Reibach für wenige oder Gesundheit für alle?

Die Diskussion um die Freigabe der Vakzin-Patente wird immer drängender. „Ärzte ohne Grenzen“ unterstützt nun auch diese Forderung – die eigentlich logisch erscheint.

Wollen wir wirklich zusehen, wie ein Dutzend Pharmafirmen die Weltwirtschaft auswringt? Foto: Sidonius / Der neue Postillon / Wikimedia Commons / PD

(KL) – Der Kapitalismus frisst sich selber auf. Zu einem Zeitpunkt, zu dem die sanitäre Krise die Weltgesundheit und auch die Weltwirtschaft bedroht, wird es immer unverständlicher, dass man Menschen sterben und sich das Virus mit all seinen Varianten weiter verbreiten lässt, statt unverzüglich die Patente auf die Vakzine freizugeben, was vielen Ländern, die händeringend auf Vakzine warten (und oft nicht wissen, wie sie diese bezahlen sollen…) ermöglichen würde, selbst Vakzine herzustellen und schnell mit den Impfungen zu beginnen. Doch bislang weigern sich Pharmafirmen und die Politik, diesen Weg der Vernunft zu gehen.

Vor der Wahl, einen neoliberalen Kapitalismus oder die Weltgesundheit zu schützen, haben sich die Mächtigen dieser Welt offenbar entschlossen, dann doch lieber den neoliberalen Kapitalismus zu retten. Doch das ist ziemlich kurzfristig gedacht und wird Schäden verursachen, die wir bisher noch gar nicht absehen können. Denn es läge in unserem ureigensten Interesse, dass weltweit schnell geimpft werden könnte. Angesichts der Tatsache, dass das Virus immer weiter mutiert, neue, oft gefährlichere Varianten erzeugt, die alle früher oder später auch wieder bei uns landen werden, wäre es ethisch und finanziell richtig, die Pharmafirmen großzügig für die Freigabe ihrer Patente zu entschädigen und sofort mit einer weltweiten Produktion und Verteilung von Vakzin-Generika zu beginnen.

Für jedes Bauprojekt, für jede Ortsumfahrung, für jede Landebahn stellt es keinerlei Problem dar, im „Interesse der Allgemeinheit“ Enteignungen mit entsprechenden Entschädigungen vorzunehmen. Aber wenn es um die Gesundheit der Bevölkerung dieses Planeten geht, dann können wir das nicht? Haben Pharmafirmen keine Verantwortung der Allgemeinheit gegenüber? Nachdem diese Allgemeinheit die Entwicklung und Produktion der Vakzine mit pharaonischen Summen finanziert hat?

Nach dem Motto „es soll ihr Schaden nicht sein“, darf eine solche Entschädigung für die Freigabe der Patente gerne großzügig ausfallen. Was immer man den Pharmafirmen auch zahlt, es wird weniger kosten, als zuzusehen, wie sich das Virus auf Jahre bei uns einnistet, die Wirtschaft, den ohnehin schon wackeligen sozialen Frieden und die Weltgesundheit ruiniert. Doch sollte sich herausstellen, dass den Pharmafirmen das Wohl und die Zukunft dieses Planeten egal sind, dann sollte die Politik mutig genug sein um zu dekretieren, dass der Welt das materielle Wohlergehen der Aktionäre der Pharmafirmen egal ist. Dann sollten die Patente enteignet und dem Rest der Welt zur Verfügung gestellt werden.

Je länger die Impfkampagne dauert, desto wirkungsloser wird sie. - Denn das Virus hat die Eigenschaft, wie alle Viren, sich sehr schnell auf sein Umfeld einzustellen und beispielsweise durch Mutationen immun gegen bestimmte Impfstoffe zu werden. Daher hat die Welt ein echtes Interesse daran, die weltweiten Impfungen schnell durchzuführen. Und „weltweite Impfungen“ meint eben „weltweit“. So wollen 145 Länder über das Programm „COVAX“ Impfdosen erhalten, wobei es sich überwiegend um Länder handelt, die nicht in der Lage sind, die enorm hohen, von der Pharmaindustrie aufgerufenen Preise für die Impfstoffe zu bezahlen. Ziel des Programms ist es, bis Ende 2021 rund ein Viertel der Bevölkerung dieser Länder zu impfen. Ein Viertel! Bis Ende des Jahres!

Im Programm „COVAX“ steckt guter Wille – aber das reicht nicht! Denn das erklärte Ziel bedeutet auch, dass Ende 2021 noch 75 % der Bevölkerung dieser 145 Länder nicht geimpft ist und das Virus mit all seinen neuen Varianten weiter grassieren kann. Der Bedarf an deutlich mehr Impfdosen und an einer kostenlosen Verteilung an „arme“ Länder ist offensichtlich – und zwar auch in unser aller Interesse!

Was ist nun wichtiger? - Dass eine Handvoll Großaktionäre den Reibach ihres Lebens machen oder dass wir solidarisch daran arbeiten, dieses Virus zu bekämpfen, Menschenleben zu retten und gleichzeitig auch den bereits entstandenen und entstehenden Schaden an der Weltwirtschaft zu begrenzen? Wollen wir die Welt in die Hände von Nationalisten und Extremisten legen, die in diesen unruhigen Zeiten Hochkonjunktur haben? Wollen wir Aufstände von ausgegrenzten Bevölkerungsschichten in unseren Städten erleben? Nur, damit die Aktionäre eines Dutzend Pharmafirmen sämtliche Volkswirtschaften der Welt ausbluten können?

Und nochmal – die Pharmafirmen sollen für ihre Arbeit und Entwicklungen gut entschädigt werden. So, wie wir gerade den Großunternehmen Milliardenbeträge hinterher werfen, können wir auch die Pharmafirmen entsprechend entlohnen. So hoch, dass auch das Argument der neoliberalen Kapitalismus-Verfechter ungültig wird, die meinen, dass Pharmafirmen im Fall einer (erzwungenen) Freigabe ihrer Vakzin-Patente nie mehr Medikamente oder Impfstoffe entwickeln werden, wenn wir ihnen jetzt nicht das Weltvermögen überschreiben. Gebt BiontechPfizer, Moderna, AstraZeneca und den anderen ein paar Milliarden und startet mit der massenweisen Produktion und Verteilung der Impfdosen in der ganzen Welt.

Wenn die Weltpolitik jetzt nicht handelt, trägt sie, gemeinsam mit den Pharmafirmen, die Verantwortung für alles, was dann in den kommenden Jahren passiert. Der Preis für die Rettung eines korrupten Systems wird wesentlich höher sein als eine schnelle Entscheidung im Interesse der Weltbevölkerung.

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