Pulverfass Frankreich?

Ob soziale Themen, ob Fußball – egal worum es geht, bei jeder Gelegenheit kommt es momentan in Frankreich zu Vandalismus, Straßenschlachten und Festnahmen. Bedenklich.

Solche Bilder will niemand mehr sehen - doch gibt es sie ständig und bei jeder Gelegenheit. Foto: Richard Hopkins / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Die Szenen wären die gleichen gewesen, hätte PSG anstelle von Bayern München das Finale der Champions League gewonnen. Auch in diesem Fall hätten in den großen Städten Frankreichs Autos gebrannt, wären Geschäfte verwüstet worden, hätte es massive Auseinandersetzungen zwischen Krawallmachern und der Polizei gegeben. Mittlerweile ist jeder Vorwand willkommen, um Frankreich in ein immer wiederkehrendes Chaos zu stürzen. Noch haben die großen Demonstrationen und Streiks in Frankreich nicht wieder begonnen, doch bereits heute stehen die Termine für die nächsten großen Auseinandersetzungen fest – am 12. und 17. September geht es wieder los, in Paris und überall in der Provinz. Und das passiert einfach – die Regierung ist zwar in Kenntnis dieser Termine, aber sie reagiert nicht. Oder doch, sie reagiert. Während des Lockdowns, als es schier unmöglich war, Gesichtsmasken aus Papier zu bestellen, klappte das wesentlich besser für die Ausrüstung der Polizei. Bei Tränengasgranaten, Hartgummi-Geschossen (deren Verwendung in anderen Ländern systematisch von Präsident Macron gegeißelt wird) oder Schlagstöcken gab es keine Bestellprobleme.

Begonnen hat dieses Chaos im November 2018 mit den ersten „Akten“ der „Gelbwesten“. Bei diesen Demonstrationen kam es zu Zerstörungen, Plünderungen, gewalttätige Auseinandersetzungen – doch die Regierung von Präsident Emmanuel Macron verstand damals die Zeichen der Zeit nicht und versuchte, diese Sozialkonflikte einfach auszusitzen. Doch das war die falsche Taktik. Noch deutlicher wurde das Problem im letzten Herbst, als die Regierung versuchte, eine Rentenreform durchzupeitschen, die für die meisten Franzosen und Französinnen einen herben Einschnitt in die Rente bedeutet hätte. Dass dann bestimmte Berufe, wie beispielsweise die Polizei, von den Wohltaten dieser Reform ausgenommen werden sollte, war ein deutliches Zeichen, wie sehr diese Regierung ihre Bevölkerung respektiert.

Doch es gab weitere Signale, die von der Regierung ebenso tapfer ignoriert wurden. Bei den unter seltsamen Bedingungen abgehaltenen OB- und Kommunalwahlen wurde die Regierungspartei „La République en Marche“ heftig abgewatscht – in den Städten fielen fast alle ihre Kandidatinnen und Kandidaten durch und 6 der 10 größten französischen Städte haben heute grüne Bürgermeister. Doch offensichtlich reichen all diese Zeichen und Entwicklungen nicht aus, dass die Regierung ihr Verhältnis zur Bevölkerung überdenkt.

Doch muss sich die Regierung etwas einfallen lassen. Natürlich wird sie versuchen, die anstehenden Demonstrationen unter dem Hinweis auf die Corona-Maßnahmen zu verbieten, doch das wird nicht klappen. Anhand der Ausschreitungen nach dem Champions League-Finale und bei jeder anderen sich bietenden Gelegenheit muss man damit rechnen, dass es auch im September zu solchen Exzessen der Gewalt kommen wird. Davor haben übrigens die Geheimdienste in einem nicht sehr geheimen Bericht deutlich gewarnt – die ersten Demonstrationen nach dem Lockdown könnten heftig werden.

In einer bereits jetzt aufgeheizten politischen Atmosphäre ist die Vorbereitung der Polizeikräfte auf diese Auseinandersetzungen nachvollziehbar, reicht aber bei weitem nicht aus. Man darf sich nicht vorstellen, was passiert, sollte bei einer dieser Demonstrationen ein Demonstrant von der Polizei getötet werden. Das wäre dann das Streichholz an der Lunte am Pulverfass. Es wäre vielleicht besser, Präsident Macron würde nicht ständig um die Welt jetten, um anderen Regierungen Tipps zu geben, wie man mit Demonstrationen und der Demokratie umzugehen hat – die Beendigung der seit fast 2 Jahren andauernden Sozialkonflikte sollte eigentlich ganz weit oben auf seiner To-Do-Liste stehen…

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