Putins verrücktes Narrativ

In seiner 18. Rede zur Lage der Nation in seiner Amtszeit erzählte Wladimir Putin gestern das Blaue vom Himmel herunter. Man sollte trotzdem zuhören, denn viele Russen glauben seinen Erzählungen.

Putin ist es egal, ob der Westen seinen Lügen glaubt - Hauptsache, die Russen glauben sie. Foto: Kremlin.ru / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Zwei Stunden lang sprach Wladimir Putin zur Lage der Nation. Eine endlose Litanei, Propaganda aus der untersten Schublade. In den Erzählungen des Wladimir Putin ist der Westen „voll verantwortlich“ für diesen Krieg. Dass Russland sein Nachbarland völkerrechtswidrig überfallen hat, das glaubt inzwischen nur noch eine verschwindende Minderheit der russischen Bevölkerung. Drei Viertel der Russen stehen hinter Putin.

Diese Art der Propaganda ist natürlich typisch für eine Kriegssituation. Die „Opferrolle“, die sich Putin selbst andichtet, wäre ein Witz, wäre sie nicht so dramatisch in ihren Konsequenzen. „Die Verantwotung für das Schüren des Ukraine-Konflikts“, so Putin, „für seine Eskalation und die vielen Opfer, liegt voll bei den westlichen Eliten“, die „Russland ein für allemal erledigen wollen“. In Westen mag man angesichts dieser Erzählungen traurig lächeln, im Osten glaubt man sie. Und, das ist auch das Ziel dieser Erzählungen, mit dieser Propaganda schafft es Putin, sein Volk hinter sich zu vereinen.

So tickt die russische Seele seit Jahrhunderten. Bei aller Unzufriedenheit mit den eigenen Lebensbedingungen, bei aller Unzufriedenheit mit dem jeweiligen Regime – wenn die Russen das Gefühl haben, dass sie angegriffen werden, dann stehen sie wie ein Mann um ihren jeweiligen Führer, ob das nun der Zar, Stalin oder Putin ist. Dabei zeichnet die Russen eine enorme Opferbereitschaft aus, die so weit geht, dass man bereit ist, sein Leben für „Mütterchen Russland“ zu opfern.

Kurz vor dem Jahrestag der russischen Invasion in der Ostukraine kündigte Putin an, seine Armee würde die „militärische Spezialoperation“ Schritt für Schritt, konsequent und sorgfältig weiterführen. Gleichzeitig warf er dem Westen vor, nicht verhandeln zu wollen, während Russland ja nur versuche, die Kämpfe in der Ukraine zu beenden. Wie verlogen diese Aussagen sind, ist im Grunde zweitrangig, wichtig ist nur, was die russische Bevölkerung am Ende glaubt.

Während man im Westen gerne glaubt, dass ganz Russland ein einziges Widerstandsnest gegen Putin sei und die Bevölkerung still vor sich hinkocht und nur auf eine Gelegenheit wartet, ihren Despoten zu stürzen, steht die große Mehrheit der Russen klar hinter Putin und seiner Kreml-Clique. Innenpolitisch wird Putin nur dann unter Druck geraten, wenn sich die Versorgungslage der Bevölkerung dramatisch verschlechtern sollte und selbst dann ist die Leidensfähigkeit des russischen Volks sehr hoch.

Gestern hat Putin auch den Atomwaffen-Sperrvertrag „New Start“ ausgesetzt. Viele Beobachter sehen das als ein weiteres Drehen an der Eskalations-Schraube, andere eher als Startschuss für ein neues Wettrüsten.

Nicht nur die Verantwortung für diesen Krieg schiebt Putin auf den Westen, sondern auch die fehlenden Verhandlungen. Im russischen Narrativ würde der Kreml gerne verhandeln, aber der Westen will das nicht. Auch das stimmt nur zur Hälfte, denn verhandeln will man auf beiden Seiten nicht.

Trotz aller abstrusen Aussagen Putins muss man seine Rede ernstnehmen. Denn sie zeigt deutlich, wie Putin seine Bevölkerung manipuliert (genau, wie es auch bei uns mit unseren Politikern der Fall ist) und seine Rede beinhaltet auch die Ankündigung, dass dieser Krieg lange dauern wird, sehr lange.

Ob wir es wollen oder nicht, wir befinden uns im III. Weltkrieg, der in erster Linie eine Auseinandersetzung der Systeme zwischen Russland und China einerseits und den USA und deren Vasallen auf der anderen Seite ist. Hunderttausende Tote, Zerstörungen im Wert von 1,6 Billionen Euro, das ist die Bilanz des ersten Kriegsjahrs. Angesichts der Waffenarsenale auf beiden Seiten steht zu befürchten, dass diejenigen Experten Recht haben, die voraussagen, dass keine der beiden Seiten diesen Krieg gewinnen kann und dass die Kämpfe Jahre andauern werden.

Ob die Menschheit wohl nach dem III. Weltkrieg endlich begreift, dass Kriege keine Lösung, sondern ein Geschäftsmodell für etliche Industrien sind? Die Chancen hierfür stehen schlecht, denn aus einem unerfindlichen Grund kann der Mensch Begeisterung für den Krieg entwickeln, nicht aber für den Frieden. Ost und West sind auf einem totalen Holzweg und die einfachen Menschen werden Jahrzehnte für den Wahnsinn ihrer jeweiligen Führer bluten müssen. Zumindest diejenigen, die diesen III. Weltkrieg überleben werden.

2 Kommentare zu Putins verrücktes Narrativ

  1. Interessant, man postuliert als Narrativ mal eben den 3. Weltkrieg.

    Was sind ihre Kriterien hierfür?

    Wieso scheiden Jugoslawienkrieg, Syrienkrieg, sonstige aus Ihrer Zählung aus? Zu wenig Menschen gestorben?

    • Naja, wenn der Ukraine-Krieg in Ihren Augen ein kleiner, lokaler Konflikt, nicht aber der Beginn des III. Weltkriegs ist, dann lassen wir das einfach mal so stehen. Das ist Ihre Meinung und in der Tat, nicht die meine. Vielleicht haben wir im weiteren Verlauf dieses Kriegs noch Gelegenheit, diese unterschiedlichen Positionen zu überprüfen.

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