Regierungen, hört die Signale…

Überall in Europa und auf der Welt wird demonstriert – und überall in Europa und der Welt ist die Reaktion der Regierungen die gleiche. Gewaltsame Repression.

Gegen die zahlreichen weltweiten Proteste finden die Regierungen nur ein Mittel - gewaltsame Repression. Aber das geht nicht lange gut... Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Langsam gewöhnen wir uns daran, dass freitags und samstags weltweit protestiert wird. Der Freitag gehört in erster Linie den jungen Leuten, die gegen den Klimawandel und die Untätigkeit der Verantwortlichen demonstrieren, der Samstag ist allen anderen Themen gewidmet. Brexit, türkischer Einmarsch in Nordsyrien, gelbe Westen, unzufriedene Gewerkschaften, Lehrer, Polizisten, Feuerwehrleute, Einzelhändler und viele andere. Aber was bedeutet es, wenn jeden Samstag Millionen Menschen demonstrieren gehen? Und was bedeutet es, dass es überall dort, wo demonstriert wird, auch zu bürgerkriegsähnlichen Szenen kommt?

Es gehen tiefe Risse durch unsere Gesellschaften. Nicht einer, sondern ganz viele Risse. Praktisch jedes Thema spaltet die Gesellschaft, gleich, ob es um den türkischen Einmarsch in Nordsyrien und den Krieg gegen die Kurden geht, um Gewalt gegen Frauen, Antisemitismus, Neonazis – alle diese Themen (und die vielen anderen) werden inzwischen zur Belastungsprobe für Familen, Freundschaften und das Klima am Arbeitsplatz.

Hunderttausende Demonstranten in Katalonien und in London und in fast jeder größeren Stadt Europas zu einem oder mehreren der vielen anderen Themen. Die Gesellschaften sind im Umbruch und in vielen Ländern will man es nicht mehr akzeptieren, wie an den Menschen und ihren Bedürfnissen und Sorgen vorbei regiert wird. Die Reaktion des Staats ist praktisch überall die gleiche – gewaltsame Repression. Gummigeschosse in Frankreich und Spanien, Tränengas und Schlagstöcke überall. Auch die Bilder ähneln sich – brennende Autos und Barrikaden, Steine und Flaschen werfende Black Blocks oder Neonazis, Polizeieinsätze, bei denen „Kollateralschäden“ gerne zur Abschreckung in Kauf genommen werden. Doch wenn ein Staat gewaltsam gegen seine eigenen Bürgerinnen und Bürger vorgeht, um Proteste gegen eine oftmals menschenverachtende Politik zum Verstummen zu bringen, dann ist dies ein Zeichen enormer politischer Schwäche und die Vorstufe zu Umstürzen. Denn auf Dauer kann eine Dauerauseinandersetzung zwischen Staat und Bevölkerung nichts bringen.

Der Unmut der Menschen kommt daher, dass die heute mit Händen und Füssen verteidigten Institutionen, ob lokal, regional, national oder europäisch alle aus Zeiten stammen, in denen man sich nicht vorstellen konnte, dass die Welt eines Tages digitalisiert sein würde – oder anders gesagt sind unsere Politik- und Verwaltungssysteme grundlegend veraltet. Der Versuch, die Lebensrealitäten der Menschen mit Gewalt auf diese Systeme anzupassen, ist zum Scheitern verurteilt, ebenso wie der britische Landadel seinen Statuts nach der Industriellen Revolution auch nicht mehr halten konnte.

Die Auseinandersetzungen auf der Straße radikalisieren sich, Weimar lässt grüßen. Bei Extremisten werden immer häufiger beunruhigende Waffenarsenale sichergestellt, der politische Mord und Terrorismus kehren in unsere Städte zurück. Statt unsere Politik- und Verwaltungssysteme auf die heutige Zeit einzustellen, wird eine überholte Ordnung mit Waffengewalt aufrecht erhalten. Das aber sind die letzten Zuckungen von Systemen, die kurz davor sind, abgelöst zu werden. Keine Machtstruktur hat jemals freiwillig das Feld geräumt, wenn sie überflüssig wurde, man klammert sich immer so lange mit allen Mitteln an die Macht, bis sie den Potentaten gewaltsam aus den Händen gerissen wurde.

Wir sollten unsere „Think Tanks“ und anderen Denkfabriken nicht mit der Aufgabenstellung auslasten, wie man den Status Quo so lange wie möglich über die Runden retten kann, sondern mit der Ausarbeitung von Modellen, wie die Gesellschaft morgen funktionieren wird. Dass dies dringend notwendig ist, erkennt man jeden Freitag und jeden Samstag – die Menschen finden sich in der Politik der „Alternativlosigkeiten“ nicht mehr wieder. Politik darf nicht gegen die Menschen gemacht werden, denn ansonsten ist irgendwann der Point-of-no-Return erreicht. Und der ist gar nicht mehr so weit entfernt.

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