Polens Ministerpräsidentin weist das Europäische Parlament in seine Schranken

Bei ihrem Besuch in Straßburg teilte Beata Szydlo dem Europäischen Parlament mit, um was es sich zu kümmern habe – Flüchtlinge und die Kohleregion Oberschlesien. Der Rest geht Europa nichts an…

In dieser Pose zeigen sich Europas Neonationalisten gerne - Polens Regierungschefin Beata Szydlo gestern im Europaparlament. Foto: Claude Truong-Ngoc / Eurojournalist(e)

(KL) – Auf den Besuch der polnischen Regierungschefin Beata Szydlo war man gespannt gewesen – immerhin hat die EU gerade zum ersten Mal den „Rechtsstaat-Mechanismus“ in Gang gesetzt, mit dem überprüft werden soll, ob die Angriffe der neonationalistischen polnischen Regierung gegen Verfassungsgericht und Pressefreiheit mit den europäischen Grundwerten vereinbar sind. Nun weiß aber auch Beata Szydlo, dass dieses Verfahren keine Chance hat, zu irgendwelchen Maßnahmen gegen ihr Land zu führen und dementsprechend selbstsicher trat sie vor dem Europaparlament in Straßburg auf. Die lauwarmen Beiträge der Parlamentarier zum Thema „Polen“ zeigten, dass Europa immer weniger Zukunft hat.

Zum Thema des Verfassungsgerichts, das faktisch von der neuen Regierung ausgehebelt wurde, erklärte Beata Szydlo lapidar, dass es dem Verfassungsgericht „gut gehe“ und dass alles wunderbar in Ordnung sei. Auf die Vorwürfe, sie habe die Pressefreiheit durch das neue Gesetz, nachdem alle Spitzenposten der staatlichen Medien direkt von der Regierung besetzt werden (und unliebsame Journalisten von dieser auch entlassen werden können), sagte die polnische Regierungschefin – nichts. Und der einstmals große Liberale Guy Verhofstad hatte offenbar Kreide gefressen, als er Beata Szydlo sagte, dass sie wohl das Recht habe, die Medienlandschaft „umzubauen“, er aber bedauere, dass man gleich auch die Kontrollgremien ausgeschaltet habe. Man kann die Diplomatie auch übertreiben – ein EU-Mitgliedsstaat schafft die Pressefreiheit ab und führende Vertreter des Parlaments meinen, dass dies das gute Recht Polens sei.

Natürlich will man einen zivilisierten Umgang miteinander pflegen, doch wozu nützen die Europäischen Institutionen, wenn sie vor allem dazu dienen, freundlich zu jeder Sauerei zu nicken und so zu tun, als sei alles in Ordnung? Polen gehört zu den vier Ländern, die sich gegen die Umverteilung von Flüchtlingen ausgesprochen haben, zusammen mit Ungarn, der Tschechischen Republik und der Slowakei – und niemand begehrt auf, wenn Beata Szydlo behauptet, Polen habe eine Million Ukrainer aufgenommen und „würde viel für sie tun“. Tatsächlich sind viele Ukrainer nach Polen gekommen, wo sie unter teilweise menschenunwürdigen Bedingungen als Billigstarbeitskräfte eingesetzt werden und Polen tut nicht viel für sie, sondern duldet sie so lange, wie sie als Arbeitskräfte genehm sind. Ansonsten will man auch in Polen nichts mit Flüchtlingen zu tun haben. Und wo blieb die Entrüstung im Parlament?

Die Entrüstung (aber auch lautstarke Zustimmung) fand vor allem auf der Zuschauertribüne statt, so dass Präsident Martin Schulz mehrfach zur Ordnung rufen musste, was im Europäischen Parlament eher selten ist. Doch die Entrüstung über das, was gerade in Polen passiert, kam nicht im Rund der Abgeordneten an. Hier bemühte man sich um ein korrektes Auftreten und niemand wollte Beata Szydlo auf den Fuß treten. Warum eigentlich nicht?

Und als die polnische Regierungschefin merkte, dass ihr in Straßburg keinerlei Gegenwind entgegen schlagen würde, wurde sie geradezu arrogant. Kühl teilte sie den europäischen Abgeordneten mit, dass die angesprochenen Fragen dort besprochen würden, wo sie hin gehören, nämlich im polnischen Parlament. Was auch nur eine höfliche Floskel für „kümmert euch um euren Kram“ ist. Und als sich immer noch kein Protest regte, empfahl sie dem Parlament, sich um die Lösung der Flüchtlingsfrage zu kümmern (die ihr Land nicht mitträgt) und bitteschön um das strukturschwache Oberschlesien, das dringend Geld aus Europa braucht, um seine veraltete Kohleindustrie umzubauen. Was auch nicht mehr bedeutet als „her mit dem europäischen Geld und ansonsten lasst uns gefälligst in Ruhe“.

Man weiß gar nicht, was beunruhigender ist: Die Tatsache, dass Osteuropa gerade dabei ist, die europäischen Werte von innen auszuhöhlen oder der Umstand, dass sich die europäischen Volksvertreter nicht berufen fühlen, lautstark gegen diese Entwicklung vorzugehen. Verloren hat in Straßburg der Gedanke einer europäischen Demokratie, gewonnen haben die Neonationalisten – nicht nur die in Polen, sondern alle, denn es wird immer offensichtlicher, dass die europäischen Institutionen nicht einmal mehr das Gewicht haben, für die Einhaltung grundlegender Werte innerhalb der EU zu sorgen. Die Entwicklung, die Europa gerade nimmt, wird immer bedenklicher.

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