Polen kann mit Europa nicht mehr viel anfangen

Polen sucht Streit mit der EU. Laut einem Urteil des polnischen Verfassungsgerichts sind Teile der EU-Menschenrechtskonvention nicht mit der polnischen Verfassung kompatibel.

"Wir bleiben in der EU" - viele Polen sind mit dem antieuropäischen Kurs ihrer Regierung nicht einverstanden. Foto: Silar / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Die polnische Regierung legt es immer mehr auf einen Bruch mit der Europäischen Union an. Das Urteil des polnischen Verfassungsgerichts, das festlegt, dass Teile der EU-Menschenrechtskonvention nicht mit der polnischen Verfassung übereinstimmen und daher nicht von Polen eingehalten werden müssen. Während der stellvertretende Justizminister Sebastian Kaleta jubelt, dass dieses Urteil das Urteil des Europäischen Gerichtshofs „kippt“, steigt das Unverständnis der europäischen Institutionen, allerdings auch in der polnischen Bevölkerung, die anders als ihre Regierung nicht europafeindlich ist.

Anlass des Konflikts zwischen der EU und Polen ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das auf dem Artikel 6 der EU-Menschenrechtskonvention basiert, der jeder Person das Recht einräumt, „dass über Streitigkeiten (…) oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, in einem fairen Verfahren (…) verhandelt wird“. Nachdem die polnische Regierung dies für das eigene Verfassungsgericht ausgehebelt hatte und damit faktisch die Trennung der demokratischen Grundpfeiler aufgehoben hat, fanden die von der Regierung bestellten und kontrollierten Verfassungsrichter eine höchst seltsame Parade, um weiter gegen das EU-Urteil vorzugehen. Um zu begründen, warum Polens Verfassungsrichter inzwischen nicht mehr unabhängig sind, sondern von der Politik eingesetzt, abberufen und kontrolliert werden, erklärte das Gericht, dass es eigentlich gar kein Gericht sei und deswegen auch die Regeln der EU-Menschenrechtskonvention nicht einhalten müsse. Dass auch Polen, wie 46 andere Länder, diese Konvention unterzeichnet hat, interessiert in Warschau nicht mehr.

Doch der inzwischen völlig unverständliche Anti-Europa-Kurs findet in der polnischen Bevölkerung nur wenig Beifall. Denn auch die polnische Bevölkerung bekommt die Spannungen mit, die gerade in ganz Zentral-Europa herrschen und bereits die Ablehnung europäischer Hilfe an der Grenze zwischen Belarus und Polen hat viele Polen sehr verwundert. Sich in einer solchen Bedrohungslage gegen diejenigen zu stellen, die Hilfe leisten können, nur um seine ultranationalistischen Phantasien auszuleben, das ist nicht das, was die polnische Bevölkerung von ihrer Regierung erwartet.

Dass ein Gericht, in diesem Fall das polnische Verfassungsgericht, sich selbst als „eigentlich kein Gericht“ bezeichnet und sich damit selbst gleichzeitig die Autorität abspricht, ist ein ungeheuerlicher Vorgang. Ebenso ungeheuerlich ist, dass ein Mitgliedsland des Europarats (von dem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte organisatorisch abhängt) meint, Teile der EU-Menschrechtskonvention außer Kraft setzen zu können, ist ebenso ungeheuerlich. Daher war es wenig verwunderlich, dass sich die Generalsekretärin des Europarats, Marija Pejčinović Burić zu Wort meldete: „Das heutige Urteil des polnischen Verfassungsgerichts ist beispiellos und gibt Anlass zu ernster Besorgnis“ sagte Burić, „denn alle 47 Mitgliedsstaaten hätten sich verpflichtet, die in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgelegten Rechte und Freiheiten zu gewährleisten“. Und da auch Polen diese Konvention unterzeichnet hat, gilt dies auch für Polen.

Was die ultranationalistische Regierung allerdings vergisst, ist die eigene Vergangenheit. Denn Polen hat eine „Tradition“, wenn es darum geht, repressive Regierungen zu stürzen. So, wie vor einigen Jahrzehnten, als ein Elektriker der Danziger Ursus-Werft, Lech Walesa, mit der Gewerkschaft „Solidanosc“ den Startschuss gab, das Militärregime unter General Jaruselski abzusetzen. Wenn die polnische Regierung so weitermacht, werden sich die Polen dagegen wehren, denn der Weg der Regierungspartei PiS führt geradewegs zum „Polxit“, den unter den aktuellen Bedingungen wohl niemand in Europa bedauern würde. Es ist an der Zeit, dass sich die polnische Bevölkerung gegen diesen irrwitzigen Kurs ihrer Regierung wehrt.

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