Pulverfass Frankreich

Mehr als eine Million Menschen demonstrierten gestern in Frankreich gegen die geplante (und längst beschlossene) Rentenreform und die Regierung, davon alleine 15-20.000 in Straßburg.

Während eine Millionen Franzosen demonstrierten, vergnügte sich die Regierung in Barcelona. Foto: eurojournalist.eu / CC-BY 2.0

(KL) – Wenn mehr als eine Million Franzosen trotz kaltem Winterwetter auf die Straße gehen, um gegen ein politisches Vorhaben im Speziellen und eine arrogante Regierung im Allgemeinen zu demonstrieren, dann wäre die Politik gut beraten zuzuhören. Zuhören können ist allerdings eine Eigenschaft, über die der sich für gottgleich haltende Präsident Emmanuel Macron leider nicht verfügt. Während sich sein Land immer mehr in Richtung offener Rebellion bewegt, zog es der französische Präsident vor, mit einem Dutzend Minister einen netten Tag in Barcelona zu verbringen. Und da diese so furchtbar wichtigen Leute natürlich nicht auf normale Züge, Flugzeuge oder Benzin angewiesen sind, war der kleine Ausflug im Regierungsflieger kein Problem. Dass der Präsident mit dieser Form der Mißachtung seiner Landsleute selbst für eine Eskalation der nun kommenden regelmäßigen Demonstrationen sorgt, das traut sich vermutlich keiner seiner Ohrenbläser in seiner Entourage laut zu sagen.

Die Mehrheit der Franzosen lehnt die geplante und bereits beschlossene Rentenreform rundweg ab. Bei den gestrigen Demonstrationen nahmen nicht nur in schöner Einigkeit alle Gewerkschaften teil, die sich ansonsten eher feindlich gegenüber stehen, dazu Lehrer, Feuerwehrleute, Anwälte und ganz normale Arbeitnehmer. Der gesellschaftliche Konsens in der Ablehnung dieser Rentenreform ist beeindruckend. Doch Emmanuel Macron, der lieber über sein Volk herrscht, als für das Wohl seiner von ihm zutiefst verachteten Landsleute zu arbeiten, sind diese Demonstrationen egal. Er zieht „sein Ding“ durch und da seine Erfüllungsgehilfin Elisabeth Borne, die zu Unrecht den Titel „Regierungschefin“ trägt, da sie faktisch nichts zu entscheiden hat, bereits angekündigt hat, diese Rentenreform mit dem höchst undemokratischen Paragraphen 49.3 durchdrücken zu wollen, mit dem am Parlament vorbei entschieden werden kann, kümmert sich Macron nicht die Bohne um die Ansichten oder Wünsche seiner Untertanen. Aus Barcelona ließ der Mann verlauten, dass seine Rentenreform ganz prima und unverzichtbar sei. Und das klang dann ein wenig nach „wenn sie kein Brot haben, sollen sie eben Kuchen essen…“, doch offenbar hat Macron im Geschichtsunterricht nicht aufgepasst, sonst wüsste er, wie in Frankreich Menschen enden, die derartig auf ihr Volk spucken.

Die Art und Weise, in der Macron seine Landsleute zu zwei Jahren zusätzlicher Arbeitszeit zwingt, bringt Volkes Seele erst richtig zum Kochen. Denn die Reform ist unausgegoren und verschont wie so häufig Macron’s Prätorianer, denn die braucht er ja bei guter Stimmung, um seine unzufriedenen Landsleute zu verprügeln.

Dass dieser erste Streiktag nur der Auftakt zu etwas ist, das ziemlich schnell aus dem Ruder laufen kann, nimmt man in den Palästen der Macht in Paris nicht wahr. Nächsten Donnerstag beginnt nun ein zweitägiger Streik, am Donnerstag darauf kommt ein dritter Streiktag hinzu und so wird in nächster Zeit jeden Donnerstag der Streik um einen weiteren Tag verlängert. Es könnte durchaus sein, dass die französische Regierung am Ende dieses jämmerliche Armdrücken mit der eigenen Bevölkerung verliert und das wäre dann das Ende des Macronismus, des wohl größten Irrtums der V. Republik.

Die französische Geschichte zeigt, dass wenn der Punkt erreicht ist, dass der Bevölkerung der Kragen platzt, die Situation für die jeweiligen Machthaber ziemlich blutig und traurig endet. Doch Emmanuel Macron scheint sich darauf zu verlassen, dass er als gottgleicher Präsident eine Art höheren Schutz genießt, doch da irrt sich „Jupiter“.

Nicht nur, dass mehr als eine Million Menschen gestern auf die Straße ging, dazu wurde auch der Streik von mehr Arbeitnehmern getragen, als das zu erwarten war. So streikten landesweit rund 40 % der Lehrer und Lehrerinnen, in einige Schulen sogar bis zu 80 %, es fuhr nur ein Regionalzug von 10 und in vielen Berufszweigen legten gestern die Franzosen die Arbeit nieder. Streiks dieser Größenordnung sind selbst im streikerprobten Frankreich selten und dass bei Streiks und Demonstrationen dieser Dimensionen alles friedlich blieb, ist bemerkenswert. Der Ordnungsdienst der Gewerkschaften sorgte dafür, dass mögliche Störer nicht zum Zug kamen, was die Regierung vor ein neues Problem stellt – man hatte mit militanten Aktionen gerechnet, die dann von den Ordnungskräften hätten niedergeknüppelt werden können, was den Hintergrund für eine dann erfolgte Kommunikation geliefert hätte, mit der man diese gesamte Protestbewegung hätte diskreditieren können. Doch den Gefallen taten die Demonstranten dem Präsidenten nicht. Nun muss man schnell im Elysee-Palast nachdenken, wie man künftig die Kommunikation gegen die Demonstranten richten kann. Auf die Idee, seinen Landsleuten zuzuhören und deren Bedenken und Sorgen ernstzunehmen, darauf kommt Emmanuel Macron nicht. Stattdessen grüßt er fröhlich aus Barcelona und merkt offenbar nicht, dass er inzwischen nur noch eine Karikatur seiner selbst ist.

Der Auftakt dieser Protest- und Streikwelle war in jeder Hinsicht bemerkenswert. Aber es war nur ein Auftakt. Diese „Welle“ wird von Woche zu Woche härter werden und am Ende wird diese Regierung lernen müssen, dass man nur eine bestimmte Zeit gegen sein Volk regieren kann. Irgendwann kippt eine solche Situation um und Macron trägt nach Kräften dazu bei, dass diese Eskalation auch sicher kommt. Frankreich 2023 – die Nerven liegen blank und die Zeichen stehen auf Sturm. Aber richtig auf Sturm.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste