Pilae et Orbi: Auf geht’s Burschis!

Rio? Bravo! Diese riesige Fahne in Freiburg weist den Weg. Foto: Arne Bicker

von Arne Bicker

Thomas Schweizer hat eine Fahne. Kein Wunder, der Ex-Fußballprofi vom SC Freiburg ist ja auch Kneipenwirt und verkauft Kölsch und Pils in rauhen Mengen. Seine Fahne aber, die schlägt alles: “150 Quadratmeter!” Tommi Schweizer nennt diese Zahl voller Stolz und grinst.

Schwarz-Rot-Gold hängt sie da, an einem Bürogebäude in der Nähe des Freiburger Hauptbahnhofs. Im Erdgeschoss befindet sich Schweizers “Kölner Botschaft” mit drei Großbildschirmen und einer Public-Viewing-Tafel im Biergarten. Einen Tag vor dem WM-Start sind gerade brasilianische Straßenfußballer in den Nachrichten zu sehen, die vermummt kokelnde Tränengasgranaten zurück in Richtung Polizei kicken.

Thomas Schweizer sieht das nicht gern und wendet den Blick lieber den sportlichen Dingen zu: “Deutschland holt den Titel. Ich kann nichts anderes sagen oder denken, ich bin eben Optimist.” Die Mannschaft, die mit nur einem Stürmer zur WM fährt, soll im subtopischen Brasilien so viele Tore schießen und noch mehr verhindern, um dort den Cristo Redentor in die Knie sacken zu lassen?

…womit wir, by the way, bei meinem heutigen Musikempfehlung wären:

Nein, Thomas Schweizer bringen solche blasphemischen Fragen nicht aus der Fassung: “Unsere Jungs spielen tief, die spielen schön, die spielen flach.” Und wer schießt die Tore? Offensichtlich nicht der Herr Klose. “Nein, der sitzt auf der Bank. Da ist der Müller, der rennt in der Gegend rum, der Özil geht vorne rein, da ist der Poldi mit dem linken Wums, und auf der Bank warten Schürrle und Götze. Flanken war gestern, und das ist ohne Stürmer ja auch gar nicht mehr möglich.”

Wer sich nun fragt, was da wohl dran sein mag, der möge bedenken, dass sich Bundestrainer Jogi Löw am Dienstag noch persönlich in der “Kölner Botschaft” mit Handschlag in Richtung Brasilien verabschiedet hat. Der Flaneur wurde des öfteren auch im Freiburger Kolbencafé gesichtet. Hier wurzelt jene Anekdote, wonach eine ältere Dame Jogi Löw ganz aufgeregt Zettel und Stift anreichte mit der dringenden Bitte um ein Autgramm und jenen unvergesslichen Worten auf den Lippen: “Dass ich Sie mal persönlich treffe, Herr Finke!”

Aber ich schwiff ab. Oder schwoff? Schweifte? Schwafelte. Einen Gehimfavoriten hat Thomas Schweizer auch: England.

???

Schweizer: “Ja, wegen Sechsundsechzig.” Sorry, da habe ich in der Schule gefehlt, in jeder Hinsicht. “Na, da hat doch ein Österreicher den Grand Prix de la Chanson gewonnen, nämlich Udo Jürgens, Atletico wurde spanischer Meister und Real Pokal- und Championsleague-Sieger, so wie diesmal auch, oder umgekehrt, also deshalb…”

Diese Expertise kommt aus der Tiefe der Geschichte herangeschwommen und hat irgendwie so etwas tintenfischiges. Thomas Schweizer ist übrigens erst 1967 geboren, wie ich mittels Gugelsuche herausfinde. Da wird auch ein gleichnamiger Aktfotograf aus dem Netz gesaugt, der unter anderem eine Hausfrau mit diversen heraushängenden Körperteilen beim Telefonieren mit einem Bügeleisen abgelichtet hat.

Die Welt ist krass konkret. Apropos Bügeleisen: Thomas Schweizer, Fußball, meint, die südamerikanische Hitze würde beim Ringen um das Blattergold keineswegs nur Brasilianer und Argentinier begünstigen. “Klar, die Luftfeuchtigkeit haben alle, aber unsere Mannschaft ist ja während der Vorrunde direkt am Meer.” Und dann müsse man, so Schweizers Tipp, die Einheimischen mit ihren eigenen Waffen bezwingen: “Die Südamerikaner kommen ja auch zu uns und singen und tanzen. Das müssen wir da auch machen, schön locker und mit Spaß dabei. Mit typisch deutscher Verbissenheit geht da gar nichts.”

Aber wie war das: Können nicht die Österreicher am besten singen? Aber logo, die sind diesmal gar nicht bei der WM dabei, man kann nicht alles haben. Wir müssen sie vertreten. Und die deutschen Spieler täten weiterhin gut daran, in Brasilien zu lächeln, nicht nur für die Nutella-Werbung, sondern auch beim einhundertsiebenundzwanzigsten Sprint bei achtundvierzig Grad im Schatten. Und zur Einstimmung satteln wir um auf die eh schon halboffizielle Schattennationalhymne: “Tanze Samba mit mir!”

Geritzt, so kann’s klappen. Los geht es heute Abend erstmal mit Brasilien gegen Kroatien. Als jüngstes EU-Land werden die Kroaten in Sao Paulo als Studentenfutter in die brasilianischen Kanonen gefüllt, obwohl die Selecao sicher selbst nicht gänzlich unnervös agieren dürfte. Der Druck, nota bene. Deutschland ist erst am Montag dran, gegen Christiano Redentor, aber dieses laue Wortspiel überlege ich mir bis dahin noch mal. Versprochen.

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