Politische Manöver der besonderen Art

Eine einzige Stunde könnte den Weg der rechtskonservativen Wahlliste von Alain Fontanel und Jean-Philippe Vetter für den OB-Sessel Straßburg und die Präsidentschaft der Eurometropole freigemacht haben.

Bekommt der Konservative Jean-Philippe Vetter die Präsidentschaft der Eurometropole dafür, dass er Alain Fontanel auf den OB-Sessel hilft? Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Die Situation vor dem zweiten Wahlgang der OB-Wahlen in Straßburg ist seit Dienstag, 18 Uhr, verworren. Um 18 Uhr mussten am Dienstag die Wahllisten der Kandidat*innen für den zweiten Wahlgang eingereicht werden und wie wichtig dieser Zeitpunkt war, zeigte sich bereits wenige Minuten nach 18 Uhr. Die 90 Minuten zwischen 16:30 Uhr und 18 Uhr könnten am Ende die Wahl am 28. Juni entscheiden.

Was für eine Chronologie! Während ganz Straßburg damit rechnete, dass die beiden Gewinnerinnen des hoch umstrittenen und von einer extrem geringen Wahlbeteiligung geprägten ersten Wahlgangs, nämlich Jeanne Barseghian (Grüne – EELV) und Catherine Trautmann (PS), eine gemeinsame Liste präsentieren würden, konnten sich die beiden auf kein gemeinsames Vorgehen einigen. Das alte Problem der „linken“ Kräfte in Frankreich – statt einen gemeinsamen politischen Gegner zu bekämpfen, bekämpft man sich lieber gegenseitig, nur um am Ende erstaunt festzustellen, dass die „Rechten“ gewonnen haben.

Und die hatten am Dienstag eine ganze Stunde Zeit, ihren „Plan B“ zu zünden. Da die beiden Kandidatinnen der Grünen und der PS bereit gegen 16h45 ihre Listen eingereicht hatten und damit klar war, dass es zu keiner Fusion „Grüne-PS“ kommen würde, hatten Alain Fontanel (LREM) und Jean-Philippe Vetter (LR) eine Stunde Zeit, ihre Listen zusammenzulegen, eine Reihe Kandidat*innen manu militari von der Liste zu streichen und kurz vor 18 Uhr eine gemeinsame Liste einzureichen, nachdem beide noch den Tag über erklärt hatten, mit jeweils ihrer eigenen Liste antreten zu wollen. Aber das galt nur so lange, bis sich plötzlich die Möglichkeit auftat, sich über alle ideologischen Grenzen hinweg zusammen zu tun. Und diese rechtskonservative Liste geht plötzlich als Favorit in die Stichwahl am 28. Juni.

Eigentlich dachte man in Straßburg bis zuletzt, dass es zu einer Stichwahl mit 4 Listen käme, nachdem am Vortag Catherine Trautmann (PS) und Jeanne Barseghian (Grüne-EELV) beide zur großen Überraschung aller erklärt hatten, dass man sich nicht auf eine gemeinsame Liste hätte verständigen können. Der Knackpunkt war wohl, die Jeanne Barseghian später erklärte, dass Catherine Trautmann auf den Posten als Präsidentin der Eurometropole Straßburg bestanden hätte, ein Versprechen, dass die grüne Siegerin des ersten Wahlgangs gar nicht machen konnte, da der Präsident oder die Präsidentin der Eurometropole von den Vertreter*innen der 33 Gemeinden gewählt wird, die zusammen diese Eurometropole bilden.

Nur zur Erinnerung – mit den Ergebnissen des ersten, hoch umstrittenen Wahlgangs am 15. März (fast zwei Drittel der Wählerschaft ging aufgrund der Corona-Krise nicht wählen!), wäre eine gemeinsame “linke” Liste in der simplen Addition auf rund 48 % der Stimmen gekommen. Doch so wird das Potential der „linken“ Wählerstimmen verpuffen und es öffnet sich der Königsweg für die Kombination Fontanel – Vetter, auch wenn deren beiden Listen in der Addition ihrer Ergebnisse aus dem ersten Wahlgang nur auf 38 % kämen.

Die Allianzen, die sich in Straßburg nicht oder eben doch gebildet haben, sind höchst seltsam. Der Kandidat Alain Fontanel, der Erste Bürgermeister Straßburgs, der im Laufe des letzten Mandats von der PS zur Macron-Partei LREM übergelaufen war, verbündet sich nun mit dem „Erzfeind“, dem Vertreter der konservativen Partei „Les Républicains“ Jean-Philippe Vetter. Dieser hatte einen sehr guten Wahlkampf geführt und mit über 18 % der Stimmen im ersten Wahlgang die Erwartungen weit übertroffen. Insofern weist die neue Liste „La République marche“ auch stark konservative Züge auf und es wird deutlich, dass die Macron-Partei LREM eindeutig dem „rechten“ Lager zuzuordnen ist. Beziehungsweise dem Lager, dass mit egal wem koaliert, wenn sich dadurch die Möglichkeit ergibt, eine Wahl oder Sitze zu erringen.

Die große Catherine Trautmann, Vollblutpolitikerin mit einer großartigen Bilanz einer außergewöhnlichen politischen Karriere, setzt nun alles auf eine Karte – um den OB-Sessel zu übernehmen, muss sie über 50 % der Stimmen einfahren, um nicht auf Stimmen aus anderen Parteien angewiesen zu sein, die sie kaum noch erhalten wird. Ein solches Ergebnis ist möglich, aber schwer zu erreichen.

Auch für die Grüne Jeanne Barseghian wird es schwierig werden. Zwar hatte sie den ersten Wahlgang hoch gewonnen, doch hat sich seitdem die Welt verändert und die traditionellen Themen der Grünen sind etwas in den Hintergrund gerückt. In Zeiten großer Unsicherheiten dürften sich viele Wähler*innen eher zu der erfahrenen Catherine Trautmann hingezogen fühlen, die momentan die einzige Politikerin im Elsass ist, die eine echte landesweite und sogar europäische Ausstrahlung bietet und deren Erfahrung vermutlich von vielen Wähler*innen als beruhigend in einer nie dagewesenen Krise empfunden wird. Doch auch Jeanne Barseghian hat weiter alle Chancen – gewinnen wird diejenige Liste, die am besten ihr Wählerpotential an die Urnen locken wird.

Eigentlich schade, dass diese beiden brillanten Politikerinnen es nicht geschafft haben, eine gemeinsame Liste aufzustellen, denn die Erfahrung von Catherine Trautmann und die Dynamik von Jeanne Barseghian wären nicht das Schlechteste für Straßburg gewesen. Zumal Jeanne Barseghian eine Garantin für gute deutsch-französische Beziehungen wäre – sie ist die einzige Kandidatin, die perfekt Deutsch spricht…

Die beiden rechten Kandidaten Alain Fontanel und Jean-Philippe Vetter verbindet vor allem eines – die unerwartete Chance, sich am Ende doch noch durchsetzen zu können und dabei vielen ihrer Kolleg*innen aus dem letzten Stadtrat deren Posten bewahren zu können. Dafür wurden dann auch schnell die Vertreter*innen der Zivilgesellschaft auf den guten Listenplätzen gestrichen und die Ehemaligen aus dem letzten Stadtrat rückten schnell nach oben auf wählbare Listenplätze.

Geht es am 28. Juni bei dieser Stichwahl überhaupt noch um die Zukunft Straßburgs, mitten in einer enormen Krise? Oder geht es, wie eigentlich immer, nur um die Besetzung von Posten, im Stadtrat und in den lukrativen Aufsichtsräten der stadteigenen Unternehmen, dort, wo die Aufwandsentschädigungen für die Sitzungen im Stadtrat vergoldet werden?

In der Dreier-Stichwahl ist allerdings noch alles möglich und auch, wenn sich die Chancen für die beiden konservativen Kandidaten verbessert haben, so hat deren Liste noch lange nicht gewonnen. Nun folgt ein Miniwahlkampf unter vollständig geänderten Vorzeichen und wir werden erst am 28. Juni abends wissen, in welche Richtung die Reise für Straßburg geht. Bis dahin dürfte es die üblichen Schlammschlachten geben und für die gibt es dieses Jahr reichlich Munition. So richtig schön werden die kommenden politischen Wochen in Straßburg nicht werden…

1 Kommentar zu Politische Manöver der besonderen Art

  1. Michael Magercord // 5. Juni 2020 um 10:05 // Antworten

    ein Jammer… aber in einem politischen System, das die Selbstherrlichkeit seiner Akteure geradezu herausfordert, sind keine innovativen Veänderungen zu erwarten. Straßburg drohen weitere sechs verlorene Jahre – man kann nur hoffen, dass sie sich irgendwann wieder aufholen lassen.

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