Le Borgn’: „Es geht um das Leben der Menschen!“

"Wenn wir es nicht schaffen, die Regionalisierung der deutsch-französischen Zusammenarbeit zu verhindern, haben wir vor der Geschichte versagt."

Jacques Jolas (FEFA), Jean-Georges Mandon (FEFA), Pierre-Yves Le Borgn' - drei Kämpfer für die deutsch-französische Freundschaft. Foto: KL

(KL) – Wohl kaum ein Abgeordneter in Europa dürfte einen so großen Wahlkreis haben wie Pierre-Yves Le Borgn’ (PS), der für die in den Ländern des 7. Wahlkreises lebenden Franzosen im französischen Parlament, der Assemblée Nationale, sitzt. Dieser Wahlkreis umfasst Albanien, Deutschland, Österreich, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Kroatien, Ungarn, Mazedonien, Polen, Rumänien, Serbien, Montenegro, Kosovo, Slowenien, die Tschechische Republik und die Slowakei. Interview.

Herr Abgeordneter, wie empfinden Sie wenige Wochen vor der Wahl die politische Stimmung der in Ihrem Wahlkreis lebenden Franzosen?

Pierre-Yves Le Borgn’: Nun, zunächst freuen sich die dort lebenden Franzosen, dass sie nach 1999 wieder ganz normal an der Europawahl teilnehmen können. Zwischenzeitlich war es so, dass die Auslandsfranzosen mit ihren Stimmen einer französischen Region zugerechnet wurden, was zur Folge hatte, dass sie sich nur wenig an den Wahlen beteiligten. Dabei gibt es speziell für diese Menschen Themen, die nur auf Ebene der EU gelöst werden können, wie Fragen des konsularischen Schutzes, zivile Sicherheit und andere. Also wird es als positiv empfunden, nun „richtig“ wählen zu können.

Negativ ist aber, dass die Auslandsfranzosen, und das gilt auch für die Menschen anderer Nationalitäten, allgemein sehr von der Politik frustriert sind. Die Menschen haben das Gefühl, dass Debatten geführt werden, die sie betreffen, ohne dass sie eine Möglichkeit zur Mitwirkung haben. Ein gutes Beispiel ist die europäische Dienstleistungsrichtlinie, die konkret dazu führt, dass in der Bretagne Schlachthöfe und landwirtschaftliche Betriebe schließen müssen, weil die Großbetriebe in Niedersachsen massenweise so genannte Selbstständige aus den Ländern im Osten Europas beschäftigen, deren Stundenlohn oft bei 3 oder 4 Euro liegt. In der Bretagne hatte man eben noch nicht verstanden, dass andere das europäische Recht einfach unterlaufen.

Mit was für speziellen Problemen müssen sich die Auslandsfranzosen denn auseinander setzen?

PYLB: Ein Beispiel sind die Probleme, die in Deutschland lebende Franzosen mit der Rente haben, wobei dieses Beispiel auch in der anderen Richtung stimmt. Renten werden mit 15 % besteuert, doch Betriebsrenten nur mit 7,5 %. So unglaublich das klingt, aber seit Jahrzehnten verlieren vor allem bescheidene Renten aufgrund solcher Unterschiede jedes Jahr einige Hundert Euro – und allein von dieser Problematik sind rund 40.000 Menschen betroffen.

Ich habe mich mit diesem Problem an die Regierungen in Paris und Berlin gewandt und als ich von beiden keine Antwort erhalten hatte, habe ich das Thema der Europäischen Kommission vorgelegt. Diese beauftragte dann die deutsche und die französische Regierung, dieses Thema gemeinsam zu untersuchen. Offensichtlich will sich niemand so recht mit Themen der Harmonisierung befassen…

Warum das?

PYLB: Weil diese Dossiers immer mit Schwierigkeiten behaftet sind. Aber genau hier sehe ich meine Aufgabe, auf die Gefahr hin, meinen Kollegen auf die Nerven zu fallen. Bei Fragen wie dieser oder auch dem schwierigen Familienrecht geht es um das Leben der Menschen! Wenn ich es im Laufe meines Mandats schaffe, eines dieser Themen nachhaltig zu lösen, dann war es ein großer Erfolg.

Weitere Probleme?

PYLB: Schauen Sie sich das Familienrecht an. Wir haben bis heute keine europäische Definition des Begriffs „im Interesse des Kindes“. Dieser rechtlich relevante Begriff hat von Land zu Land verschiedene Bedeutungen, was bei vielen Ehen zwischen Menschen verschiedener Nationalitäten zu schlimmen Situationen führt. Zu diesem Thema möchte ich einen europäischen Workshop organisieren, damit solche Grundlagen im Interesse der Menschen geklärt werden.

Sehen Sie bei der Europawahl das Risiko eines rechtsextremen Wahlerfolgs bei den Auslandsfranzosen?

PYLB: Ich glaube, dass das Ergebnis der Rechts-, aber auch der Linksextremen bei den Auslandsfranzosen geringer ausfallen wird als in Frankreich selbst. Die im Ausland lebenden Franzosen sind es gewohnt, anderen Kulturen zu begegnen. In meinem Wahlkreis werden die extremistischen Formationen nicht sehr gut abschneiden.

Viele Beobachter sind der Ansicht, dass sich der Motor der deutsch-französischen Beziehungen gerade stottert. Wie sehen Sie das?

PYLB: Der Motor stottert? In bestimmten Bereichen – ja. Nehmen Sie das Beispiel der Renten, über das wir gerade gesprochen haben. Wir arbeiten seit zwei Jahren an diesem Thema, ohne dass die Regierungen aktiv geworden wären. Ist der Motor kaputt? Nein. Alles ist eine Frage des politischen Willens. Man sollte schnell vom Bundestag und der Assemblée Nationale aus deutsche und französische Abgeordnete als Teams mit Fachthemen beauftragen, über die diese Teams dann in beiden Parlamenten berichten. Doch höre ich zu solchen Vorschlägen meistens, dass man es nicht gewohnt sei, dies zu tun, doch wenn der politische Wille zu so einem Vorgehen da ist, dann klappt das auch. Charles de Gaulle und Konrad Adenauer mussten auch den politischen Willen zur Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern entwickeln – und als dieser da war, dann klappte auch alles.

Ein solches Abgeordneten-Team könnte beispielsweise das Thema der Dualen Lehrlingsausbildung aufgreifen. Wenn die Menschen sehen, dass so etwas funktioniert, dann fassen sie auch wieder Vertrauen in die deutsch-französische Zusammenarbeit. Dies erfordert aber auch, dass sich die deutsch-französische Zusammenarbeit nicht nur auf den Nordosten Frankreichs und den Südwesten Deutschlands beschränkt. Sollten wir es nicht schaffen, die Regionalisierung der deutsch-französischen Zusammenarbeit zu verhindern, dann haben wir vor der Geschichte versagt.

Sie sind Mitglied im Verwaltungsrat der Straßburger Stiftung Entente Franco-Allemande (FEFA). Unter ihrem neuen Präsidenten Jean-Georges Mandon konzentriert sich die FEFA stärker auf Projekte in den Bereichen Arbeitsmarkt, Jugend und Kultur. Welche Rolle und welche Zukunft sehen Sie für die FEFA?

PYLB: Für mich ist die FEFA zunächst eine Organisation, die über unschätzbar wertvolle Erfahrungen im Bereich der deutsch-französischen Beziehungen verfügt. Diese Erfahrung muss unbedingt in die genannten Bereiche einfließen – Jugend, Zivilgesellschaft, Ausbildung. Die FEFA kann ein Katalysator für solche Projekte sein und mit ihrer Erfahrung bereits bei der Entwicklung konkreter Aktionen mitwirken, was einen echten Mehrwert für diese Projekte darstellen würde. Vorher habe ich von einem europäischen Workshop für das Familienrecht gesprochen, den „Assises du Droit Familial“ – auch für solche wichtigen Themen kann die FEFA die richtigen Akteure an einen Tisch bringen. Ich bin davon überzeugt, dass das Team um den Präsidenten Mandon auf dem richtigen Weg ist!

Herr Abgeordneter, wir danken für das Gespräch.

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