Premierminister Manuel Valls hebelt kurz mal die Demokratie aus

Nicht wissend, ob das Reformgesetz durchkommt, regiert Premierminister Manuel Valls eben am Parlament vorbei. Seltsam. Foto: Briand / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Die französische Verfassung verfügt über einen seltsamen Paragraphen, den § 49-3. Dieser Paragraph sieht vor, dass «der Premierminister, nach Beratung im Kabinett, vor dem Parlament die Verantwortung der Regierung für Gesetzesvorhaben im Finanzbereich oder für die Finanzierung der Sozialkassen anführen kann. In diesem Fall wird ein Gesetzentwurf als angenommen betrachtet…» – was nicht mehr oder weniger bedeutet, als dass der Premierminister ein solches Gesetzesvorhaben einfach selbst entscheidet, ohne darüber abstimmen lassen zu müssen. Ein seltsames Demokratieverständnis…

Kurz vor der für den späten Dienstagnachmittag anberaumten Abstimmung in der „Assemblée Nationale» über den auch in der regierenden PS umstrittenen Gesetzesentwurf, stellte die PS fest, dass sie nur über eine hauchdünne Mehrheit für diesen Entwurf verfügt. Zahlreiche PS-Abgeordnete beabsichtigten, dagegen zu stimmen. Nach einem kurzen Telefonat mit Präsident Hollande zog Manuel Valls den Paragraphen 49-3. Und schaltete somit das Parlament aus, ein Parlament, in dem seine eigene Partei über eine eigentlich beruhigende Mehrheit verfügt. Doch sehr viel Vertrauen in seine eigenen Leute scheint Valls nicht zu haben…

Die Begründung des Premierministers lässt es aufrechten Demokraten kalt den Rücken herunter laufen: «Es wurde nach unseren Zählungen deutlich, dass das Risiko, dass der Gesetzentwurf abgelehnt würde, einfach zu groß war», erklärte Valls in überraschender Offenheit. Auf den Gedanken, dass wenn ein Gesetzesentwurf nicht einmal die Mehrheit in seiner eigenen (Regierungs-)Partei findet, man diesen Entwurf eventuell noch einmal überarbeiten oder ihn gleich vergessen sollte, kam Valls nicht. Da darf man sich aber auch nicht wundern, wenn sich immer mehr Menschen frustriert von der Politik abwenden – denn ein solches Verhalten führt dazu, dass die Menschen achselzuckend mit dem Gedanken «Die machen ja ohnehin, was sie wollen», nicht mehr an Wahlen teilnehmen. Warum auch, wenn die Abgeordneten, die man gewählt hat, bei so wichtigen Fragen wie einer Wirtschaftsreform, einfach kaltgestellt werden.

Technisch ist wohl alles tadellos abgelaufen. Nachdem sich Valls und Hollande telefonisch abgestimmt hatten, berief der Premierminister kurzfristig eine außerordentliche Kabinettssitzung ein, die dann eben die Voraussetzung für das Ziehen von Paragraph 49-3 war. Zwar kann das Parlament dieses Vorgehen noch anfechten, doch ist dafür eine so hohe Zahl von Abgeordneten erforderlich, dass es wenig wahrscheinlich erscheint, dass die regierende PS ihren eigenen Premierminister gefährdet. Was die Partei als Ganzes allerdings auch nicht demokratisch glaubwürdiger macht.

Weiter erklärte Falls «Wir regieren, wir führen das Land, hier geht es nicht um politische Psychologie oder Befindlichkeiten, wir schreiten voran». Da verwechselt jemand «Führungsstärke» mit «undemokratischer Handlungsweise» und entsprechend waren auch die Reaktionen der konservativen Opposition. «Hätte Valls keine Mehrheit [für den Gesetzentwurf] bekommen, wäre die Regierung gestürzt», sagten übereinstimmend Berater des Präsidenten und hohe Vertreter der Konservativen, die sofort Widerspruch einlegten, über den nun abgestimmt werden muss.

Doch gleich, wie diese Abstimmung ausgeht, hat Manuel Valls einen großen politischen Fehler gemacht. Das Aushebeln des Parlaments stellt einen ungeheuerlichen Vorgang dar, mit dem man den Menschen genau das Gegenteil dessen zeigt, was man seit Wochen predigt. Wie will man Jugendlichen Respekt vor den Werten der Republik beibringen, wenn man selbst zur Durchsetzung seiner politischen Ziele demokratische Grundregeln mit den Füssen tritt?

Mag sein, dass das Gesetz durchgeht. Mag sein, dass Valls damit zufrieden ist. Es kann aber auch sein, dass diese Aktion den kurzzeitigen Höhenflug der französischen Regierung ganz schnell wieder beendet. Wer will denn noch einem Premierminister glauben, der selbst nicht einmal seinen Parteifreunden über den Weg traut und so wenig Respekt für die vom Volk gewählten Abgeordneten an den Tag legt. Man kann es drehen und wenden, wie man will – die V. Französische Republik nähert sich unaufhaltsam ihrem Ende und man kann nur hoffen, dass in der VI. Französischen Republik der Respekt vor dem Willen des Volkes eine größere Rolle spielt als bisher.

2 Kommentare zu Premierminister Manuel Valls hebelt kurz mal die Demokratie aus

  1. En complément, on peut préciser que l’article 49-3 a souvent été utilisé sous la Ve république (83 fois d’après un décompte du Monde), mais pour éviter “l’obstruction parlemantaire” (dépôt massif d’amandement par l’opposition). Mais à ma connsaissance, c’est la première fois qu’il est utilisé pour raiosn d’absence de majorité pour voter le texte.

  2. merci pour cette précision, jean!

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