Präsident Frankreichs, aber nicht mehr der Franzosen

In der Nacht von Freitag auf Samstag legte Präsident Macron eine Sonderschicht ein und setzte nachts um 4 das Gesetz zur Rentenreform in Kraft. Aber „legal“ ist nicht immer „legitim“.

Auf solche Bäder in der Menge sollte Macron in Frankreich künftig lieber verzichten... Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY 2.0

(KL) – Emmanuel Macron ist zufrieden. Vielleicht hat er in der Nacht zum Samstag auch mit Brigitte ein Fläschchen Champagner geleert, nachdem er es den Franzosen so richtig besorgt hatte. Wenige Stunden zuvor hatte der Verfassungsrat entschieden, dass Macrons Rentenreform mit ein paar kosmetischen Änderungen durchgewunken wird und die Franzosen künftig zwei Jahre länger arbeiten müssen. Bevor der Schock dieser Entscheidung richtig verdaut war, legte Macron eine nächtliche Sonderschicht ein, um das Gesetz sofort in Kraft zu setzen, wobei er darauf achtete, dabei auch wie immer die Gewerkschaften und seine Landsleute ordentlich zu beleidigen und zu provozieren.

Dass Macron die Unverschämtheit besaß, die Gewerkschaften zu einem Gespräch am Dienstag einzuladen, nachdem er diesen jeden Dialog in den letzten dreieinhalb Monaten verweigert hatte, ist unglaublich, ebenso wie die Nacht- und Nebel-Verkündung des Gesetzes, während die Franzosen schliefen. Nur – am Dienstag wird Macron in seinem Palast alleine sitzen, denn dass die Gewerkschaften wenig Lust verspüren, nach dieser endlosen Serie von Beleidigungen, Verhöhungen und der Aushöhlung der Demokratie auch noch zu Elementen der manipulativen Kommunikation des Präsidenten zu werden, ist verständlich. So dürfte das auch in Zukunft weitergehen – ein Präsident, der gegen die Interessen des Landes arbeitet, wird nicht mehr viele Gesprächspartner finden, außer denjenigen, denen er verpflichtet ist. Die Franzosen werden nichts mehr auf das geben, was dieser Präsident erzählt und das müssen sie ja auch nicht.

Auch die schon fast royal angekündigte Rede des Präsidenten an den Plebs am Montag im Fernsehen wird keine Zuschauerrekorde sprengen. Warum auch sollte man noch Zeit investieren, um die Unwahrheiten des Sonnenkönigs anzuhören? Am Montag wird Macron wieder erzählen, dass diese Reform von den Franzosen gewollt war, dass sie das Ergebnis eines demokratischen Prozesses war, dass die Gegner dieser Reform mit gnadenlos harter Behandlung rechnen müssen. Der Präsident wird mit Tremolo in der Stimmen seine Solidarität mit den bei den Demonstrationen verletzten Polizisten bekunden, die Demonstranten in die Nähe von Staatsfeinden rücken und sich selbst dafür feiern, dass er es seinen Landsleuten so richtig eingeschenkt hat.

Und nein, die Art und Weise, wie diese Reform gegen den Willen von drei Vierteln der Bevölkerung duchgedrückt wurde, ist nicht etwa eine unbedeutende „Taktlosigkeit“ des Präsidenten, sondern das Handeln eines Autokraten, der nicht nur die Demokratie mit Füßen tritt, sondern offenen gegen die Interessen der Franzosen handelt. Doch Frankreich steht auf den Hinterfüssen und das Land wird auf Wochen und Monate nicht mehr zur Ruhe kommen.

„Ja,“, sagt nun der eine oder andere, „aber wer soll’s denn sonst machen? Der Linksextreme Jean-Luc Melenchon etwa oder die Rechtsextreme Marine Le Pen?“ Doch das Argument „die anderen sind noch schlechter als ich“ reicht heute nicht mehr als Qualifikation für das höchste Staatsamt aus. Die französischen Parteien haben bis 2027 Zeit, Alternativen zu allen drei Extremisten und ihren Parteiapparaten aufzubauen und die französische Politik endlich aus der seit 2002 praktizierten Wahltaktik „wählt mich, sonst bekommt ihr eine oder einen Le Pen“ herauszuholen. Das Inakzeptable zu akzeptieren, nämlich einen derartigen Anschlag auf die französische Demokratie, ist nicht die Lösung.

Seit seiner Amtsübernahme hat dieser Präsident praktisch jede Bevölkerungsgruppe beleidigt, den Franzosen mitgeteilt, dass sie „nichts sind“, hat seine Finanzierer glücklich gemacht und sich den Titel „Präsident der Reichen“ redlich verdient, er hat Arbeitslose beschimpft, Studenten und Rentner ausgegrenzt, die Bevölkerung während der Pandemie gespalten, die „Gelbwesten-Krise“ nicht gemanagt und eine Situation geschaffen, in der seit 5 Jahren Frankreich jedes Wochenende brennt. Nebenher spielt er sich noch als einsamer Europa-Chef und Weltpolitiker auf und seine außenpolitischen Alleingänge bringen nun auch die Partner Frankreichs in immer mehr Schwierigkeiten. Langsam merken auch die Franzosen, dass dieser Mann auch international nicht mehr ernstgenommen wird.

Die Gewerkschaften werden sich nicht auf Macrons Vorschlag einlassen, nun einfach ein neues Kapitel aufzuschlagen, denn nach diesem gesetzgeberischen Gewaltakt muss man damit rechnen, dass der Mann mit der politischen und moralischen Verwüstung des Landes weitermacht. Allerdings wird er sich beeilen müssen, denn nächstes Jahr stehen in Paris die Olympische Spiele an. So, wie bereits die letzten Olympischen Spiele und Fußball-Weltmeisterschaften wichtige Propaganda-Veranstaltungen für Autokraten wie Wladimir Putin, Xi Jinping, die Scheichs in Katar und andere waren, die es sich meisten können, ihr jämmerliches Image durch Sport-Washing aufzuhellen, ist Paris 2024 für Macron das Ereignis, bei dem er der Welt nicht etwa Frankreich, sondern seine eigene Großartigkeit präsentieren will.

Doch bis 2024 werden die Franzosen und auch die Gewerkschaften einerseits den Präsidenten und seine Regierung ignorieren, andererseits durch eine ständige Mobilisierung daran erinnern, dass es Aufgabe einer Regierung ist, einen sozialen Dialog zu führen und dann werden den Gewerkschaften sicherlich viele Dinge einfallen, mit denen die Propaganda-Show 2024 bunter gestaltet werden kann.

Man sollte die Hoffnung nicht aufgeben. 2024 finden nicht nur die Olympischen Spiele in Paris, sondern auch die Wahlen für das Europäische Parlament statt, eine Gelegenheit für die Franzosen, der Macron-Partei die Antwort auf ihr undemokratisches Verhalten zu geben. Denn die Franzosen würden diesem Präsidenten und seiner Regierung wohl nicht einmal mehr einen Gebrauchtwagen abkaufen. Als Präsident ist der Mann sicherlich „legal“, als Politiker ist er nicht mehr „legitim“. Und wird es auch nicht mehr werden.

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