaufs des Schulbetriebs sind völlig unübersichtlich, da jedes Bundesland nach seinen eigenen Regeln vorgeht.

So einheitlich sehen die Massnahmen in den 16 Bundesländern aus... Foto: jude from new york, USA / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – 16 Bundesländer gibt es in Deutschland und ebenso viele Maßnahmen-Kataloge und Verordnungen für die Anwendung dieser Maßnahmen gibt es in Deutschland. Was inzwischen im Ausland als das „Modell Deutschland“ gefeiert wird, ist eigentlich ein Patchwork unterschiedlichster Anordnungen und dazu muss man festhalten, dass Deutschland im bisherigen Verlauf der Krise auch riesiges Glück hatte.

Glück? Deutschland hat doch diese großartige Infrastruktur, moderne Krankenhäuser, ausreichend technisches Gerät! Das hat doch nichts mit Glück zu tun, wenn die Sterblichkeit durch das SARS-CoV-2 in Deutschland so vergleichsweise gering ist! Doch, es ist auch Glück dabei. So konnte der erste Cluster in Deutschland in Heinsberg an der niederländischen Grenze relativ gut im Griff behalten werden, das die Teilnehmer zwar aus verschiedenen Gegenden im Rheinland kamen, jedoch über ihre Karnevalsvereine schnell identifiziert und isoliert werden konnten. Glück hatten auch die Gegenden, aus denen die Rückkehrer aus dem Skiurlaub in Ischgl in Tirol kamen. Bei diesen Menschen, handelte es sich um relativ junge und sportliche Menschen, die mit entsprechender Pflege innerhalb von Tagen wieder gesundeten und deshalb ebenfalls keinen neuen Cluster bildeten. Und richtig hatte Bayern bei den allerersten Covid-19-Fällen gehandelt, als die bei der betroffenen Firma Webasto beschäftigten Infizierten sofort in Quarantäne kamen und die gesamte Belegschaft getestet und ebenfalls isoliert wurde – Ergebnis: auch kein Cluster in Bayern.

Hoffen wir, dass die Glückssträhne hält. Wenn man nun von einer Lockerung der Maßnahmen spricht, muss man zunächst festhalten, dass diese längst nicht so strikt waren und sind als beispielsweise in Frankreich. Insofern kann man das ab dem 11. Mai in Frankreich geplante „Déconfinement“ nicht mit den seit gestern gelockerten Maßnahmen vergleichen. Schon gar nicht, wenn man bedenkt, dass es nicht eine, sondern sechzehn „Exit-Strategien“ gibt, eine pro Bundesland.

Unterschiedliche Regelungen, beispielsweise was die Öffnung von Geschäften und Läden anbelangt, wobei selbst die Definition eines „Geschäfts“ von Bundesland zu Bundesland variiert (nur größer als 800 m² dürfen sie nicht sein, doch auch das wird nicht überall konsequent gehandhabt, in einigen Ländern dürfen auch größere Läden öffnen, wenn sie ihre Verkaufsfläche entsprechend verkleinern…), die Öffnung der Schulen wird in den Ländern zu verschiedenen Zeitpunkten und nach unterschiedlichen Kriterien gehandhabt (einige Länder haben bereits erklärt, dass aufgrund der Situation kein Schüler in diesem Schuljahr sitzenbleiben wird), die Maskenpflicht in Geschäften und öffentlichen Verkehrsmitteln wird selbst innerhalb der Länder von Stadt zu Stadt unterschiedlich verordnet oder auch nicht – in dieser Krise stößt der ansonsten ja sehr effiziente Föderalismus an seine Grenzen.

Nehmen wir das deutsch-französische Grenzgebiet, wo die Region Grand Est mit dem Elsass, Lothringen und der Champagne Ardenne an drei Bundesländer grenzt – das Saarland, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Während sich der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans um die Wiedereröffnung der allseits sehr negativ erlebten Grenzschließung engagiert, verschickt sein Kollege in Stuttgart Winfried Kretschmann bedauernde Pressemitteilungen, in denen er an eben dieser Grenzschließung festhält. Kohärent sieht anders aus.

Dieses Chaos als „Modell Deutschland“ zu bezeichnen, das ist gewagt. Dass die Coronakrise in Deutschland momentan noch fast „glimpflich“ verläuft, das ist eigentlich eher das Ergebnis verschiedener Parameter, die gut zusammenspielen, nicht aber das Ergebnis dieses Maßnahmen-Patchworks, durch das auch niemand mehr durchblickt. Dieser Mangel an Verständnis führt dann auch dazu, dass die Vorgaben in Deutschland deutlich weniger respektiert werden als in anderen europäischen Ländern. Also drücken wir die Daumen, dass Deutschland nicht doch noch einen Schlag ins Kontor erleidet – denn sollte sich die Situation erneut verschärfen, könnte dieses Patchwork zwischen den Bundesländern sehr ungute Folgen haben. Hoffen wir das Beste.

2 Kommentare zu Patchwork-Lockerung der Maßnahmen

  1. Bernhard Wölfle // 21. April 2020 um 7:01 // Antworten

    Den Föderalismus (Pluralismus) Deutschlands mag man kritisieren, auch wenn es sich um regionale Unterschiede handelt.
    Entscheidend sind die Todesfälle (in Frankreich 4-5 x mehr!) und die Bewegungs-Freiheiten hier wie dort!
    Mein Segelboot liegt bei Lauterbourg und ich darf nicht einmal dorthin fahren.
    Das ist traurig!
    Und es ist kein Infektions Schutz, sondern zentralistische Politik!

    • Eurojournalist(e) // 21. April 2020 um 11:09 // Antworten

      Der Föderalismus ist ein hervorragendes System, das durch seine Subsidiarität die politische Abbildung regionaler Realitäten ermöglicht. es ist geradezu tragisch, dass in diesem speziellen Fall der Föderalismus eine eher negative Rolle spielt und ein konzertiertes Vorgehen in Deutschland und damit auch europäische Ansätze eher verhindert. Ansonsten denke ich immer noch, dass es deutlich zu früh für all diese Bilanzen und Analysen ist – die Krise dauert nach wie vor an, täglich werden neue Eigenschaften dieses Virus entdeckt, die Zahlen steigen weiter (auch, wenn sich die Steigerung verlangsamt), die Experten sprechen von “Reaktivation” des Virus bei bereits geheilten Menschen, wir hören von zweiten und dritten Wellen… Bilanz ziehen wird man erst können, wenn diese sanitäre Krise halbwegs im Griff ist. Das wird dann auch der richtige Zeitpunkt sein, die Antworten der Politik auf diese Krise zu analysieren.

Hinterlasse einen Kommentar zu Bernhard Wölfle Antworten abbrechen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste